Olympischen Jugendspiele: Laufen und springen, trommeln und singen
Der Sport soll auch ein Instrument zur Erziehung sein. Bei den Olympischen Jugendspielen könnten Pierre de Coubertins Ideale endlich wahr werden.
Als Leichtathleten oder Schwimmer sind sie angereist, aber wenn sie wieder fahren, sollen sie auch wissen, wie man ein Boot baut und damit rudert. Gegen Konkurrenten aus der ganzen Welt werden sie in ihrer Disziplin kämpfen, aber ein paar Tage später sollen sie neben ihnen sitzen und gemeinsam mit ihnen trommeln und singen. Das sind die Olympischen Jugendspiele, die an diesem Samstag in Singapur zum ersten Mal beginnen. 3600 Athleten zwischen 14 und 18 Jahren. Olympia ganz anders. Olympia ganz neu?
Es könnte auch eine Wiedergeburt werden. 114 Jahre nach den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit könnte sich etwas von dem erfüllen, was sich ihr Gründer Pierre de Coubertin ausgedacht hatte. Spiele für die Jugend der Welt. Gegenseitiges Kennenlernen. Verbindung von Körper und Geist. Denn der Franzose war vor allem Pädagoge, und den Sport hatte er als bestes Instrument zur Erziehung entdeckt. „Warum habe ich die Olympischen Spiele erneuert?“, fragte er. „Um den Sport zu adeln und zu stärken, um ihm Unabhängigkeit und Dauer zu verleihen und um ihn so besser in die Lage zu versetzen, seine erzieherische Rolle ausüben zu können, die ihm in einer modernen Welt obliegt.“
Damit hat es schon zu Lebzeiten Coubertins nicht recht geklappt. Seine Biografin Marie-Thérèse Eyquem zitiert seine Bemerkungen über die Spiele von Saint Louis 1904: „Zwei Aspekte der Spiele müssen bedenklich stimmen: Schwindelei und Maskerade. Eine Leistung ist dann verfälscht, wenn sie als Frucht deines Trainings erzielt wird, das zum Alpha und Omega des Athleten geworden ist (wann hat er denn noch Zeit zum Denken und Arbeiten?) und wenn man ihn wie ein Pferd gedopt hat.“ Und 1936, ein Jahr vor seinem Tod, sagte er: „Möge endlich das Zusammenwirken von Muskelkraft und Denken einen festen Bestand erhalten, um des Fortschritts und um der Menschenwürde willen.“
Nun fangen die Olympischen Jugendspiele also noch einmal von vorn an. „Es ist das erste Mal, dass wir eine Erziehungsveranstaltung austragen. Wir werden dabei Erfolge haben, wir werden Fehler machen“, hat Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt, „die ersten richtig guten Olympischen Spiele haben auch erst 1912 stattgefunden. Wer weiß, wie lange es bei den Jugendspielen dauert. Vielleicht, zwei oder drei Veranstaltungen. Bis wir die richtige Erziehungsphilosophie haben.“
Was die Olympischen Spiele nie halten konnten, weil sie eben nur Sport sind und noch ein bisschen Begegnung im olympischen Dorf, das sollen nun die Jugendspiele erreichen. Mit einem eigenen Kultur- und Erziehungsprogramm, das sich an die Wettkämpfe anschließt und an dem alle teilnehmen müssen. Zum anderen wollen die Jugendspiele die Sicht der Jugendlichen auf den Sport weiten. Auch das ist im Sinne Coubertins. Denn der Spitzensport bedeutet heute oft die Perfektionierung einer einzelnen Disziplin, eines einzelnen Bewegungsablaufs. Der Tunnel ist der angestrebte Bewusstseinszustand, und damit es etwas hübscher klingt, sprechen die Athleten davon, dass sie sich fokussieren müssen. Bei den Jugendspielen sollen die jungen Athleten in der zweiten Woche einmal ganz andere Sportarten ausprobieren, Judo, Basketball, Klettern. Und es wird mehr gemischte Mannschaften mit Mädchen und Jungen und Teilnehmern aus verschiedenen Ländern geben.
Die vielseitigste Sportart des olympischen Programms hatte Coubertin selbst entwickelt: den Modernen Fünfkampf mit Fechten, Schwimmen, Reiten, Laufen und Schießen. Wie sehr sich die olympische Bewegung und ihr neuzeitlicher Gründer Coubertin auseinanderbewegt haben, zeigt der Umstand, dass der Fünfkampf zwischenzeitlich aus dem Programm genommen werden sollte. Seine Biografin Eyquem schreibt, dass Coubertin noch viel weitreichendere Vorstellungen hatte: „Coubertin dachte auch daran, dass der Athlet in seinem Klub neben einem breiten Angebot von Sportarten, die er entsprechend seinen Neigungen und Fähigkeiten auswählen konnte, auch Kurse angeboten bekommen müsste, die für seine intellektuellen und musischen Anlagen Ausdrucksmöglichkeiten bieten würden.“ Musik und Tanz gehören nun auch zum Programm der Jugendspiele. Und so wie Coubertin befürwortete, dass ältere Schüler jüngere anleiten, so wird es bei den Jugendspielen auch ein Mentorensystem geben.
Coubertin sagte über die Jugendlichen: „Ich möchte ihren Blick und ihr Verständnis dadurch weiten, dass ich ihr Horizonte zu anderen Küsten, ja Gestirnen aufzeige, sie vor allem jedoch auf die Universalgeschichte aufmerksam mache; sie können die gegenseitige Achtung wecken und zum Ferment für einen wahrhaft internationalen Frieden werden.“
Der Sport erschien ihm dabei deshalb so wertvoll, weil er zwei gegensätzliche Zustände vereint: Leidenschaft und Mäßigung. Leidenschaftlich rennt der Fußballspieler über den Platz, wenn der Schiedsrichter ihm aber für ein Foul die Gelbe Karte zeigt, muss er seine Leidenschaft zügeln und darf nicht ausrasten. „Der Sport scheint doch unmissverständlich ein moralisches Ideal zu verkünden, es beruht auf der Härte gegen sich selbst und auf der Liebe zum anderen.“
Aber ob die Jugendspiele nun Coubertins Vision einlösen können? Die hört sich schließlich gewaltig geistreich an: „Wenn wir eine 2500 Jahre alte Institution erneuert haben, so deshalb, damit ihr wieder Anhänger einer Religion des Sports werden könnt, wie sie von den Alten erdacht worden ist.“ Eine Vergötterung des Muskelmenschen? Das meint Coubertin jedoch keineswegs. Religion „muss im allgemeinsten Sinn verstanden werden, nicht als Glaube an eine genau umschriebene göttliche Wirklichkeit, sondern als Bindung an das Ideal eines höheren Lebens mit dem Ziel der Vervollkommnung“. Die Jugendlichen in Singapur würden solche Formulierungen sicher nur abschrecken. Man könnte sie einfach übersetzen: Mach was aus dir, übertriff' dich selbst!
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