Wie Hertha BSC vom 1. FC Union profitiert: Lieber Eckkneipe als Start-up in Mitte
Bei uns ist auch schön. Hertha BSC hat plötzlich Konkurrenz in der eigenen Stadt. Das tut dem Klub gut, weil er gezwungen ist, sein Image zu schärfen.
Michael Preetz hat Recht behalten. Auch wenn er sich das im Detail vermutlich ein bisschen anders vorgestellt haben dürfte.
Der Manager von Hertha BSC hat sich schon 2017 – also zwei Jahre, bevor es dann tatsächlich so weit war – sehr positiv über einen möglichen Aufstieg des Lokalrivalen 1. FC Union in die Fußball-Bundesliga geäußert. „Die sportliche Konkurrenz würde uns guttun“, hat Preetz damals gesagt. Davon ist er auch heute noch überzeugt, selbst wenn der neue Konkurrent in der Tabelle aktuell deutlich vor Hertha BSC rangiert. Preetz glaubt nach wie vor, „dass eine Stadt wie Berlin, die deutsche Hauptstadt, mehr als einen Bundesligaklub vertragen kann“.
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Herthas Manager hat damals auch den ganz profanen Nutzen im Kopf gehabt: dass das riesige Olympiastadion dank des Gastspiels von Union fast automatisch ein weiteres Mal in jeder Saison ausverkauft sein würde. Doch wie schon im Mai wird Herthas Heimderby auch am Freitagabend wieder vor leeren Rängen stattfinden. Der wirtschaftliche Effekt bleibt also weiterhin aus. Davon abgesehen aber profitiert Hertha sehr wohl von der neuen Konkurrenz in der eigenen Nachbarschaft.
Zum einen befeuert jedes Derby den öffentlichen Diskurs in der Stadt, in dem der Fußball sonst eher eine Nebenrolle spielt. Zum anderen hat die direkte Konfrontation mit Union dazu geführt, dass Hertha sich mehr mit sich selbst auseinandersetzen musste, unter anderem mit der Frage: Wer sind wir eigentlich? Und noch viel mehr: Wer wollen wir sein? So haben Hertha BSC und vor allem die Fans des Vereins das eigene Image geschärft – auch oder gerade in Abgrenzung zum Konkurrenten vom anderen Ende der Stadt.
Hertha BSC sieht sich als Klub für ganz Berlin
Wenn Union sich explizit als Kiezklub aus Köpenick mit einer eindeutigen Ost-Biografie sieht, dann versteht sich Hertha umso mehr als Verein für ganz Berlin. „Hertha schafft es, Ost und West zu verbinden“, sagt Hertha-Fan Steven Redetzki. „Das schafft Union nicht.“ In dieser Woche, im Anlauf auf das Derby, hat Hertha in einer Nacht-und-Nebelaktion einige Zehntausend blau-weiße Fahnen über die Stadt verteilt. In allen zwölf Berliner Bezirken steckten sie am Dienstagmorgen in den Grünstreifen am Straßenrand, auch im Stammland des 1. FC Union. Redetzki fand diese Aktion sehr gelungen, erst recht, nachdem sich einige Unioner in den sozialen Medien darüber echauffiert hatten. „Dass ein paar Leute von denen getriggert sind, das gefällt mir auch ganz gut“, sagt er.
Union profitiert von einem weitgehend positiven Image, steht nach allgemeiner Einschätzung für den ehrlichen Fußball, für die Teilhabe seiner Fans und Mitglieder, aber auch für eine klare Ost-Identität. Dabei gibt es inzwischen genügend eingefleischte Bayern- oder Dortmund-Fans aus Westdeutschland, die in Prenzlauer Berg wohnen und am Samstagnachmittag ganz gerne mal nach Köpenick rausfahren, um in der Alten Försterei den Fußball in seiner vermeintlich reinen Form zu erleben.
Viele Hertha-Fans stört diese vereinfachte Darstellung, auch die mediale Fokussierung auf Union, während ihr Klub allenfalls am Rande wahrgenommen wird und vor allem dann, wenn alles mal wieder gehörig schiefläuft. „Wenn man genauer hinschaut, erkennt man auch eine Menge Schein“, sagt Hertha-Fan Redetzki über den 1. FC Union und sein Image. „Ich bin der Meinung, dass es anders ist, dass Union nicht der sympathische Underdog ist.“ Redetzki ist 30 und hat 1997 sein erstes Spiel von Hertha BSC im Olympiastadion gesehen, gegen 1860 München. Seitdem ist er Fan des Vereins, reiste zu den Spielen, als das noch ging, und engagiert sich in den Initiativen „Aktion Herthakneipe“ und „Blau-weißes Stadion“.
Unions Haltung zur Fankultur gefällt auch Herthanern
Redetzki gibt zu, dass er durchaus mal „ein bisschen neidisch“ nach Köpenick schaut. Es ist nicht alles schlecht im Osten. „Dass sich Union für Fanrechte einsetzt und im Zweifel auf Seiten der Fans steht, das ist grundsätzlich positiv“, sagt er. Auch das Einstehen für die Fankultur: „Wenn eine Pyrofackel brennt, ist das nicht gleich der Untergang des Abendlandes. Das gefällt mir schon.“
Was viele Hertha-Fans trotzdem stört: Manchmal wird es so dargestellt, als sei Union der letzte und einzige Bewahrer des Guten im immer böser werdenden Profifußball. Als müsse man den Klub einfach lieben. Vor gut zehn Jahren, nach Herthas Abstieg in die Zweite Liga, lief im Olympiastadion regelmäßig der Song „Hertha und Schulle“ von Daniel Rimkus. Darin gibt es eine Zeile, die ganz gut zum Ausdruck bringt, was Herthas Anhänger am 1. FC Union und vor allem an dessen Image nervt: „Du kommst aus Stuttgart / du tust uns leid / wohnst am Hackeschen / findest Union ein bisschen geil.“
Lieber Eckkneipe als Start-up in Mitte
Sich zu Union zu bekennen gilt irgendwie als cool. Hertha hingegen repräsentiert die alte West-Berliner Piefigkeit, hat den Sexappeal von Eierlikör und riecht muffig wie eine verrauchte Eckkneipe nachts um halb eins. Aber, hey, vielleicht ist Eckkneipe gar nicht so verkehrt! Das echte Berlin eben. „Hertha ist mehr Eckneipe als Big City Club“, sagt Steven Redetzki. „Wir müssen uns nicht den Start-ups in Berlin-Mitte anbiedern.“
Dass Hertha genau das eine Zeitlang versucht hat, führte zu heftigen Verwerfungen zwischen dem Klub und seinen Fans. Vor allem Paul Keuter, den Hertha Anfang 2016 in die Geschäftsleitung berufen hat, stand für diesen Weg und ist dafür nicht zuletzt aus der Kurve frontal angegangen worden. Laut Redetzki gab es von Seiten der Fans „sehr deutliche Hinweise, dass man mit dem Hipster-Image nicht viel anfangen kann“. Auf einem Transparent in der Ostkurve stand einmal: „Hertha lass das Hipstern sein.“
Inzwischen hat sich das Verhältnis zwischen Keuter und den Fans deutlich entspannt, vermutlich auch weil die Fans nicht mehr den Eindruck haben, dass die alte Hertha Keuter ein bisschen peinlich war und er lieber eine schönere Braut gehabt hätte. „Es hat ein Umdenken stattgefunden“, sagt Redetzki, der Hertha unter anderem für eine „sehr glaubhafte Haltung gegen Rassismus, Homophobie, Ausgrenzung“ schätzt. Auch dafür steht im Übrigen Paul Keuter.
Im Derby spielt Hertha mit "Aktion Herthakneipe" auf der Brust
Die Fans können sich mit dem Verein identifizieren – und der Verein kann es mehr und mehr auch mit den Fans. Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie (und jetzt wieder) haben sich einige Anhänger zur privaten Initiative „Aktion Herthakneipe“ zusammengetan. Sie haben Geld für Wirte gesammelt, die in ihren Gaststätten Spiele Herthas gezeigt haben und deren Existenzgrundlage durch den Lockdown plötzlich in Gefahr geraten war.
Es sind nicht nur die Ultras, die schon immer einige soziale Aktionen unterstützt haben, es sind inzwischen auch ganz normale Anhänger, die sich engagieren. Hertha-Fans haben im heißen Sommer Wasser für Obdachlose in der Stadt gespendet, und auch beim Thema Stadionneubau, dem viele Anhänger anfangs eher kritisch begegnet sind, mischen sie inzwischen mit. Der Initiative „Blau-weißes Stadion“ ist es immerhin gelungen, den Dialog mit der Politik wieder in Gang zu bringen, nachdem der Klub und sein Stadionmanager Klaus Teichert die Angelegenheit schon weitgehend verbockt hatten.
Hertha BSC weiß das private Engagement aus den Reihen der Fans durchaus zu schätzen. Im Derby wird die Mannschaft mit dem Logo der „Aktion Herthakneipe“ auf ihrem Trikot auflaufen. Hertha wirbt dann also für eine gute Sache, der 1. FC Union für seinen Hauptsponsor Aroundtown, einen Big Player aus der Immobilienbranche, die sich in Berlin nicht unbedingt allerhöchster Sympathiewerte erfreut.
Steven Redetzki gefällt diese Vorstellung. Vor allem gefällt ihm die Vorstellung, „dass das einige in ihrem Weltbild erschüttert. Oder zumindest irritiert.“