Hertha und die neunte Auswärtsniederlage in Folge: „Kaum eine klare Torchance hinbekommen“
Trotz neunter Auswärtsniederlage in Folge: Hertha BSC bleibt im Rennen ums internationale Geschäft. An der stark schwankenden Leistung zwischen Auswärts- und Heimspielen muss die Mannschaft jedoch dringend arbeiten.
Im grün-weißen Block setzten sie auf altbekanntes und unter Fußballfans hochpopuläres Liedgut. „Europapokal, Europapokaaaal…“ schallte es am Samstag aus der Kurve des Weserstadions, später am Abend fand der Gassenhauer natürlich seinen Weg über den Osterdeich in die einschlägigen Lokale der Bremer Innenstadt. Ganz Unrecht hatten die Werder-Fans ja auch nicht, am 31. Spieltag der Fußball-Bundesliga war es schließlich im Kern darum gegangen, die eigenen Aktien im Kampf um die Qualifikation für das internationale Geschäft zu verbessern. Den Bremern gelang das in Form eines ungefährdeten 2:0 (2:0)-Heimsiegs gegen Hertha BSC. Die wirklich überraschende Erkenntnis des Tages war allerdings eine andere, aus Berliner Sicht durchaus positive: Dass in der Tabelle nämlich eigentlich gar nichts passiert ist, trotz Herthas nunmehr neunter Auswärtsniederlage in Folge.
„Wir sind immer noch Fünfter?“, fragte Torhüter Rune Jarstein kurz nach dem Abpfiff ungläubig nach, „das ist natürlich gut“. Es hatte allerdings weniger mit der eigenen, vor allem in Halbzeit eins absurd schlechten Leistung zu tun als vielmehr mit dem überraschenden Ergebnis in Darmstadt, wo der ortsansässige SV 98 den SC Freiburg besiegte (3:0). „Alle Teams, die um die Europapokal-Plätze kämpfen, erleben seit Wochen Höhen und Tiefen“, sprach Sebastian Langkamp. „Zum Glück spielen wir nächste Woche wieder zu Hause“, fügte der Innenverteidiger an und zwang sich zu einem kurzen Lächeln. Dann kommt RB Leipzig zum Spitzenspiel ins Olympia-Stadion.
Ganz so schnell, wie es sich mancher im blau-weißen Trikot, ob nun Fan oder aktiv Beteiligter wünschte, ließ sich das Erlebte allerdings nicht abhaken. Dafür war die Diskrepanz zwischen dem, was Hertha daheim zu leisten im Stande ist und was die Mannschaft in unschöner Regelmäßigkeit in fremden Stadien darbietet, mal wieder viel zu groß gewesen. „Wir wussten ganz genau, dass Werder sehr konterstark ist, das wollten wir unbedingt vermeiden“, analysierte Stürmer Vedad Ibisevic. „Hat leider überhaupt nicht geklappt.“ Faktisch ließen sich die Berliner nach wenigen Minuten im gegnerischen Stadion auskontern, das 1:0 durch Fin Bartels fiel nach einem Hertha-Freistoß tief in der Bremer Hälfte. „Eigentlich haben wir da einen klaren Vorteil, eine gefährliche Situation“, sagte Maximilian Mittelstädt, „das darf uns so nicht passieren.“ Ebensowenig wie der slapstickartige Fehlpass, mit dem Torhüter Rune Jarstein das vorentscheidende 2:0 einläutete. „Das waren zwei Geschenke“, ergänzte Mittelstädt, „zwei wirklich, wirklich blöde Gegentore.“
Lange Mängelliste in der ersten Halbzeit
Trainer Pal Dardai betonte später zwar, er könne seiner Mannschaft keinen Vorwurf machen, „jedenfalls nicht in der zweiten Halbzeit“. Dafür war die Mängelliste in Durchgang eins so lang, dass die Aufarbeitung wohl einige Tage in Anspruch nehmen dürfte. „Wenn wir eine Analyse machen, wie wir auswärts in der Anfangsphase auftreten, ist das schon sehr merkwürdig“, sagte Dardai, „wir haben ja kaum eine klare Torchance hinbekommen, keinen dynamischen Abschluss.“
Es sprach für Dardai und seine Profis, dass sie sich immerhin nicht in Ausreden und Alibis für das kollektive Versagen in Halbzeit eins flüchteten, obwohl diese durchaus nahe lagen: In Bremen hatte der Trainer bekanntlich auf sechs Spieler verzichten müssen, die für gewöhnlich zum Kandidatenkreis für die Startelf gehören (John Anthony Brooks, Niklas Stark, Fabian Lustenberger, Valentin Stocker, Marvin Plattenhardt, Mitchell Weiser). Dass fünf von ihnen gelernte Verteidiger sind oder zumindest eine Position in der Viererkette einnehmen können, machte die Aufgabe gegen die Bundesliga-Mannschaft der Stunde nicht eben einfacher. „Dass unsere jungen Spieler Qualität haben, steht außer Frage“, sagte Ibisevic, „aber es ist auch klar, dass sie nicht die gleiche Leistung bringen können wie die Verletzten.“ Trotzdem, betonte der Bosnier, sei das kein Grund für die neunte Auswärtsniederlage in Folge und für die Niederlage. Tatsächlich zählten die jungen Maximilian Mittelstädt, 20, und Jordan Torunarigha, 19, noch zu den besseren Spielern im Berliner Trikot.
Was die neuerliche Niederlage für die Ambitionen im Europapokal bedeuten, wurde Trainer Dardai noch gefragt. „Die Realität braucht Respekt“, sagte der Ungar, „wenn wir es nicht schaffen, sind wir noch nicht so weit, und das müssten wir dann auch akzeptieren.“ Andererseits hat Dardai auch am Samstag wieder eine Rechnung aufgemacht, die sehr zielführend klang, deutlich zielführender jedenfalls als das, was Hertha vorher gezeigt hatte. „Wenn wir sechs Punkte aus den letzten drei Spielen holen, sollte das reichen“, sagte er. Dann könnte auch der Hertha-Anhang das gute, alte Europapokal-Lied anstimmen.