1. FC Heidenheim gegen Hertha BSC: Marc Schnatterer: Gierig und giftig
DFB-Pokal-Viertelfinale: Marc Schnatterer hat sich bei Herthas Gegner 1. FC Heidenheim einen kleinen Heldenstatus erspielt.
Als Marc Schnatterer vor anderthalb Jahren mit dem 1. FC Heidenheim über einen neuen Vertrag verhandelt hat, sind die Dinge nicht ganz so gelaufen, wie Schnatterer sich das vorgestellt hatte. Für einen Spieler seiner Qualität und mit seiner Geschichte schien ihm eine Verlängerung um drei Jahre durchaus angemessen. Doch nach der ersten Verhandlungsrunde meldete sich sein Berater per Telefon. „Marc, wir haben ein Problem“, sagte er. „Bis 2018 geht nicht.“ Kurze Pause. „Die wollen bis 2020 verlängern“, um weitere fünf Jahre also. „Da habe ich schon lachen müssen“, sagt Schnatterer, der damals kurz vor seinem 29. Geburtstag stand.
Wenn der aktuelle Vertrag ausläuft, wird Schnatterer fast 34 sein und zwölf Jahre in Heidenheim gespielt haben. Und dann? „Ich hätte nichts dagegen, noch das eine oder andere Jahr dranzuhängen.“
Irgendwie würde das passen zum 1. FC Heidenheim, dem einstigen Dorfklub aus Ostwürttemberg, der seinem rasanten Aufstieg zum Trotz nie die Bodenhaftung verloren hat. Man weiß ja gar nicht genau, wem der Titel „Mr. Heidenheim“ am ehesten gebührt: dem Geschäftsführer Holger Sanwald, 48, der vor mehr als 20 Jahren als Leiter der Fußballabteilung beim FCH angefangen hat und den Klub von der Landesliga in die Zweite Liga geführt hat? Dem Trainer Frank Schmidt, der vor 42 Jahren in einem Krankenhaus 500 Meter vom Stadion entfernt geboren wurde und seit September 2007 im Amt ist? Oder doch Kapitän Marc Schnatterer, 30, der seit 2008 von 278 Ligaspielen ganze 14 verpasst und dabei 250 Mal in der Startelf gestanden hat?
„Die Bedeutung von Marc Schnatterer als Kopf der Mannschaft steht außerhalb jeder Diskussion“, sagt Trainer Schmidt. Der Rechtsfuß, der im linken offensiven Mittelfeld spielt, hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich der Klub bis in die Zweite Liga emporgearbeitet hat – und am Mittwoch (19 Uhr, live bei Sky) gegen Hertha BSC zum ersten Mal ein Viertelfinale im DFB-Pokal bestreitet. In der Runde zuvor, beim Drittligisten Aue, wurde Schnatterer zur Pause beim Stand von 0:0 eingewechselt; sieben Minuten später, nach einem Tor und einer Vorlage des Kapitäns, stand es 2:0.
Natürlich glänzt auch Schnatterer nicht in jedem Spiel, aber ein bestimmtes Niveau wird er vermutlich nie unterschreiten. Gelegentlich spaziert er in gemütlichem Tempo übers Feld, aber wenn er den Ball hat, trifft er meistens die richtigen Entscheidungen. „Das ist ein Heißsporn, der unbedingt gewinnen will“, sagt Herthas Co-Trainer Rainer Widmayer über seinen schwäbischen Landsmann. „Man muss ja bloß gucken, welche Haarfarbe er hat.“ Gierig und giftig, das sind die Rotblonden laut Widmayer: „Die verpissen sich nicht, wenn es bei ihnen mal nicht so gut läuft.“ Auch Schnatterer sehe man manchmal 70 Minuten überhaupt nicht, „aber er ist immer unterwegs“, sagt Herthas Co-Trainer. „Auf einmal kriegt er den Ball, und dann brennt’s.“
Wie der junge Matthias Sammer
Wie im Kleinen, so trifft das auch im Großen auf Schnatterers Karriere zu, die sich lange im Verborgenen abgespielt hat. Dabei hat er in der Jugend zwei Jahre für den VfB Stuttgart gespielt und seinen Trainer Willi Entenmann mit 18 beim Oberligisten SGV Freiburg „an den jungen Matthias Sammer“ erinnert. Fußballbesessen, ballsicher, überdurchschnittlich spielintelligent, torgefährlich, dazu stets motiviert – all das wird Schnatterer nachgesagt. Und trotzdem hat seine Karriere einige Umwege genommen. „Bei mir hat alles ein bisschen länger gedauert“, sagt er. „Mit 24, 25 habe ich meine erste richtig überragende Saison in der Dritten Liga gespielt.“
Das liegt auch daran, dass Schnatterer immer ein bisschen quer zu den Moden im deutschen Fußball stand. Beim VfB Stuttgart wurde er als zu klein und schmächtig erachtet, als der Trend noch zu robusten Kämpfern ging. Und als die Kleinen und Schmächtigen auch hierzulande geschätzt wurden, galt Schnatterer mit Mitte 20 schon als zu alt für die ganz große Karriere. So ist er, wie die „Süddeutsche Zeitung“ einmal geschrieben hat, „der beste Unbekannte des deutschen Fußballs“ geblieben.
Mit 108 Toren und Vorlagen in 176 Spielen ist Schnatterer zwar der beste Scorer der Dritten Liga, doch manche glauben, dass er die Erste Liga durchaus drin gehabt hätte. Angebote soll es gegeben haben, vom FC Augsburg zum Beispiel. „Es war nie das dabei, bei dem ich gesagt hätte, das muss ich unbedingt machen“, sagt Schnatterer. Zumal er es mit Heidenheim, quasi aus eigener Kraft, immerhin in die Zweite Liga geschafft hat. „So wie es gelaufen ist, ist es für mich völlig in Ordnung. Ich würde auch nie sagen: Ich habe irgendwas verpasst.“
Er hat wohl eher das Gefühl, dass er noch einiges aus seiner Karriere herausgeholt hat, die eigentlich schon beendet schien, als er 2008 von der U 23 des Karlsruher SC aus der dritten in die vierte Liga nach Heidenheim wechselte. Niemand wollte ihn – bis auf den FCH, der sich schon vor seinem Wechsel zum KSC für ihn interessiert hatte. Das hat ihm damals imponiert, gerade weil die beiden Jahre in Karlsruhe alles andere als glänzend verlaufen waren. „Da spürt man schon, dass man gebraucht wird.“
Fast acht Jahre sind daraus inzwischen geworden. Schnatterer ist zur Identifikationsfigur für den Verein und die Stadt geworden. Vor seinem letzten Umzug hat er kurz überlegt, ob er aus Heidenheim wegziehen solle, vielleicht nach Ulm, wo ein bisschen mehr los ist. Aber dann hat er sich entschieden zu bleiben, auch der kurzen Wege wegen. Außerdem sei es gut, wenn man sich mit der Stadt, in der man arbeite, auch identifiziere.
Anfangs ist ihm das nicht leicht gefallen. Vierte Liga, mit einem Provinzverein: „Ist es das, was du willst?“, hat er sich gefragt. „Ich musste mich erst mit allem arrangieren.“ Seine Zweifel sind damals auch im Verein nicht verborgen geblieben. Nach ein paar Wochen hat Holger Sanwald, der Geschäftsführer, Schnatterer angesprochen: „Marc, glaub mir“, hat er gesagt, „die Ehen, die so beginnen, halten meistens am längsten.“