Das Ende der Hamburg Freezers: Kunstschnee von gestern
Der Fall der Hamburg Freezers zeigt, wie sehr Klubs in der Deutschen Eishockey-Liga am Wohlwollen einzelner Mäzene hängen
Im vergangenen Sommer schwärmte Luc Robitaille, Geschäftsführer der Los Angeles Kings aus der nordamerikanischen Profiliga NHL, von der deutschen Filiale in Hamburg. Er freue sich über die Olympiabewerbung der Stadt, sagte Robitaille. Und: „Der Kunstschnee, der vor den Spielen der Freezers von der Decke rieselt, fantastisch. Das will ich auch bei den Kings einführen.“ Kunstschnee von gestern. Seit Mittwoch. Denn die Freezers, zum Imperium von LA-Kings-Eigner Anschutz gehörend, werden keinen Schnee mehr von der Hallendecke rieseln lassen. Die Anschutz-Gruppe Europa (AEG) beantragt keine Lizenz mehr für die kommende Saison in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL).
Trauernde Fans an der Arena im Hamburger Volkspark, gutgelaunte Klub-Offizielle bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Die Gründe für die unterschiedliche Stimmungslage war simpel: Während am Mittwochmittag 14 Jahre Hamburger Eishockeygeschichte vom Eigner für beendet erklärt wurden, feierte der Traditionsklub Düsseldorfer EG wieder einmal seine Rettung – weil ein Unternehmer als Gesellschafter einsteigt. Zwei Szenarien, ein Zusammenhang: In der DEL hängen die großen Klubs oft an einem Mäzen und ihr Überleben ist allein von dessen Wohlwollen abhängig. Die Adler Mannheim (Dietmar Hopp, Mitbegründer des Software Unternehmens SAP), Nürnberg Ice Tigers (Schmuckproduzent Thomas Sabo), Eisbären Berlin (Anschutz), RB München (Red Bull) oder auch die Grizzlys Wolfsburg (Skoda) würde es ohne ihre großen Gönner womöglich kaum auf diesem Level geben. Wie sehr wird die Liga durch den Kollaps der Freezers erschüttert?
Den Tag vor dem wichtigsten Spiel der Nationalmannschaft seit Jahren, dem WM-Viertelfinale gegen Russland, hatte sich die Anschutz-Gruppe ausgesucht, um die Kunde vom Niedergang der Freezers unters Volk zu bringen. Der Präsident der AEG-Europe, Tom Miserendino, sagte: „Der Besitz von zwei Eishockey-Teams in derselben Liga stellt sich nicht mehr als gangbarer Weg dar, was bedauerlicherweise zu dieser schwierigen Entscheidung geführt hat.“ Volle Konzentration auf den zweiten Anschutz-DEL-Klub Eisbären also. Knallten darauf in Berlin die Korken? Wohl nicht. Eisbären-Geschäftsführer Peter John Lee sagte dem Tagesspiegel: „Die Entscheidung hat nichts mit uns zu tun.“ Aber sie wiege schon „schwer“. Den Eisbären könnte angesichts des Rückzuges der Freezers bewusst geworden sein, wie sehr ihr Überleben vom Wohl und Willen ihres Eigners abhängt. Anschutz steht mit einer Patronatserklärung für die Negativa seines Klubs gerade. Laut Bundesanzeiger lag der gesamte Fehlbetrag nach der vergangenen Saison bei über 50 Millionen Euro.
Bis Dienstag könnten die Freezers noch gerettet werden - es ist aber unwahrscheinlich
Bis zum Dienstag können die Freezers noch die Lizenzunterlagen für die kommende Saison einreichen – falls sich ein Käufer für den Klub findet. Aber das erscheint utopisch. Zumal die Freezers kein prosperierendes Unternehmen sind, rund 54 Millionen Euro soll der Klub die Anschutz-Gruppe in 14 Jahren gekostet haben. Offensichtlich lag ein kulturelles Missverständnis vor: US-amerikanisches Geschäftsdenken verträgt sich schwer mit dem deutschen Sport, in dem es viel um Tradition und Herzblut geht, in dem Mäzene – gerade abseits des Fußballs – viel Geld ausgeben und selten etwas verdienen. Bei der Düsseldorfer EG (Gründungsjahr 1935) war das nicht anders. Aber ein Traditionsklub wird eben schneller gerettet als ein Klub, der sich vom Etikett Retorte nach dem Umzug nach Hamburg im Jahr 2002 – Anschutz machte damals aus seinen München Barons die Freezers – nie so recht befreien konnten.
Zwei DEL-Halbfinalteilnahmen waren die sportlichen Höhepunkte der Freezers. Das war zu wenig, um den Klub ansatzweise vergleichbar mit den Eisbären zu einer starken Marke zu entwickeln, an der viele Menschen hängen. Hätte Anschutz das Ende seines Engagements bei den Eisbären verkündet, wären die Reaktionen in Berlin sicher deftiger als in Hamburg ausgefallen. Dort sagte Sport-Staatsrat Christoph Holstein: „Hamburg bleibt eine internationale und ambitionierte Sportstadt.“
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet RB München den Freezers Trost zutwitterte: „Nirgendwo verlieren wir öfter als bei euch, aber euch wollen wir nicht verlieren!“ Wer weiß, was passiert, wenn Red Bull in München die Lust verliert, weil das avisierte Hallenbauprojekt nicht realisiert werden kann?
Die DEL trifft der Ausstieg der Freezers hart, zuletzt hatte der Klub den viertbesten Zuschauerschnitt der Liga (über 9000 Besucher pro Spiel). Ein Umzug der DEL-Lizenz nach Bremerhaven könnte den Standort Hamburg nicht kompensieren. Der Fall der Freezers zeigt: Mit Profi-Eishockey lässt sich in Deutschland kaum Geld verdienen. Doch eine Reglung wie die „50-plus-1“–Regel in der Fußball-Bundesliga (dort ist es Kapitalanlegern unmöglich, die Stimmenmehrheit bei der Kapitalgesellschaft Profimannschaft zu halten), würde den Klubs in der Liga kaum mehr Stabilität bringen. Denn die Mäzene wollen ihr Hobby Eishockey nach ihren Vorstellungen ausleben können. Die DEL muss mit Fällen wie in Hamburg leben und sie überleben. Das konnte sie zuletzt: Vor drei Jahren zogen sich die Hannover Scorpions zurück, 2010 noch Meister. Eigner Günter Papenburg hatte aber drei Jahre später genug – gezahlt.