Bundesliga-Transfers: Kevin De Bruyne und das runde Gold
Der Fußball entfremdet sich von dem lokalen Umfeld, das ihn in seine Sonderrolle gehievt hat. Die Balance geht verloren. Ein Kommentar.
Ein blasser Belgier bestimmt in diesen Tagen die Gespräche von Millionen Deutschen. Er heißt Kevin De Bruyne, kann recht gut Fußball spielen und wechselt wohl für 75 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg zu Manchester City nach England. Dieser Verkaufspreis wäre Rekord im deutschen Fußball. Nun wird diskutiert: Ist ein Fußballer diese Summe wert? Wenn man die Logik von Angebot und Nachfrage zugrunde legt, dann muss die Antwort lauten: Ja.
Der Profifußball hat es geschafft, sich aus den Stadien in den Alltag vieler Menschen zu transferieren. Fußball ist das neue Wetter, Transferklatsch der kleinste gemeinsame Smalltalk-Nenner. Zumindest bei einem Geschlecht: Zwei Drittel der deutschen Männer interessieren sich dafür, bei den Frauen sind es 19 Prozent.
Doch wenn wir über Fußball reden, reden wir nicht über Sport im eigentlichen Sinn. Das Kicken liegt nach Schwimmen, Häkeln und Stricken abgeschlagen auf einem hinteren Platz als beliebteste Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Auf Rang eins: Fernsehen. Seinen Aufstieg zum eigenen Industriezweig hat der Profifußball der Tatsache zu verdanken, dass er den Sendern ein ideales Unterhaltungsformat bietet. Auf Spielfilmlänge verbindet er dramatische, ungescriptete Handlung und Emotionen mit größtmöglicher Unverfänglichkeit.
Die überhöhten Transfersummen sind eine direkte Folge der Überhöhung des Livefußballs im Fernsehen. Das Geschäft mit den Lizenzen spült das meiste Geld in die Kassen der Klubs. Die englische Liga dominiert in dieser Disziplin von der Spitze weg. Sie dringt mit immer neuen Vermarktungsmodellen in die entlegensten Bildschirmwinkel der Welt vor. Gut die Hälfte ihrer Einnahmen generiert die Premier League durch Verträge mit ausländischen Sendern, vornehmlich in Asien. Die Bundesliga hat auf solch aggressives Wachstum lange verzichtet. Nun will sie nachziehen, will mit neuen Anstoßzeiten FC-Fans in Seoul gewinnen und BVB-Anhänger in Guangzhou – aus Angst, von den Engländern abgehängt zu werden. Der Kampf der Ligen, in dem auch Spanien und Italien mitmischen, erinnert an frühere Wettrennen um geopolitische Einflusssphären.
Die Bundeskanzlerin ist lieber bei der Nationalelf als im Flüchtlingsheim
Mit dem ungezügelten Expansionsdrang macht sich der Profifußball angreifbar. Weil das Spiel die Menschen so sehr bewegt, hat es bisher alle Affären nahezu unbeschadet überstanden. Wo Griechenland um jede Million betteln muss, genießen die hochverschuldeten Klubs gefühlt den gleichen Schutz wie systemrelevante Großbanken. Dazu trägt auch die Politik bei. Die Bundeskanzlerin ist lieber bei der Nationalelf als im Flüchtlingsheim, weil sie weiß, dass sie in Fußballerkabinen leichter beim Volk punkten kann.
Durch die Ausrichtung der nationalen Ligen aufs Export/Import-Geschäft droht aber langfristig die Entfremdung von genau jenem lokalen Umfeld, das den Fußball in seine Sonderrolle gehievt hat. Schon heute spürt Fußball-England eine Art Gentrifizierung: Die Einheimischen werden verdrängt. Vom Rasen durch die millionenschweren Weltstars und inzwischen auch von den teuren Sitzplätzen, auf denen sich potente Fußballtouristen breitmachen. Dabei spielen die singenden Anhänger hinterm Tor eine entscheidende Rolle in der erfolgreichen Inszenierung des Profifußballs. Ohne sie wirkt auch das schillerndste Trikot im asiatischen Fernsehen blass. Ob nun Kevin De Bruyne drinsteckt oder nicht.