Argentinier erfüllt Vertrag beim FC Barcelona: Lionel Messi bleibt – und mit ihm ein Scherbenhaufen
Lionel Messi spielt auch künftig in Barcelona – doch der Konflikt mit Präsident Josep Bartomeu schwelt weiter. Und das könnte auch dem Superstar schaden.
Über Lionel Messi gibt es viele Geschichten. Zum Beispiel die, dass er sich beim erstmaligen Betreten der Kabine von Barcelonas U-13-Nachwuchsteam so leise vorgestellt haben soll, dass es keiner gehört hat. Messi soll so schüchtern gewesen sein, dass er in den ersten Jahren in Europa mit niemandem gesprochen hat - nicht einmal mit seinen Teamkollegen. Zumindest außerhalb des Platzes. Auf dem Rasen, mit dem Ball am Fuß, war er alles andere als introvertiert. Schon früh war klar, dass er seinen Mitspielern um Klassen voraus war.
Seit 20 Jahren spielt Lionel Messi für den FC Barcelona, schon mit 24 wurde er zum Rekordtorschützen des legendären Klubs. Er hat mit dem Team alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt und holte unzählige persönliche Auszeichnungen. Barcelona und Messi - das passte. Dass der Argentinier die Katalanen irgendwann einmal verlassen könnte, schien unvorstellbar. Nach außen trat er stets zurückhaltend und bescheiden auf. Einen Rest seiner Schüchternheit hatte er sich auch als sechsmaliger Weltfußballer bewahrt.
Vorbei mit der innigen Liebe
Doch vor ein paar Wochen war es plötzlich vorbei mit der innigen Liebe zwischen Lionel Messi und dem FC Barcelona. Messi erklärte schriftlich, seinen Vertrag kündigen zu wollen und bedankte sich artig für alles, was „mir während meiner Arbeitszeit hier geboten wurde“. Ende. Aus. Vorbei.
Naturgemäß hatte sein einstiger Herzensklub andere Vorstellungen, der Rest ist bekannt. Messi boykottierte den Trainingsauftakt, ließ seinen Vater Jorge mit Präsident Josep Bartomeu verhandeln und pochte auf eine vermeintliche Ausstiegsklausel. Die allerdings hätte er bis zum 10. Juni ziehen müssen, auch die coronabedingte Verlängerung der Saison hätte daran nichts geändert.
Der Klub seines Lebens
Die Primera Division stützte die Ansicht des FC Barcelona und so wären nun 700 Millionen Euro Ablöse fällig gewesen, wenn sich ein anderer Verein die Dienste des Lionel Messi hätte sichern wollen. „Das ist unmöglich“, räumte Messi am Freitag schließlich ein und erklärte, seinen Vertrag bis Sommer 2021 in Barcelona erfüllen zu wollen.
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Messi sagte im Interview mit „goal.com“ auch noch ein paar andere Sachen, die zunächst einmal wunderbar klingen: „Ich würde niemals gegen Barça vor Gericht ziehen, weil es der Klub ist, den ich liebe. Der mir alles gegeben hat, seit ich hierherkam. Es ist der Klub meines Lebens.“
Es bleibt ein Scherbenhaufen
Allen Fans des FC Barcelona dürfte beim Lesen dieser Zeilen das Herz aufgegangen sein. Messi sparte allerdings auch nicht mit Kritik an Josep Bartomeu, nannte den Präsidenten „Lügner“ und sprach von „Wortbruch“. Denn, so unglaublich es klingt, Messi hätte schon länger darüber nachgedacht, den FC Barcelona zu verlassen.
Nun bleibt er und mit ihm ein Scherbenhaufen, der zunächst einmal weggekehrt werden muss. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Bartomeu und Messi dieser Aufgabe gemeinsam annehmen und so dürften die Zeiten beim FC Barcelona kaum ruhiger werden. Gut möglich, dass Messi nach der schwierigen vergangenen Saison mit dem desaströsen 2:8 gegen den FC Bayern in der Champions League zum Abschluss erneut wird leiden müssen. Sportlich ist der FC Barcelona zwar immer noch eine Institution, aber der Trend zeigt, wie bei seinem wichtigsten Spieler, nach unten.
Natürlich kann Messi auch heute noch Spiele allein entscheiden, aber auch er wird nicht jünger. Gerade ist er 33 Jahre alt geworden und im fortgeschrittenen Sportleralter mehr denn je auf starke Kollegen an seiner Seite angewiesen. Und auf Vertrauen. Zum neuen Trainer Ronald Koeman muss sich das erst entwickeln. Allerdings gibt es Zweifel, dass die Beziehung der beiden eine besonders innige wird. Und ob Messis Mitspieler beim FC Barcelona stark genug sind, um den stolzen Klub wieder ganz nach oben an Europas Spitze zu führen, darf ebenfalls hinterfragt werden.
Wobei das auch mit Messi zu tun hat. Denn, selbst wenn Barça der Klub seines Lebens ist, so lässt er sich diese Zuneigung fürstlich honorieren. Von 50 Millionen Euro Jahresgehalt ist die Rede - netto. Das verringert die Möglichkeiten des Vereins, tatsächlich alle Positionen mit Weltklassespielern zu besetzen. Vor allem die in der Defensive.
Vom schüchternen Zwerg zum berechnenden Profi
Messi galt lange als der stille Star, der sich anders als Cristiano Ronaldo in erster Linie auf dem Fußballplatz in Szene zu setzen weiß. Inzwischen ist klar, dass es ganz so wohl nicht ist. Er versteht es ebenso gut, die eigenen Interessen durchzusetzen. Zur Not sucht er dafür sogar die direkte Konfrontation.
Auch dem schüchternen „Enano“ (zu Deutsch: Zwerg), wie ihn seine Teamkollegen zu Jugendzeiten genannt haben, ist ein berechnender Profi geworden. Einer, der sich diesmal verzockt hat. Woran sich seine Fans in einem Jahr erinnern werden, hängt nun davon ab, ob Messi noch einmal den Willen hat, auf dem Fußballplatz ein Riese zu sein. Das allerdings ist nach den Ereignissen des Sommers 2020 längst keine Selbstverständlichkeit mehr.