WM 2014 - Abwehr-Umbau bei Deutschland: Mats Hummels, die Wucht in der Mitte
Im deutschen Abwehrzentrum hat die explosive Paarung mit Hummels und Boateng den eher bedächtigen Per Mertesacker aus der Startelf gedrängt. Dass Hummels in der Hierarchie der Abwehrspieler nun ganz oben steht, war vor der WM nicht zu erwarten.
Per Mertesacker hat neulich einen schweren strategischen Fehler begangen. Er hat von seinem Debüt in der Bundesliga berichtet, in dem er als rechter Außenverteidiger zum Einsatz gekommen ist. Selbst nach Mertesackers Einschätzung ist das Experiment nicht allzu glücklich verlaufen: „Nach 45 Minuten wurde ich ausgewechselt, das war gleichbedeutend damit, dass ich das nie mehr gespielt habe.“
Per Mertesacker wird nach diesem Bekenntnis wohl auch bei der WM in Brasilien nicht als Außenverteidiger auflaufen, obwohl er in den Augen von Bundestrainer Joachim Löw eine wichtige Voraussetzung für diesen Job mitbringt: Er ist Innenverteidiger. Eigentlich kann es ja nicht schaden, für mehrere Positionen verwendungsfähig zu sein. Denn dass Mertesacker in Brasilien noch einmal als Innenverteidiger spielen wird, ist zumindest fraglich.
Beim Viertelfinale gegen Frankreich fand sich der 29-Jährige etwas unerwartet auf der Ersatzbank wider. Seinen Platz in der Zentrale nahm Jerome Boateng ein. „Per spielt bei uns immer unheimlich solide“, sagte Löw. Aber solide reichte ihm gegen die Franzosen offensichtlich nicht. Der Bundestrainer wollte mehr Schnelligkeit im Abwehrzentrum haben. Und der Verlauf des Spiels gab ihm Recht: Nur Thomas Müller sprintete häufiger als Boateng, nur Mesut Özil war schneller als er.
Hummels und Boateng erfüllen Löws Anforderungsprofil
Joachim Löw hat sich in der Vergangenheit schon häufiger als Freund endgültiger Festlegungen zu erkennen gegeben: Wir werden nicht von unserem System mit zwei Stürmern abweichen. Es wird nicht passieren, dass Özil im Sturm spielt. Ich werde nur hundertprozentig fitte Spieler mit nach Brasilien nehmen. Lahm bleibt im Mittelfeld. Dummerweise hat sich die Realität nicht immer an Löws Festlegungen gehalten, insofern muss Per Mertesacker die Hoffnung nicht komplett fahren lassen, in Brasilien noch einmal aufzulaufen. Die erste Option scheint er aber nicht mehr zu sein – zumal er am Sonnabend wegen des „Anflugs eines grippalen Infekts“ als Einziger nicht mittrainieren konnte.
Seit ziemlich genau zehn Jahren spielt Mertesacker nun schon für die Nationalmannschaft. Bei seinem Debüt war er gerade 20 geworden, hatte schlappe 20 Bundesligaeinsätze hinter sich und war für die Deutschen ein großer Unbekannter. Inzwischen hat sich das Volk an sein Spiel gewöhnt, das ihm anfangs fremd war, weil es mit sämtlichen Sehgewohnheiten brach. In der Heimat der knochenharten Vorstopper hat der lange Mann aus Niedersachsen gewissermaßen das gewaltfreie Verteidigen etabliert. Mertesacker hat die Grätsche nie benötigt, um seine Autorität zu beweisen. Aktuell aber steht dem Bundestrainer der Sinn wieder mehr nach Wucht, auch oder gerade in letzter Linie.
In der Kombination Jerome Boateng/Mats Hummels sieht Löw sein Anforderungsprofil in der Innenverteidigung derzeit wohl am besten erfüllt. Gegen die Franzosen ragte vor allem der Dortmunder Hummels aus der starken deutschen Viererkette heraus. „Hummels ist ein Gigant“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“ nach dem Viertelfinale. An Hummels zerschellten die Attacken der Franzosen wie an einem Felsen im Meer. Mit dem Fuß, mit dem Bein, mit dem Knie, selbst mit seinen Bauchmuskeln stoppte er ihre Angriffe, vor allem Karim Benzema scheiterte immer wieder an dem 25-Jährigen. „Es ist sensationell, wie er die Zweikämpfe bestreitet“, sagte Löw. „Er steht immer, er ist immer in den Zweikämpfen drin. Er gewinnt die Zweikämpfe.“
Löw: "Eine unglaubliche Waffe"
Dass das Turnier Hummels in der Hierarchie der Abwehrspieler ganz nach oben spülen würde, war vor der WM nicht zu erwarten gewesen. Zum einen hatte der Dortmunder einen Teil der Rückrunde verletzungsbedingt verpasst; zum anderen galt Joachim Löw bisher nicht als großer Anhänger des Dortmunders. Niemand konnte den Bundestrainer so leicht in Wallung versetzen wie Mats Hummels. Noch in der Vorbereitung deutete einiges darauf hin, dass Mertesacker und Boateng im Zentrum verteidigen würden. Inzwischen aber ist Hummels die klare Nummer eins. Er spielte gegen Ghana, obwohl er zuvor wegen einer Verletzung nur eingeschränkt trainiert hatte, und er stand auch nach seiner Erkältung gegen Frankreich wieder in der Startelf.
Neben seinen Defensivqualitäten besitzt Hummels auch in der Offensive einen besonderen Mehrwert für die Mannschaft. „Der Mats ist im offensiven Kopfballspiel eine unglaubliche Waffe“, sagt Löw. Schon gegen Portugal traf er nach einem Standard von Toni Kroos, gegen Frankreich erneut. „Eine Methode steckt nicht dahinter“, sagte Hummels. „Ich hatte einfach das Glück, am rechten Fleck zu stehen.“ In der Bundesliga ist ihm das zuletzt selten gelungen, da „war ich ein bisschen unzufrieden mit meiner Kopfballausbeute“. Nur drei Tore erzielte Mats Hummels in den jüngsten beiden Spielzeiten. In der Nationalmannschaft hat er das in den vergangenen acht Länderspielen geschafft.
Stefan Hermanns