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Rudi Völler mit dem Titel.
© imago sportfotodienst

Kolumne: Meine Champions League: Marseilles Moment auf dem Olymp

Leipzig-Gegner Olympique Marseille war der erste Champions-League-Sieger - danach gerät der Klub in arge Turbulenzen.

Immer wieder eine schöne Quizfrage: Wer gewann als erste Mannschaft überhaupt die Champions League und musste schon im Jahr danach in die zweite Liga absteigen? Das Finale fand in München statt, ein Deutscher hat auch mitgespielt, eine Art Nationalheld, Weltmeister als Spieler und später fast ein zweites Mal als Trainer. Rudi Völler durchlief schon die späte Phase seiner Karriere, als Olympique Marseille im Münchner Olympiastadion den hoch favorisierten AC Milan besiegte. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her, und die Franzosen hätte die Hybris rund um den Triumph beinahe die Existenz gekostet.

Zinedine Zidane ist in Marseille aufgewachsen, Didier Deschamps hat dort als Trainer gearbeitet, bevor er die Nationalmannschaft übernahm. Das Stade de Vélodrome mitten in der Stadt ist das aufregendste in ganz Frankreich. Nirgendwo sonst geht das Publikum so laut und leidenschaftlich mit. „Das ist ein ganz spezieller Ort“, sagt Deschamps. „Marseille zeichnet jeden, der einmal hier war, und zwar für immer. Marseille lässt dich nie mehr los.“

Das galt besonders für Bernard Tapie. Unter dem allmächtigen Klub-Präsidenten fühlte sich Olympique Marseille in den Neunzigern unantastbar. Tapie hat es nie verstanden, warum sein Verein nur vier Monate nach dem Sieg von München in Folge einer Bestechungsaffäre erst der französische Meistertitel aberkannt und im folgenden Frühjahr auch noch zum Zwangsabstieg verurteilt wurde. Und doch ist Olympique Marseille immer wieder zurückgekommen, 2010 noch einmal Meister geworden und zweimal ins Uefa-Cup-Finale eingezogen. In dieser Saison hat es immerhin für die Teilnahme am Viertelfinale der Europa League gereicht, am Donnerstag tritt das Team von Trainer Rudy Garcia zum Hinspiel bei RB Leipzig an (21.05 Uhr, Sky). Aber so groß wie am 26. Mai 1993 ist Olympique Marseille nie wieder gewesen.

Als die Champions League in der Saison 1992/93 den Europapokal der Landesmeister ablöst, ist das noch ein sehr luftiger Wettbewerb. Die Teilnahme ist ausschließlich Landesmeistern vorbehalten, wie der Kreis ohnehin ein sehr exklusiver ist. Nach zwei Qualifikationsrunden spielen acht Mannschaften in zwei Gruppen die beiden Finalisten aus. Weitere K.-o.- Spiele sind nicht vorgesehen. Marseille qualifiziert sich gegen Glentoran Belfast, Dinamo Bukarest, Glasgow Rangers, ZSKA Moskau und den FC Brügge für München und ist gegen den AC Mailand doch nur Außenseiter. Milan ist mit den italienischen Defensivstrategen Franco Baresi und Paolo Maldini, mit den Niederländern Frank Rijkaard und Marco van Basten eine Macht. Im Endspiel sind die Mailänder die bessere von zwei blassen Mannschaften und kommen doch nie richtig in Tritt.

„Einmal im Jahr kann auch ein alter Mann wie ich rennen“

Es passt gut zu diesem zähen Finale, dass ein Verteidiger das entscheidende Tor erzielt. Die erste Halbzeit ist schon fast beendet, das springt Basile Boli nach einer Ecke höher als Rijkaard und wuchtet den Ball mit der Stirn ins Netz. In der zweiten Halbzeit zieht sich Olympique weitgehend in die eigene Hälfte zurück. „Einmal im Jahr kann auch ein alter Mann wie ich rennen“, sagt der 33 Jahre junge Rudi Völler. Eine einzige Chance erspielt sich Milan – ausgerechnet der frühere Olympique-Stürmer Jean-Pierre Papin vergibt sie. Dann ist Schluss, die Münchner Zuschauer feiern „Ruuuudiiii“ und die 25 000 mitgereisten Franzosen den größten Erfolg in der Geschichte des französischen Klubfußballs.

Doch schon in diesen Tagen der ausgelassenen Freude machen Gerüchte die Runde, dass da etwas nicht stimmt in Marseille. Dann kommt heraus, dass Bernard Tapie seiner Mannschaft eine ganz besondere Vorbereitung auf das Finale verschrieben hat. Um sich zu schonen und doch problemlos die nationale Meisterschaft zu gewinnen, hat Olympique für 250 000 Franc einen 1:0-Sieg im Ligaspiel gegen US Valenciennes erkauft. Marseilles Mittelfeldspieler Jean-Jacques Eydelie überreichte den gegnerischen Profis Christoph Robert und Jorge Burruchaga das Geld im Mannschaftshotel.

Die Affäre fliegt auf, weil sich ein Mitwisser Valenciennes’ Trainer Boro Primorac offenbart. Tapie versucht daraufhin, Primorac zu einer Falschaussage zu bestechen – er wird zu zwei Jahren Haft und einem dreijährigem Funktionsverbot verurteilt. Olympique wird der französische Titel aberkannt und in die zweite Liga zwangsversetzt. Die Uefa sperrt den Titelverteidiger für die nächste Champions-League-Saison. Später ist auch die Rede von dubiosen Dopingspritzen, die alle Spieler vor dem Münchner Finale auf Anweisung von Tapie bekommen haben sollen. Mit Ausnahme von Rudi Völler, der sich geweigert habe.

Für Völler ist der Champions-League-Sieg mit Olympique der größte Erfolg seiner Karriere nach dem WM-Triumph 1990 in Rom. Die zweite französische Liga mag er sich nicht antun und wechselt noch einmal in die Bundesliga zu Bayer Leverkusen. Zu den Doping-Gerüchten sagt er später der „Bild“-Zeitung: „Es stimmt, dass ich mich mit Tapie häufig angelegt habe. Aber was damals vor dem Finale passierte, weiß ich wirklich nicht mehr.“

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