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Verletzungsrisiken beim Joggen kann jeder selbst minimieren.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kolumne „Losgelaufen“: „Laufen ist manchmal besser als Sex“

Unsere Kolumnistin ist im Internet auf einen Text gestoßen, der über Jogger herzieht. Sie findet, Jogger sind „ein ziemlich normaler Haufen“.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Neulich beim Googeln stieß ich auf eine Titelstory über das Laufen, geschrieben 1978. Unter der irreführenden Überschrift "Laufen – besser als Sex, Drogen und Alkohol" las ich wenig Erbauliches, stattdessen vom "Jogger-Kult" und davon, dass jene, die ihn betreiben, "eingemummelt in schweißtreibende Strumpfhosen" praktisch alles plattlaufen würden, was ihnen unter die Füße kommt.

Man konnte beim Lesen des Artikels gar nicht anders, als Jogger für ein seltsames Völkchen von Spinnern zu halten, denn wer sich "aus freien Stücken, ohne Klub-Mitgliedschaft" auf die Jagd nach dem "Köstlichen" begibt, der muss irgendwie komisch sein und so kam der Artikel auch nicht drum herum zu postulieren, dass der Mensch doch eigentlich nicht fürs Laufen, sondern zum Gehen gemacht sei und dass all die Probleme, die das Joggen bereiten kann, die positiven Effekte sowieso zunichte machen würden.

Aus Liebe wird Abneigung

Um diese Ansicht zu untermauern, ging es im sich anschließenden Artikel gleich um die Abkehr einer Joggerin vom Kult. Offensichtlich schwer enttäuscht, schrieb sie sich den Hass auf jeden, der läuft, von der Seele und bezeichnete Jogger als Lemminge, Umweltbelästiger und als einen ehrgeizigen und ungeselligen Haufen. Erst am Ende des Textes erfuhr der Leser, dass sie selbst zwei Stress-Frakturen hatte und – der wissende Läufer ahnt es – offensichtlich falsch trainiert hatte.

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So ist das manchmal mit den Enttäuschten – da wird aus Liebe Abneigung, die sich dann nicht nur gegen die Sache selbst, sondern gleich auch noch gegen alle wendet, die nicht abschwören wollen. Gott sei Dank hat der Laufsport sich von besagter Titelstory nicht in die Knie zwingen lassen, sondern blüht gerade wieder richtig auf.

Verletzungsrisiko kann jeder selbst minimieren

Schön ist auch, dass die Forschung über vierzig Jahre später deutlich weiter ist, als sie es 1978 war und jeder Läufer, jede Läuferin dank verbesserter Trainingsmethoden und Trainingstechniken, die frei zugänglich sind, das Verletzungsrisiko selbst minimieren kann.

Sitzt, läuft, schreibt: Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin.
Sitzt, läuft, schreibt: Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin.
© Promo

Die wenigsten laufen heute "einfach so drauflos", um dann drei Monate später mit einem Meniskusschaden auf dem Sofa zu liegen und auf das Laufen zu schimpfen. In unserer Zeit spielen andere Parameter eine Rolle, die ich unter dem Begriff Selbstoptimierungswahn zusammenfassen würde und die darin gipfeln, dass Menschen den Leistungs- und Wachstumsgedanken der Wirtschaft auf ihren Körper übertragen. Dann wird das Laufen zur Selbstinszenierung missbraucht, als Baustein in das App-gesteuerte "perfekte Leben" eingetaktet oder als Zuchtmittel zur Höchstleistungs- und Grenzüberschreitungserfahrung eingesetzt.

Für uns anderen, die das Laufen einfach nur genießen und in ihm eine Möglichkeit sehen, sich fitzuhalten und zu entspannen, bleibt am Ende die Erkenntnis, dass das Laufen heute längst keine Modeerscheinung mehr ist, dass wir Jogger wohl eher selten "Gefühle der Allmacht" entwickeln, uns auch nicht für unüberwindlich halten, wie der Artikel von einst weißmachen wollte und ansonsten wohl eher ein ziemlich normaler Haufen sind. Wir ziehen halt nur gern die Laufschuhe an, überlassen uns dem Rhythmus unserer Schritte und ja, manchmal ist das auch besser als Sex, besser als Drogen und Alkohol sowieso.

Jeannette Hagen

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