Kolumne zur Champions League: Madrid oder Mailand? Hauptsache Europa!
In der Politik machen sich die Briten gerade lächerlich. Trotzdem gibt es noch eine britische Erfolgsgeschichte in Europa. Hauptdarsteller: Kieran Trippier.
Es war kein gutes Wochenende für die Briten im EU-Ausland. Nach einem dramatischen Tag im Parlament bleibt die Zukunft für gewöhnliche Menschen immer noch unklar. Und für die englischen Nationalspieler, die im europäischen Ausland spielen, ist sogar die Gegenwart ein Grund zur Sorge.
Der Dortmunder Jungstar Jadon Sancho etwa musste eine nicht gerade unwichtige Partie gegen die andere Borussia im Fernsehen verfolgen. Der 19-jährige wurde für das Gladbach-Spiel aus dem BVB-Kader gestrichen, weil er spät von der Nationalmannschaft zurückkehrte und somit laut Sportdirektor Michael Zorc die „Hygiene der Mannschaft“ gefährdete. Am Mittwoch gegen Inter Mailand wird der Teenager aller Voraussicht nach nur wieder auf dem Platz stehen, wenn er sich brav hinter den Ohren gewaschen und vorbildlich zweimal am Tag die Zähne geputzt hat.
"Hygiene der Mannschaft?" Kein Problem für Trippier
Kieran Trippier dagegen ist ein sehr hygienischer Typ. Anders als Sancho kam der Rechtsaußen von Atletico Madrid nach der Länderspielpause rechtzeitig zu seinem Verein zurück. Doch auch er war am Wochenende ein bloßer Zuschauer und saß beim 1:1 gegen Valencia 90 Minuten auf der Bank. Während Trippier mit England unterwegs war, blieb sein Konkurrent auf der Rechtsverteidigerposition, Santiago Arias, in Madrid zurück und verdiente sich mit guten Trainingsleistungen eine Rückkehr in die Startelf. Wer für England spielt, hat im Verein eben kein Glück.
Trotzdem dürfte Trippier am Dienstag wieder auf einen Einsatz hoffen, wenn Bayer Leverkusen zum dritten Spieltag der Champions-League-Gruppe D in Madrid zu Gast ist. Nach einer verkorksten Saison mit Tottenham Hotspur blüht der 29-Jährige seit seinem Wechsel zu Atletico im Sommer wieder auf.
Er ist ein zäher und nimmermüder Kämpfer aus dem Norden Englands, der mit seinen eleganten Flanken und Standards an David Beckham erinnert. Trippier war einer der englischen Helden der Weltmeisterschaft 2018. Im Halbfinale gegen Kroatien schoss er mit einem Freistoß das frühe 1:0 und ließ ganz England ernsthaft vom Finale träumen.
Allerdings dauerte sein Kater nach dem Turnier eine ganze Saison an. Als „Autounfall“ beschrieb er die zurückliegende Spielzeit der Spurs. Seine Trainer sahen das offenbar ähnlich: bis in den Mai hinein hatte Trippier seinen Platz in der Nationalelf verloren. Sein Verein machte auch gar kein Geheimnis aus der Bereitschaft, ihn gebenenfalls ziehen zu lassen – sofern es ein Angebot über vergleichsweise günstige 20 Millionen Euro gibt.
Das stellte sich als ziemlich großer Fehler heraus. Denn während Tottenham aktuell immer tiefer in eine Krise rutscht, findet Trippier in Madrid zu seiner besten Form zurück. Unter Diego Simeone hat sich der Engländer mit beeindruckenden Leistungen und zwei Assists in seinen ersten acht Spielen für Atletico einen regelmäßigen Startelfplatz verdient. Im ersten Champions-League-Spiel für die Rojiblancos bereitete er mit einer Ecke den späten Ausgleich gegen Juventus vor: ein Tor, das einen jubelnden Simeone auf die Knie brachte.
Seit er in Spanien ist, dreht Trippier richtig auf
Simeone sei „ein Trainer wie kein anderer“, sagte Trippier zuletzt. Unter dem Argentinier wolle er vor allem sein Spiel in der Defensive verbessern, denn dort habe er großen Nachholbedarf. Tatsächlich scheint Simeone seinen Landsmann Arias als den defensiv stärkeren Rechtsverteidiger zu betrachten. Trotzdem fiel die Wahl des Trainers in acht von elf Spielen auf Trippier.
Der erneute Erfolg des Engländers ist an seinen Landsleuten weitestgehend vorbeigegangen, denn anders als früher wird die spanische Liga nicht mehr von den beiden großen Pay-TV-Sendern übertragen. Nationaltrainer Gareth Southgate ist hingegen nach Spanien gereist, um das Wiederaufblühen seines einstigen WM-Helden aus nächster Distanz zu beobachten. Seit ein paar Wochen ist Trippier nun wieder erste Wahl auf seiner Position für die Nationalmannschaft.
Ob er das längerfristig auch für seinen Verein sein wird, bleibt noch offen. Wenn Trippier am Dienstag spielt, haben die defensiv wackelnden Leverkusener aber etwas zu fürchten. Denn genau wie Jadon Sancho und jede Menge gewöhnliche Briten hat auch er in den letzten Wochen herausgefunden, dass Europa gut tut.
Kit Holden schreibt an dieser Stelle immer dienstags in den Spielwochen der Champions League aus britischer Sicht über Europas Fußball.