Sport: Kulturschock am Tivoli
Alemannia Aachen will auch in der Bundesliga überraschen – nicht nur mit dem maroden Stadion, sondern auch mit offensivem Fußball
Wer hat das Sagen im Verein? In der Sommerpause überraschte die sportliche Leitung der Alemannia das interessierte Publikum mit einem bisher unbekannten Schauspiel. Dieter Hecking, der Trainer, und Jörg Schmadtke, der Sportdirektor, stritten öffentlich über die richtige Transferpolitik. Uneinigkeit oder gar Streit schien es bisher nicht zu geben zwischen den beiden Erfindern der modernen Alemannia. „Wir dürfen nicht immer einer Meinung sein“, sagt Hecking. „Wir streiten öfter mal – allerdings hinter verschlossenen Türen.“ Die Irritationen sind inzwischen ausgeräumt, zumal Schmadtke und Hecking inzwischen begriffen haben, dass sie im Zweifel beide nichts zu sagen haben. In Aachen herrscht die Diktatur der klammen Kasse. Für Transfers und Spielergehälter stehen gerade einmal zwölf Millionen Euro zur Verfügung.
Was hat sich verbessert? Die Liga. 36 Jahre musste Alemannia Aachen auf die Rückkehr in die Bundesliga warten, und angesichts des zwischenzeitlichen Absturzes in die Oberliga Nordrhein schien die Sehnsucht nach der Erstklassigkeit auf ewig unerfüllt zu bleiben. Wie auch immer die Saison also verlaufen wird – richtig schlecht kann es für die Aachener gar nicht werden.
Wie sicher ist der Job des Trainers? Dieter Hecking ist nicht der Liebling des Aachener Publikums, aber das strebt der nüchterne Westfale auch gar nicht an. Der Trainer wird respektiert für seine seriöse, moderne und erfolgreiche Arbeit, und mit seiner Art hat er zumindest im Verein schon stilbildend gewirkt. „Wir wollen die Chance nutzen, uns in der Bundesliga zu beweisen“, sagt Präsident Horst Heinrichs. „Aber unser eigentliches Zuhause bleibt die Zweite Liga.“ Für den Trainer ist das die beste Garantie dafür, dass er seine Arbeit in Ruhe fortführen darf.
Welche Taktik ist zu erwarten? Hecking will auch in der Bundesliga an seinem offensiven Konzept festhalten, das eine vorwärts gerichtete Verteidigung vorsieht und bei dem der Ball nach der Eroberung wenn möglich nach vorne gespielt werden soll. „Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht den ganz großen Hurrafußball spielen“, sagt Hecking. Schon die vorige Saison war von mehr spielerischem Realismus geprägt als die Spielzeit zuvor, „wir konnten auch mal mit einem 0:0 leben“. Die Verpflichtung von U-21-Nationalspieler Matthias Lehmann (1860 München) eröffnet Hecking die Möglichkeit, wieder zwei defensive Mittelfeldspieler aufzubieten. Was bei der Weltmeisterschaft zum Trend wurde, haben die Aachener schon vor zwei Jahren praktiziert.
Welche Platzierung ist möglich? Als der Aufstieg perfekt war, entrollten die Fans auf dem Tivoli ein Transparent mit dem Spruch „Gott will es“. Kann derselbe Gott es nun wollen, dass die Aachener gleich wieder absteigen? Platz 15 (und ein bisschen besser) ist möglich, alle Platzierungen dahinter sind es allerdings auch.
Wer sind die Stars? Nachdem die Publikumslieblinge Erik Meijer und Willi Landgraf ihre Karrieren beendet haben, ist die Stelle des Stars noch nicht besetzt. Vaclav Sverkos und Christian Tiffert hätten gute Chancen gehabt. Aus unterschiedlichen Gründen konnten sie einen Wechsel zur Alemannia allerdings nicht möglich machen. „Das ist der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, sagt Hecking. Gewünscht hatte er sich, dass der Vorstand etwas mehr finanzielles Risiko zugelassen hätte. Er wünschte vergeblich.
Wie sind die Fans? Die Fans werden für die Aachener eine ähnliche Rolle spielen, wie es das Heimpublikum bei der WM für die deutsche Nationalmannschaft getan hat: Sie sind Alemannias letzte Rettung. Die Zahl der Vereinsmitglieder hat sich seit dem Frühjahr auf knapp 8500 fast verdoppelt, sämtliche 15 000 Dauerkarten (bei 21 600 Plätzen) sind verkauft. Die Aachener hoffen nun, dass selbst gestandene Fußballprofis beim Besuch des Tivolis mit seinem morbiden Charme und den fanatischen Anhängern einen Kulturschock erleben werden.
Wer ist der WM-Held? Dieter Hecking, weil er sehr souverän und gelassen auf die Empfehlung Oliver Bierhoffs reagiert hat, die Liga möge doch Jürgen Klinsmanns Beispiel folgen. Hecking regte an, dass der Trainerstab der Nationalmannschaft seine Methoden einmal vor den Kollegen aus der Bundesliga präsentiert. Mit dieser Einstellung kommt man weiter.
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