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Gastkommentar: Mauerschützen wurden zu Recht strafrechtlich verfolgt

Volkmar Schöneburg löste in Brandenburg mit seinem vor sieben Jahren verfassten Aufsatz über die Rechtmäßigkeit der Mauerschützenprozesse die erste rot-rote Krise aus. Erardo Rautenberg ging im Jahr 1992 von der Bundesanwaltschaft nach Brandenburg, um dieses Unrecht zu verfolgen, äußert sich dazu.

Der designierte brandenburgische Justizminister Volkmar Schöneburg ist mit einem vor über sieben Jahren verfassten Aufsatz konfrontiert worden, den er mit „Der verlorene Charme des Rechtsstaates. Oder: was brachten die Mauerschützenprozesse?“ überschrieb. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich auf hohem Niveau kritisch mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des sogenannten DDR-Systemunrechts befasst. Da ich im 1992 von der Bundesanwaltschaft nach Brandenburg gekommen bin, um dieses Unrecht zu verfolgen und dafür bis heute Verantwortung trage, erlaube ich mir einige Anmerkungen:

Im 20. Jahrhundert hat es in Deutschland zwei Diktaturen gegeben, die man schon wegen der nationalsozialistischen Massenmorde nicht miteinander gleichsetzen darf. Dies ändert nichts daran, dass die DDR kein Rechtsstaat war, wie er in Art. 20 unseres Grundgesetzes definiert ist. Darüber, ob man sie als „Unrechtsstaat“ bezeichnen sollte, wird immer wieder gestritten. Da dieser Begriff auf eine allgemeingültige Definition wartet, versteht jeder darunter etwas anderes, so dass man niemanden, der diese Bezeichnung für die DDR ablehnt, allein deshalb in die Ecke stellen sollte. Unbestritten sollte aber sein, dass in dem „Nichtrechtsstaat“ DDR schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind, die strafrechtlich zu verfolgen waren. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass Deutschland mit der systematischen strafrechtlichen Aufarbeitung einen „Sonderweg“ gegangen ist. Denn unsere östlichen Nachbarn hätten diesen Weg nicht beschreiten können, weil dies eine Gefährdung ihrer jungen Demokratien bedeutet hätte und ihnen dafür Juristen fehlten, die nicht in das alte System verstrickt waren.

Im Unterschied zu Volkmar Schöneburg bin ich weiter der Auffassung, dass uns die strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts geglückt ist, ohne dass man uns vorwerfen kann, dass wir durch Übereifer die Defizite bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des NS-Unrechts hätten wettmachen wollen. Es hat allerdings in Einzelfällen den von Schöneburg (und anderen!) kritisierten, „nicht angebrachten Verfolgungseifer“ gegeben. So habe auch ich seinerzeit beanstandet, dass man andernorts das heimliche Abhören durch die Stasi als „Amtsanmaßung“ angeklagt hat, weil nach DDR-Recht dazu nur die Post befugt war. In Brandenburg haben wir hingegen auf eine Anklage verzichtet, weil das DDR-Strafgesetzbuch das unbefugte Abhören – aus gutem Grund – nicht mit Strafe bedrohte. Und der Bundesgerichtshof hat uns Recht gegeben. Nicht folgen vermag ich hingegen Schöneburg bei seiner Kritik an der der strafrechtlichen Verfolgung der sogenannten Mauerschützen. Nicht nur nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts fehlte ein Rechtfertigungsgrund dafür, unbewaffnete „Republikflüchtlinge“ zu erschießen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat durch Urteil vom 22. März 2001 die Beschwerde von Egon Krenz und anderer gegen ihre Verurteilungen wegen der Tötung von DDR-Bürgern an der innerdeutschen Grenze zurückgewiesen. Ich stehe also auch zu der strafrechtlichen Verfolgung der Mauerschützen, die uns besonders schwer gefallen ist, weil viele der damals sehr jungen Täter in gewisser Weise auch Opfer waren. Doch an ihrer Grenze hat die DDR wie in ihren Gefängnissen eine Fratze gezeigt, für die ich mich als Deutscher immer schämen werde.

Wer dies nicht versteht, dem sei die Lektüre des Buches „Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961-1989“ empfohlen, das die Biographien von 136 Menschen enthält, darunter auch die von erschossenen Grenzsoldaten. Kein Ereignis hat mich dieses Jahr innerlich so bewegt, wie die Vorstellung dieses Buches am 11. August 2009 in der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Von den Angehörigen der Opfer war natürlich nichts von „Siegerjustiz“ zu hören, sondern sie halten es wohl mehr mit der verbitterten Äußerung von Bärbel Bohley, wonach die Bürger der DDR „Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat“ bekommen haben. Ich selbst habe mich 1994 an einem denkwürdigen Abend in Bärbel Bohleys Atelier von DDR-Bürgerrechtlern für die zu große Nachsicht der bundesdeutschen Justiz mit den Funktionsträgern der DDR schelten lassen müssen. Dies spricht ebenso gegen den Vorwurf einer Siegerjustiz wie der Umstand, dass die nach der Wiedervereinigung mehrfach vorgeschlagene Beendigung oder Beschränkung der durch den Einigungsvertrag erst ermöglichten Verfolgung des DDR-Systemunrechts letztlich nicht an dem Widerstand von gebürtigen Westdeutschen, sondern von gebürtigen Ostdeutschen gescheitert ist, die selbst Opfer des SED-Staates geworden waren.

Der Autor ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg.

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