Doping: Leben auf Pump
Gut aussehen – das will doch jeder, und für alles gibt es Mittel, leicht zu haben, aber gefährlich für den Körper: Schmerztabletten für Marathonläufer, Schlankmacher für die Figurbetonten. Doping ist längst Teil des Breitensports. Vielleicht passt es einfach zu gut in die Zeit, um verboten zu werden.
Noch immer sieht er gut aus – groß, schlank, breitschultrig, muskulös. Massive Präsenz, auch mit 50 Jahren. Aber Gerd B., Inhaber und Betreiber eines großen Sportstudios weit nördlich von Berlin, hält sich für einen Schatten seiner selbst. Er holt den Rahmen mit den Fotos von früher von der Studiowand. Als junger Mann hat er geboxt: 67 Kilo, auf 1,85 Körpergröße verteilt – die reine Fitness. Dann, mit 30, begann er mit dem Bodybuilding. Und mit Doping.
Ein Foto aus der Zeit zeigt einen Schrank von einem Mann, 117 Kilo schwer, der Bauch ein definiertes Sixpack, der Rücken die anatomische Darbietung aller Muskeln, die dort ihre Arbeit tun. Gerd – ein Kraftpaket, fettfrei.
Seine Doping-Geschichte, die er freimütig erzählt, ist auch eine Sucht-Geschichte. „Es war schon ein tolles Gefühl unter Stoff, man hat einen Adrenalinschub und eine Menge Glücksgefühle. Na ja, dadurch merkt man leider auch nicht wenn’s zu schwer ist, man hat viel weniger Schmerzen, wodurch später die Gelenke leiden“, sagt er. Dopende Pumper sind süchtig nach Masse.
Anfangs habe er beim Bankdrücken zwei bis fünf Mal 70 Kilo geschafft, erzählt Gerd B. In seinen massivsten Zeiten waren es 180 Kilo. Was man sich darunter vorstellen soll: einen Turm von neun Kästen Bier, in Rückenlage Richtung Himmel gedrückt. 130 Kilo auf der Langhantel beim Kreuzheben: sechseinhalb Kisten Bier mit der Kraft der Beine und des Rückens und gegen den heißen Schmerzen überlasteter Armsehnen vom Boden bis auf die Höhe einer Kofferraumklappe gezogen.
„Ich hab’s mit dem Herzen gekriegt“, sagt Gerd. Der Infarkt kam bei einer Serie von Kniebeugen, „da bin ich zusammengebrochen“.
Außerdem sind ein stark vergrößertes Herz, problematische Leberwerte und Rückenschmerzen Folgen seines Anabolika-Gebrauchs. Dabei hatte Gerd B. seine biochemischen Kuren unter ärztlicher Aufsicht gemacht und sein „schwarzes Buch“ zu Rate gezogen. Es trägt den Titel „Anabole Steroide“, klebt voller gelber Post-it-Zettel und steht noch immer in seinem Sportstudio. Es ist die Bibel der Hardcore-Bodybuilder. Was an Substanzen auf dem Markt ist, findet sich darin, inklusive vieler Anwendungsbeispiele. Seine Kunden, vor allem die jungen, fragen ihn um Rat.
Gut aussehen – die Eisenpumper aus der Fitness-Szene machen auf extreme Weise vor, wie es geht. 120-Kilo-Männer, die sich 20-Kilo-Eisenscheiben reihenweise auf die Langhantel packen, sich auf den Rücken legen, die Stange fassen. Die Hände suchen nach dem richtigen Abstand, der Kumpel am Kopfende der Bank in seiner Sporthose mit Tarnmuster und dem Muscleshirt ist bereit, um notfalls ein wenig mitzuhelfen. Und dann: neuer persönlicher Rekord, glückliches Grinsen, schwielige Hände patschen auf nass geschwitzte Schultern. Am Tresen, schmeckt der Proteinshake noch besser als sonst.
Siebeneinhalb Millionen Frauen und Männer sind in deutschen Fitness-Studios angemeldet, so eine Studie. Dort sieht jeder, der einfach bloß ein bisschen fitter werden will, Männer und auch ein paar Frauen das Ideal eines Herkules-Körpers erstreben. Doping ist mit allem, was dazu gehört, im Breitensport angekommen. Die Mengen an Dopingsubstanzen und importierten Medikamenten von irgendwoher, die Zollfahnder jährlich sicherstellen, nehmen kontinuierlich zu.
43 Ermittlungsverfahren führten Zollfahnder in Sachen Doping im Jahr 2006, 1036 waren es im vergangenen Jahr. Dabei läuft alles, was mit Doping und dem Import von Substanzen und Hormonen zu tun hat, unter „Arzneimittelkriminalität“.
Verboten ist in Deutschland nicht die Einnahme von einschlägigen Substanzen – wer sich mit Testosteron, Dinitrophenol oder Stanozol in Form bringen will, den hindert kein Gesetz daran. Verboten sind allein das „In-Verkehr-bringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport“ und deren Anwendung „bei anderen“. Der Pumper im Fitness-Studio darf dopen, der Amateur-Gewichtheber darf es auch – der Wettkampf-Gewichtheber darf es nicht.
Die Liste der Dopingverstöße, die die Nationale Antidoping-Agentur Nada für 2012 veröffentlicht hat, enthält fast hundert Fälle im Verbandssport, wo Doping verpönt ist: Mit einschlägigen Spuren im Urin wurden Boxer erwischt, Gewichtheber, Triathleten, Kanuten, Leichtathleten, Rugby-Spieler, ein Karateka, ein Mitglied des „Deutschen Rasenkraft- und Tauziehverbandes“ und sogar ein Schachspieler. Kokain und die Konzentrationshilfe Ritalin, sind, so sagen Fachleute, für Turnier-Schachspieler interessant.
Viele Kraftsportler finden Doping und medikamentöses Körper-Tuning völlig normal
Der Sportwissenschaftler Michael Kläber hat in zwei Studien den „modernen Muskelkult“ untersucht. Er weiß, dass es für alles das passende Präparat gibt, auch für den muskelmassigen Körper. Jahrelang hat er als Fitnesstrainer im Sportstudio gearbeitet und sieht den typischen Bodybuilder mit seiner durchtrainierten Lebenseinstellung – gesund essen, viel schlafen, nicht rauchen oder trinken – mit Sympathie. Zum Problem wird die biochemische Nachhilfe bei der Arbeit am Traumkörper für Kläber dann, wenn die Muskelmänner aus dem Freihantel-Bereich zu Idolen der 17 oder 18-jährigen Fitness-Studio-Gänger werden – und deren Lieferanten für Clenbuterol, Dinitrophenol, Primobolan oder Stanozolol.
Wer damit anfängt, hört über Jahre nicht mehr auf. Das sagen alle, die sich damit auskennen. „Testosteron“, erzählt ein gut trainierter 120-Kilo-Brocken aus Berlin, sei doch immerhin ein Stoff, den der Körper auch selbst produziere. Dann erklärt er den Sinn zusätzlicher Testosteron Kuren. Er trainiere jeden Tag. Weil die Muskulatur durch das Testosteron auch Wasser ziehe, lindere das Hormon die Schmerzen, die von überstrapazierten Sehnen ausgehen. „Schmerzen, die einen nachts nicht schlafen lassen.“
Das Beunruhigende an diesen Präparaten sind nicht die Massezuwächse oder Euphorie-Effekte. Es sind leichte Erreichbarkeit der Stoffe und die Unkalkulierbarkeit ihrer Nebenwirkungen. Dinitrophenol zum Beispiel gilt als Superschlankmacher. Im Netz kann man es kaufen, wie Unmengen anderer Präparate auch, deren Herkunft und wahre Zusammensetzung nur die Produzenten kennen. Dinitrophenol findet seine Kunden, auch wenn in einem der großen Internet-Foren darüber zu lesen ist, dass es wirke, als koche der Körper sich selbst – und dass es zum Herzstillstand führen könne.
Selten ist die Gefährlichkeit eines Präparats so klar erkennbar gewesen wie beim Tod eines jungen Bodybuilders vor ein paar Jahren. Er hatte in einem Tagebuch aufgeschrieben, womit er sich aufzurüsten versuchte: Dinitrophenol, ein gefährliches Mittel zur Fettreduktion. Auf dem Totenschein steht dann Organ- oder Herzversagen.
Luitpold Kistler verbindet mit diesen Begriffen sehr konkrete Vorstellungen. Der junge Arzt aus dem bayrischen Mainburg hat Todesfälle durch Anabolikamissbrauch untersucht. Seine Doktorarbeit wirkt wie eine Darstellung all dessen, was in einem Pumper-Körper krank werden und kaputtgehen kann. Dabei hat auch Kistler Sympathien für Fitness und Kraftsport. Was ihn jedoch aufbringt und zornig macht, ist das weit verbreitete Denken, dass Doping und medikamentöses Körper-Tuning völlig normal seien. Er hat sich mit dem Thema auch nach seiner Promotion befasst. Bis hin zu Bobfahrern, die ihr Gefährt beim Start mit Masse beschleunigen müssen, gebe es keine Sportart mehr, in der Spitzenleistungen ohne Doping erreicht werden.
Es sind längst nicht mehr nur die manischen Eisenpumper. Jugendliche, noch nicht mal ausgewachsen, wollen mit Substanzen im Frühsommer der Schwimmbadfigur zur eindrucksvollen Performance verhelfen. Junge Frauen wollen, sagt Kistler „normal essen und super ausschauen“. Dafür kombinieren sie Ephedrin, Koffein und Aspirin. Das soll den Kalorienverbrauch beschleunigen und erhöhen. In Studios, unter „Aerobicmädchen“, wie Kistler sagt, ist die Mischung als „EKA“ bekannt. Der Arzt bezeichnet sie als „Terrormechanismus“ für den Körper. Sie erhöhe die Herzfrequenz auf bis zu 180 Schläge morgens, also nach dem Schlaf, und die Körpertemperatur auf dauerhafte 38 Grad. Dieser Umgang mit dem eigenen Körper „wird zunehmen“, sagt Kistler, „da ist das Schönheitsideal einfach zu wichtig“.
Überzeugte Amateur-Bodybuilder rechtfertigen ihren Konsum von Doping-Substanzen mit Hinweis auf eine ansonsten supergesunde, sehr körperbewusste Lebensweise. Bodybuilding, sagen sie, sei ein Lebenskonzept – es geht um den perfekten Körper. Und gebe es im Umgang mit Doping-Substanzen nicht ein Recht auf Selbstschädigung? Jeder Raucher, jeder Drachenflieger nehme es für sich in Anspruch, argumentieren sie.
Der Münchner Oberstaatsanwalt Kay Gräber hält dieses Argument für komplett falsch. Der Ermittler leitet eine der wenigen Schwerpunktabteilungen der Staatsanwaltschaften in Deutschland, die Delikte im Zusammenhang mit Medikamenten und Doping verfolgen. Und er lässt keine Gründe für Doping gelten. Dem Recht auf Selbstschädigung hält Gräber die „Gemeinschädlichkeit“ des Dopings entgegen. Massiv dopende Sportler würden wegen der Nebenwirkungen der Substanzen zu Patienten und damit zur Belastung der Krankenversicherungen und der Allgemeinheit. Zweitens, sagt Gräber, habe seine Abteilung immer mal wieder mit Tötungsdelikten zu tun, bei denen gesteigerte Aggressivität durch Dopingmittel nachweisbar sei – eine Nebenwirkung des Steroid-Konsums.
Der Körper als Projektionsfläche
Die drei bis vier Ermittler der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft haben laut Gräber bislang etwa 2000 Ermittlungsverfahren bearbeitet, Tendenz steigend. 2009 waren es rund 170, im laufenden Jahr rechnet Gräber mit „weit über 600“. Die Ermittler stoßen dabei auf Strukturen, wie sie typisch sind für organisierte Kriminalität: konspirative Tätergruppen um Labore und Hormonküchen herum, „Verschleierungsidentitäten“ beim Vertrieb, das Internet macht es möglich. Die Gewinnspanne sei „exorbitant hoch“, sagt Gräber, und ein Teil der Hersteller und Händler bloß des Geldes wegen dabei.
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist entstanden, als vor ein paar Jahren über strengere Gesetze nachgedacht wurde. Doch aus der „Strafbarkeit des Eigendopings“ und erweiterter Strafvorschriften gegen den Handel mit Dopingsubstanzen wird erstmal nichts. Der von der SPD-Abgeordneten Dagmar Freitag und anderen Sportpolitikern eingebrachte Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes ist an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag gescheitert.
An der Wand eines Lagerraums des Berliner Zolls stapeln sich die Kartons derweil meterhoch. Ein bisschen eingedrückt vom Transport sind viele der handlichen Papp-Verpackungen, deren Inhalt sich die Chemiker demnächst zur Prüfung vornehmen. Die Päckchen und Pakete sind mal fünf, mal zehn oder zwanzig Kilo schwer. Was an ihnen auffällt, sind die chinesischen Schriftzeichen auf breiten Klebestreifen: Importe aus Fernost, die meisten aus China. Per Luftfracht kommen sie nach Deutschland, zehntausende jeden Tag. Andrea Schwarz, Diplom-Chemikerin im Dienst der Bundesfinanzverwaltung, ahnt bei Stichproben schon, was die Päckchen enthalten: ein weißes Pulver, das aussieht wie Salz. Testosteronenantat, Rohstoff und Basis für eine der beliebtesten Doping-Substanzen für Kraftsportler.
Gelangen die Pakete am Zoll vorbei, haben es die Empfänger nicht allzu schwer, aus dem Rohstoff das zu machen, was sich viele Kraftsportler spritzen wollen. Laut Andrea Schwarz gibt es zwei Methoden. Man braucht eine Tablettenpresse oder zum Testosteronenantat noch Rizinusöl und Benzylalkohol sowie Glasbehälter plus Deckel. Dann beginnt das Geschäft mit den Anabolika. Ein 40-Kilo- Päckchen reicht für 50 000 Tabletten. Der Gewinn beläuft sich auf das Tausendfache der Herstellungskosten.
Doping passt zu gut in die Zeit, um verboten zu werden. So sehen es Soziologen und Kulturwissenschaftler. Der Körper, der die meisten schweren, Energie fressenden, Muskeln bildenden Aufgaben und Arbeiten heute nicht mehr leisten muss, ist zur Projektionsfläche geworden. Er transportiert die Vorstellungen vom gelungenen Leben, vom optimierten Selbst. Deswegen laufen Menschen Marathons, machen Kraftsport oder Fitness, bis ihnen ihr Spiegelbild gefällt – und dann erst recht.
Jörg Scheller, Kraftsportler, Kunstwissenschaftler und Autor einer freundlich-kritischen Studie über Arnold Schwarzenegger und dessen „Kunst, ein Leben zu stemmen“, hält persönlich viel vom Eisenpumpen, das ist ihm anzusehen. Aber er hält nichts davon, Amateure einfach immer weiter dopen zu lassen. Die Hardcore-Bodybuilder seien eben auch Profi-Doper, sagt Scheller. Die Amateure hingegen „leben ungleich gefährlicher. Dabei stehen sie nicht einmal in einem Hochleistungswettbewerb – außer mit ihrem verzerrten Selbstbild.“
Erschienen auf der Reportage-Seite.