Politik bei Paralympischen Spielen: Mehrere Nationen bleiben Essen mit Putin fern
Neben Deutschland haben auch einige andere Nationen ein Essen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin während der Paralympics boykottiert. Unterdessen inszeniert Russland die Paralympischen Spiele als vaterländischen Akt.
Friedhelm Julius Beucher ist sofort der Appetit vergangen. „So ganz nebenbei hat mich ein Assistent im Auto einen Tag vorher zum heutigen Essen bei Putin eingeladen“, erzählte der Präsident des Nationalen Paralympischen Komitees (NPC) dem Tagesspiegel. Doch auch weil die russische Regierung und das Staatsfernsehen die Paralympics in Sotschi als vaterländischen Akt mit kämpfenden Heroen zelebrieren, erteilte der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes dem Präsidenten der Russischen Föderation eine Absage: „Ich als Sozialdemokrat zitiere die Bundeskanzlerin ja selten, aber wenn sie davon spricht, dass Putin auf der Krim Völkerrecht bricht, kann man hier nicht zur Tagesordnung übergehen. Ich boykottiere.“
"Kein Schritt gegen die Menschen in Russland"
Und Beucher wäre nicht Beucher, wenn er nicht andere Nationen animiert hätte, seinem Boykott zu folgen. So blieben seiner Auskunft nach mindestens auch Österreich, die Ukraine und Schweden dem Dinner am Donnerstag um 12.15 Uhr Ortszeit fern. Der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, Sir Philip Craven, und auch das Protokoll von Wladimir Putin haben den Chef der deutschen Delegation zwar angerufen und gefragt, warum er nicht käme. „Ich habe gesagt, dass ist unser Protest gegen die Aggressionen auf der Krim und gegen den Verstoß gegen Menschenrechte“, sagt Julius Beucher. „Und ich habe klar gemacht, dass es kein Schritt gegen die Menschen in Russland sei, die gastfreundlich und solidarisch auch mit den Ukrainern feiern und großartige Gastgeber sind.“
Rekordzahl von 300000 Zuschauern bei den Wettbewerben
Die 600 Athleten und 1000 Teammitglieder aus 45 Nationen, die Rekordanzahl von 300 000 Zuschauern bei den Wettbewerben sowie die 9000 freiwilligen Helfer machen bei den Spielen in Sotschi trotz der Krim-Krise vor, wie Völkerverständigung praktisch funktioniert. Die Russen bejubeln die Ukrainer, russische Soldaten salutieren, wenn bei der Medaillenzeremonie deren Hymne erklingt. Viele Volunteers sind extra aus der Ukraine nach Sotschi gekommen, wie Waldemar, er ist trotz allem happy. Die Athleten spielen alle zusammen Tischtennis, scherzen. Die Chefin des Teams der Ukraine ist Russin, jeder hat Verwandte hier und dort, ist sehr in Sorge. „Mein Land wird nicht mehr dasselbe sein, wenn ich zurück nach Hause komme“, sagt ein ukrainischer Sportler.
Segnungen per SMS
All diese Konflikte bekommt auch das deutsche Team hautnah mit, das schon bei der Eröffnungsfeier demonstrativ darauf verzichtete, mit russischen und deutschen Fähnchen zu winken. Sie alle versuchen, die Politik auszublenden, sich auf den Sport zu konzentrieren. „Doch das mulmige Gefühl, das haben hier in Sotschi alle mit im Gepäck“, weiß der deutsche Pfarrer Christian Bode. Er verschickt jeden Morgen Segnungen per SMS und appelliert, für Frieden zu beten. Dieser Tage leidet noch jemand: Die neue Beauftragte der Bundesregierung für Behinderte, die blinde Ex-Paralympicssiegerin Verena Bentele. Wie gern wäre sie als Biathletin und Bundesvertreterin dabei gewesen, bei ihrer paralympischen Familie. Doch das Auswärtige Amt hatte ihre Anreise aus politischen Gründen abgesagt, und darüber hinwegsetzen konnte und durfte sie sich nicht.
Ob nun der deutsche NPC-Chef Julius Beucher nicht durch sein Fernbleiben womöglich eine Chance vergab, mäßigend auf den russischen Präsidenten einzuwirken – und ihm zu erläutern, dass viele der Paralympioniken Kriegsversehrte sind? „Ich bin als langjähriger Bundestagsabgeordneter erfahren genug um zu wissen, wie ein solcher Termin abläuft“, sagt er. „Mit Sicherheit werde ich als vergleichsweise kleiner NPC-Präsident dem Präsidenten der russischen Föderation bei so einem Dinner wenig nahe legen können. Wichtiger und politisch bedeutender ist die begründete Absage.“ Er sei als Präsident nach Sotschi gekommen, um seine Sportler zu ehren und zu würdigen. „Als demokratischer Bürger und Verbandspräsident werde ich nicht als Staffage für Fotos auf PR-Terminen dienen.“