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Gar nicht rüpelhaft. Im 7er-Rugby geht es vor allem um Speed und Beweglichkeit. Portia Woodman zeigte in Rio den überforderten Kenianerinnen, wie es geht.
© REUTERS

Rugby ist zurück bei den Olympischen Spielen: Kultiviert und katzenhaft

Nach 92 Jahren ist Rugby zurückgekehrt zu den Olympischen Spielen. Wurde es einst als zu brutal verbannt, ist in der 7er-Variante vom rüden Sport nicht mehr viel zu sehen.

Adelung? Erfolgt. Um kurz vor ein Uhr mittags, unten spielen gerade die Mannschaften der USA und Fidschi, aber die Welt schaut eher beiläufig zu. Denn jetzt läuft die Weltregierung des Sports ein. Thomas Bach erscheint mit seiner Entourage, und wo der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) auftritt, sind die Kameras nicht weit. Alle Objektive richten sich also auf die Tribüne im Stadion von Deodoro. Hier wird gerade der harte Männersport Rugby gegeben, von grazilen Frauen mit katzenartigen Bewegungen, Bach nickt erkennend, worauf sich noch ein paar Leute mehr umdrehen und ihre Mobiltelefone in den Fotomodus umschalten. Rugby ist wieder da.

Es ist ein bisschen anders als bei der letzten olympischen Vorstellung, die jetzt schon 92 Jahre zurück liegt. Rugby ist der Wegbereiter des modernen Ballsports, es hat etwa den Fußball erst möglich gemacht, aber nach den Spielen 1924 in Paris erschien es Olympia zu rau und brutal und zu unzeitgemäß, als dass die Jugend der Welt nach dem Krieg darin ihre Erfüllung hätte finden können oder besser sollen. In Paris kam es damals beim Finale zwischen den USA und Australien zu Schlägereien auf der Tribüne, und beinahe hätten Fans das Spielfeld gestürmt.

Vor sieben Jahren hat das IOC bei seiner Session in Kopenhagen das Rugby wieder aufgenommen. Das Comeback steigt im Parque Olimpico von Deodoro, einem weitläufigen Komplex im Osten von Rio de Janeiro. Links wird Hockey gespielt, rechts schießen die Schützen, und in der Mitte spurtet Portia Woodman, eine 25-jährige Neuseeländerin, die in Rio kaum einer erkennt und daheim schon als kommender Weltstar gehandelt wird. Portia Woodman hat ihre sportliche Karriere beim Netball begonnen und ist erst vor drei Jahren zum Rugby gewechselt. Netball ist eine Variante des Basketballs, die noch ein bisschen körperloser daherkommt und damit so gar nichts zu tun hat mit Rugby, von dem Männer gern nach dem dritten Bier in der Kneipe schwärmen.

„Ist schon großartig hier“

Den Anfang machen in Rio die Frauen. „Ist schon großartig hier“, sagt Portia Woodman. Sie ist 25 Jahre alt und war in den vergangenen Tagen schon an der Copacabana und bei der Eröffnungsfeier im Maracana, aber „am größten war der Moment, als ich zum ersten Mal den olympischen Rasen betreten durfte“. Der olympische Rasen besteht im konkreten Fall aus Kunstfasern. Neuseeland kickt den Ball zur Eröffnung ins Spiel, und zwölf Sekunden später legt Portia Woodman den Ball schon zum ersten Versuch gegen Kenia hinter die Grundlinie. „Hat sich schön angefühlt“, sagt sie, kein böses Wort gegen die armen Mädchen aus Kenia, die nicht wissen wo links ist oder rechts und von Neuseeland überrannt werden wie vor zwei Jahren die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft von der deutschen in Belo Horizonte.

Rugby ist für gewöhnlich ein Sport, den Nicht-Rugby-Spieler schwerlich verstehen. Jeweils 15 große und dicke und kräftige Männer stehen sich gegenüber, und am Ende gewinnt, wer größer, dicker und kräftiger ist. So lautet das gängige Vorurteil, und um diesem zu begegnen, hat sich das Rugby klein gemacht. In Rio spielen sie die 7er-Variante, es stehen also nur noch insgesamt 14 Spieler auf dem Platz, aber das Feld bleibt genauso groß.

Die kurze Spielzeit von zweimal sieben Minuten ermöglicht ganze Turniere an einem Wochenende, das olympische Finale der Frauen etwa wurde am Samstag begonnen und endet am Montag. Der großzügige Raum auf dem Platz wird bevorzugt von wendigen und schnellen Spielern genutzt. Zum Beispiel von Portia Woodman, der dunkelgelockten Frau aus Auckland, die nur auf den ersten Blick kräftig wirkt und auf den zweiten mit virtuoser Leichtfüßigkeit am Kreidestrich entlang läuft.

Für den Laien ist 7er-Rugby sehr viel aufregender als die klassische Variante. Es gibt keine unbeweglichen Muskelprotze, wie sie das Vorurteil verlangt. Wichtiger sind Speed und Beweglichkeit. Um die 1000 Spielerinnen hat Neuseeland für die Olympia-Premiere des 7er-Rugby gescoutet, Portia Woodman war von Anfang an gesetzt. Gegen die armen Kenianerinnen saust sie immer über den linken Flügel, den Ball in der linken Hand, wenn nicht gerade eine Gegnerin dazwischen kommt, die mit dem Ellenbogen zur Seite gestoßen werden muss, aber die Gefahr besteht in Deodoro nicht wirklich. Kenia kämpft lieb und leidenschaftlich und kommt drei Minuten vor Schluss zum ersten Mal über die Mittellinie. Am Ende heißt es 56:0.

Rugby ist in Neuseeland ungefähr das, was der Fußball in Deutschland ist, nur noch ein bisschen populärer. Das Frauenteam nennt sich Seven Sisters und zählt in Rio zu den Anwärterinnen auf Gold, der härteste Konkurrent ist der Lieblingsfeind und Nachbar Australien. Dieses Traditionsduell gibt es natürlich auch bei den Männern, sie treffen sich in Rio zum großen Dreikampf mit Fidschi. Der winzige Inselstaat könnte in Rio die erste Medaille seiner olympischen Geschichte holen, und ganz bestimmt wird Thomas Bach dann wieder auf der Tribüne von Deodoro sitzen.

Sven Goldmann

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