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Einer für alle. Roger Federer ist beliebter als jeder andere Tennisspieler. Und 2017 auch wieder der beste.
© AFP

Roger Federer: Keiner von seinem Schlag

Roger Federers Tennis ist eine Kunstform. Er trotzt allen Gesetzen – und der Zeit. In Wimbledon hat er mit 35 den nächsten Rekord aufgestellt. Eine Huldigung.

Die Definition von Schönheit ist eine subjektive. Was dem einen gefällt, muss der andere noch lange nicht mögen. Doch es gibt Ausnahmen, quasi übergeordnete Dinge. Im Sport ist Schönheit oft nur ein Nebeneffekt. Im Vordergrund steht das Ergebnis, wenn es durch schönes Spiel erzielt wird – umso besser. Wenn nicht, gilt das berühmte Motto von den durch den Zweck geheiligten Mitteln. Und doch gibt es auch im Sport immer wieder Athleten, die über allen schweben. Muhammad Ali tanzte mit den Gegnern im Boxring, Michael Jordan ignorierte mit dem Basketball in der Hand die Schwerkraft.

Und dann ist da Roger Federer, der Gentleman auf dem Tennisplatz, über den der US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace einst schrieb: „Die metaphysische Erklärung ist, dass Roger Federer zu jenen seltenen, übernatürlichen Athleten gehört, die bestimmten physikalischen Gesetzen, wenigstens teilweise, nicht unterliegen.“

Federer hat in seiner Karriere Schläge gezeigt, die es im Tennis so vorher nicht zu sehen gab. Und er hat sie mit einer Leichtigkeit ausgeführt, die die Bewunderung für ihn nur noch größer werden ließ. Doch sogar Roger Federer hat einen Gegner, der selbst für ihn lange übermächtig schien: die Zeit. Der Schweizer feiert in ein paar Wochen seinen 36. Geburtstag – ein für Tennisverhältnisse fast schon biblisches Alter. Große Siege jenseits der 30 sind selten, jenseits der 35 sind sie eine Rarität. Doch Federer wäre nicht der weltweit bewunderte Ausnahmeathlet, wenn er nicht auch der Zeit trotzen könnte. Er hat dafür ein bisschen Anlauf gebraucht – viereinhalb Jahre um genau zu sein. In Melbourne im Januar meldete er sich bei den Australian Open sensationell mit dem Turniersieg zurück, jetzt hat er in Wimbledon den ersehnten achten Titel gewonnen.

2017 hat er nur sieben Turniere gespielt - fünf davon konnte er gewinnen

Die Lust am Tennis ist einer der Gründe für den nicht enden wollenden Erfolg des Schweizers. Während einst Björn Borg oder später auch die Deutschen Boris Becker und Michael Stich nach ihren großen Siegen gar nicht schnell genug ihre Profikarrieren beenden konnten, spielt Roger Federer einfach immer weiter. „Ich denke nicht mehr so sehr an die Weltranglistenpunkte, ich denke an meine Gesundheit und an Turniersiege“, hatte er in Halle, gesagt, als er das Vorbereitungsturnier auf Wimbledon mal wieder gewinnen konnte.

Das mit der Gesundheit war für ihn in seiner Karriere nur selten wirklich ein Thema, doch im vergangenen Jahr verpasste er nach seiner Niederlage im Wimbledon-Halbfinale den Rest der Saison aufgrund von Knieproblemen. Daraus hat Federer die Lehre gezogen, seinen Körper noch dosierter zu beanspruchen. So hat er 2017 bisher nur sieben Turniere insgesamt bestritten – fünf davon konnte er gewinnen. Die Sandplatzsaison ließ er gleich komplett aus, nach dem Sieg in Miami legte er eine zehnwöchige Pause ein. „Das werde ich jetzt häufiger so machen, so kann ich meine Karriere verlängern.“

Es ist sind Worte wie diese, die die Herzen vieler Tennisfans höher schlagen lassen. Denn Federer ist nicht nur der wohl beste Spieler der Geschichte seines Sports, er ist auch der beliebteste. In Wimbledon war die Begeisterung für ihn beinahe noch größer als die für den Local Hero Andy Murray. Und wenn er wieder einmal einen Punkt in der für ihn so typischen, fast lässigen Eleganz gewinnen konnte, zauberte Roger Federer den Fans fast schon Glückseligkeit in die Gesichter. Sein Spiel löst eine Begeisterung aus, wie es sie im Sport Ländergrenzen überschreitend nur selten gibt. Und das ist auch nicht erst so, seit sein Karriereende näher rückt.

Federer-Fan zu sein, gilt unverändert als schick

Als Federer 2004 erstmals zur Nummer eins der Tennis-Weltrangliste aufsteigt, beginnt er größer als sein Sport zu werden. Seine Art Tennis zu spielen, wird zu einer Art Kunstform erhoben. Federer ist der „Maestro“, seine Matches gleichen einem Happening. Schriftsteller, Musiker, ja selbst die britische Royal Family feuern den Mann aus Basel an. Und Federer-Fan zu sein, gilt unverändert als schick. Weil sich sein Spiel so sehr abhebt von dem aller anderen. Es wirkt ungemein locker und strotzt dennoch vor unbändiger Kraft, kaum ist ein Sportler der Perfektion wohl so nahe gekommen. „Das Geheimnis von Federers überlegener Entspanntheit liegt in seiner Fähigkeit, sich bei wachem Willen und voller Bewusstheit von ebendiesen auch lösen zu können“, schreibt Dominique Eigenmann in seiner Buch-Hommage „Faszination Federer“.

Und obwohl Federer mit seinem Tennis geradezu in himmlischen Sphären wandelt, scheint es so, als würde er als Mensch immer die Bodenhaftung behalten. Soweit es ihm möglich ist, führt er mit Frau Mirka und den vier Kindern ein normales Leben. Federer wirkt authentisch, auch wenn er die Inszenierung durchaus beherrscht. Gerade in Wimbledon, dem Turnier, das zu seiner Art Tennis zu spielen so gut passt wie kein zweites. Hier hat er Titel schon mal im weißen Anzug gefeiert. Was bei Kollegen als aufgesetzt gelten würde, ist im Falle von Roger Federer nur der optische Beleg seiner Einzigartigkeit.

Federer lebt weiter die Leichtigkeit des Seins auf dem Tennisplatz

Doch Talent ist immer nur die eine Seite. In Schönheit gestorben sind im Sport schon viele. Es gehört stets auch Arbeit dazu – und der Respekt vor der Konkurrenz. Federer wäre nicht so beliebt bei vielen Kollegen, wenn er sie herablassend behandeln würde. Das fast schon freundschaftliche Verhältnis mit seinem Erzrivalen Rafael Nadal ist ein seltener Beleg dafür, dass es im Profisport sogar unter den absoluten Topstars auch anders geht. Über den Deutschen Alexander Zverev sagte er nach seinem Sieg in Halle: „Ich freue mich sehr für ihn, wie er sich entwickelt hat. Ihm gehört die Zukunft.“ Federer spricht es aus – und man nimmt ihm ab, dass er es auch so meint.

Im Moment muss diese Zukunft aber noch warten. Roger Federer lebt weiter die Leichtigkeit des Seins auf dem Tennisplatz. Sein Spiel wirkt dabei inzwischen minimalistischer als noch vor einem Jahrzehnt. Punkte will er vor allem schnell erzielen, das Risiko von Fehlern nimmt er bewusst in Kauf. Mit seiner Rückhand spielt er die Bälle in dieser Saison härter und flacher. Aus einer kleinen Schwäche, die gerade Rafael Nadal in der Vergangenheit gnadenlos ausnutzte, ist eine Stärke geworden.

Mit diesem Bewusstsein ausgerüstet, hat Federer in Wimbledon Historisches geschafft. „Es würde mir sehr viel bedeuten, dort zum achten Mal den Titel zu gewinnen und alleiniger Rekordhalter zu werden“, sagte er schon vor dem Turnier. Nun verneigt sich die Sportwelt einmal mehr vor einem ihrer größten Stars. Der Glaube an die Überlegenheit der Schönheit im Sport lebt weiter.

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