Vierschanzentournee: Kobayashi gelingt der Grand Slam – Eisenbichler Zweiter
Ryoyu Kobayashi gewinnt auch in Bischofshofen und holt sich den Gesamtsieg der Tournee. Der Japaner revolutioniert mit seinem Stil das Skispringen.
Auf den Schultern seiner Teamkollegen wurde Ryoyu Kobayashi durch den Schanzenauslauf in Bischofshofen getragen. Die Japaner hatten ja auch Großes zu feiern. Der 22-Jährige holte am Sonntag im dichten Flockenwirbel nicht nur den Gesamtsieg bei der 67. Vierschanzentournee, er gewann auch als dritter Skispringer überhaupt alle vier Springen. Zu den ersten Gratulanten gehörten Markus Eisenbichler und Stephan Leyhe, die mit den Plätzen zwei und drei in der Gesamtwertung das beste deutsche Tournee-Ergebnis seit 17 Jahren schafften.
Bundestrainer Werner Schuster bilanzierte deshalb: „Wir müssen schlucken, dass wir auch dieses Mal bei der Tournee an einem Überflieger gescheitert sind. Kobayashi war einfach eine Klasse für sich.“ 62,1 Punkte hatte Kobayashi am Ende Vorsprung in der Gesamtwertung vor dem zweitplatzierten Eisenbichler – das sind umgerechnet 34,5 Meter. Vor ihm hatten nur der letzte deutsche Gesamtsieger Sven Hannawald (2001/2002) und der Pole Kamil Stoch (2017/2018) das Kunststück geschafft, alle vier Springen bei einer Tournee zu gewinnen.
Kobayashi gelang nun der erste japanische Gesamtsieg seit Kazuyoshu Funaki vor 21 Jahren. Funaki revolutionierte 1998 mit seinem Flugstil mit extremer Vorlage zwischen den Ski das Skispringen – so wie es heute Kobayashi mit seinem Katapult-Stil tut. „Es ist absolut faszinierend, mit welcher Leichtigkeit er sich nach dem Absprung wegkatapultiert“, schwärmt Schuster.
Funaki und Kobayashi haben noch mehr gemeinsam: Sie lieben auch die Vergnügungen des Lebens. Funaki galt seinerzeit als Kettenraucher und gab zu, „auch gern mal einen zu trinken“. Kobayashi widmete sich bis vor einiger Zeit gern schnellen Autos, statt zu trainieren. Noch heute bezeichnet sich der Frauenschwarm als „etwas verrückten Neo-Japaner“. Doch er ergänzt: „Ich habe mich ablenken lassen. Aber dann habe ich verstanden, dass ich viel mehr machen muss, wenn ich siegen will.“
Den Schalter umzulegen ist dem 22-Jährigen sehr überzeugend gelungen, auch wenn er noch heute mit seiner extrovertierten Art ein eher ungewöhnlicher Vertreter aus dem Land der aufgehenden Sonne ist. Bis vor dieser Saison war ein sechster Platz sein bestes Resultat, in diesem Jahr dominiert er als Seriensieger die Skisprung-Welt. Zu verdanken hat er das seinem 46 Jahren alten Teamkollegen Noriaki Kasai, der ihn in sein Firmenteam geholt hat und als Mentor unterstützt. Eine wichtige Rolle spielte auch das Trainerteam um den ehemaligen Topspringer Hideharu Miyahira, das dem neuen Überflieger ein paar Flausen ausgetrieben hat.
Kobayashi gilt als die Zukunft des Skispringens
Jetzt ist Kobayashi die unbestrittene Nummer eins der Fliegerwelt, zu dem alle aufblicken. „Er ist einfach extrem gut, das muss man neidlos anerkennen. Wer das nicht tut, hat eine Schraube locker“, sagt Eisenbichler. Dieter Thoma ist sich sogar sicher, dass Kobayashi „die Zukunft des Skispringens ist“.
Das hat auch etwas mit einer etwas anderen Philosophie vom Skispringen zu tun. Der athletische Kobayashi ist vom Gewicht etwas schwerer als die Konkurrenz im Verhältnis zur Körpergröße und darf deshalb etwas längere Ski springen. „Dadurch hat er beim Flug mehr Fläche, die er nutzen kann. Das könnte zu einem neuen Trend im Skispringen werden. Kobayashi hat gezeigt, dass man auch mit einem normaleren Gewicht extrem erfolgreich sein kann“, sagt Hannawald.
Ryoyu Kobayashi hat bei dieser Tournee noch einen draufgesetzt, wie Hannawald findet: „Stoch hat es im Vorjahr geschafft, keine Geschwindigkeit in der entscheidenden Flugphase zu verlieren, aber Kobayashi wird sogar immer schneller. Dadurch fliegt er unten weiter, wenn alle anderen schon landen müssen. Durch diesen Stil ballert es ihn regelrecht weg.“
Dabei hat Kobayashi seine Karriere einst als Nordischer Kombinierer begonnen und war somit auch Skilangläufer. Zum Fliegen brachte ihn dann sein Vater, genau wie seine drei Geschwister. Ryoyus fünf Jahre älterer Bruder Junshiro klopfte in den vergangenen Jahren an die Tür zur Weltspitze an und gehörte bei dieser Tournee als Fünfter des Neujahrsspringens wie einige weitere japanische Skispringer zu den positiven Überraschungen. Vor allem aber baute er im Doppelzimmer bei der Tournee seinen Bruder Ryoyu auf. Das Ergebnis: Der Überflieger überzeugte nicht nur mit seinen spektakulären Weiten, sondern trotz allen Trubels auch mit großer Nervenstärke.
Lars Becker