Topspiel bei Borussia Dortmund: Kann Hertha BSC einen Großen ärgern?
Die Auftritte von Hertha BSC erinnern an die erfolgreiche Hinrunde der Vorsaison – im Topspiel gegen den BVB will die Mannschaft nun beweisen, dass sie auch gegen die Großen bestehen kann.
Pal Dardai hat sich in inzwischen zwei Jahrzehnten in Berlin nicht ganz zu Unrecht den Ruf erarbeitet, ein recht gelassener Zeitgenosse zu sein. Und doch ist es relativ einfach, den Ungarn zum Brodeln zu bringen. Man muss ihn nur auf diesen Sommer ansprechen und die vorherrschende Meinung zu seinem Arbeitgeber. Um es kurz zusammenzufassen: Noch vor ein paar Wochen hätte Hertha BSC kaum jemand in der Spitzengruppe der Fußball-Bundesliga erwartet.
Dardai hat das als Cheftrainer der Berliner schon von Amts wegen ein bisschen anders gesehen. Die defätistischen Äußerungen, die auch an sein Ohr gedrungen sind, hat er für total überzogen gehalten. Die Realität gibt ihm gerade auf beeindruckende Weise Recht.
Erst sechs Spieltage ist die Saison alt – und schon zum zweiten Mal darf Hertha ein Spitzenspiel bestreiten. Dem Duell mit Meister Bayern vor drei Wochen folgt heute (20.30 Uhr, Sky) das Auswärtsspiel bei Vizemeister Borussia Dortmund. Hertha reist als Zweiter zum Dritten, allerdings ohne Fabian Lustenberger (Beckenprellung) und Julian Schieber (Muskelprobleme im Oberschenkel). Nicht nur deshalb sagt Manager Michael Preetz: „Jeder weiß, dass wir Dortmund nicht auf Augenhöhe begegnen. Aber es weiß auch jeder, dass wir gegen Dortmund – anders als gegen Bayern – auch schon mal überraschen konnten.“
Anfang des Jahres trotzten die Berliner dem BVB im eigenen Stadion ein 0:0 ab, in dem Hertha allgemein als leichter Punktsieger gesehen worden war; ein paar Wochen später allerdings sah es im Pokal-Halbfinale wieder ganz anders aus. Die Dortmunder waren so überlegen, dass Hertha bei der 0:3-Niederlage nicht den Hauch einer Chance hatte. Die Begegnung heute Abend ist so etwas wie das inoffizielle Rückspiel. Natürlich kann Hertha nicht noch nachträglich ins Pokalfinale einziehen; aber vielleicht gelingt es zumindest den Eindruck zurechtzurücken, der sich an jenem deprimierenden Abend im April verfestigt hatte: Klubs wie der BVB sind für die Berliner noch mehr als eine Nummer zu groß.
Die Berliner spielen oft so wie in der Hinrunde der vergangen Saison - da wurden sie Dritter
Vieles, was die Berliner in der noch frischen Saison auf den Rasen bringen, erinnert an die Hinrunde der Vorsaison, die Hertha etwas überraschend auf Platz drei abgeschlossen hatte. Die Mannschaft zeichnet sich jetzt wieder durch Kompaktheit, Stabilität und Effizienz aus. Markus Gisdol, der Trainer des Hamburger SV, hat vor zwei Wochen, nach der 0:2-Niederlage seines Teams, über Hertha gesagt: „Das ist eine Mannschaft, die aktuell sehr schwer zu spielen ist, weil sie eine sehr große Sicherheit in ihrem Spiel hat.“ In Berlin werde jetzt schon seit Längerem gute Arbeit geleistet, „das kann man als Gegner gut feststellen“. Auch Dortmunds Trainer Thomas Tuchel, der heute auf die beiden ehemaligen Herthaner Lukasz Piszczek und Adrian Ramos verzichten muss, erwartet „einen sehr hartnäckigen Gegner“. Seine Mannschaft müsse viel Geduld aufbringen, „denn die Berliner ruhen in sich“.
Herthas Profi Jens Hegeler, der das Analysesystem Packing mit entwickelt hat, sagt: „Was wir sehr gut machen, ist, dem Gegner unser Spiel aufzuzwingen. Wir überspielen zwar nicht besonders viele Spieler. Wir werden aber auch unglaublich wenig überspielt.“ Hegeler wagt zum Beispiel die Prognose, dass Aufsteiger Rasenballsport Leipzig, dessen Spiel vor allem auf Balleroberungen ausgelegt ist, „voraussichtlich gegen uns sehr wenige Balleroberungen haben wird“.
Das Paradoxe ist: Obwohl die Berliner jetzt zum zweiten Mal forsch in die Saison gestartet sind, obwohl sich vieles wiederholt, gilt die Mannschaft auch jetzt wieder als Überraschungsteam. Weil es in der Zwischenzeit eben auch die Rückrunde gab, in der nur Absteiger Hannover 96 weniger Punkte holte als Hertha; weil die Mannschaft eine schwierige Vorbereitung mit dem Aus in der Europa-League-Qualifikation hinter sich hat. Und weil sie in nahezu unveränderter Besetzung spielt. Gemessen an den komplizierten Rahmenbedingungen läuft es für Hertha bisher überragend.
In er vergangenen Saison hat Hertha fast immer gut ausgesehen - nur gegen die Großen nicht
Die spannende Frage aber ist, wie stabil die Mannschaft schon in der Spitze ist. In der vergangenen Saison hat Hertha gegen die Kleinen und die Mittelgroßen immer gut bis sehr gut ausgesehen, gegen die Großen allerdings nicht. Von den zwölf Spielen gegen die Teams, die am Ende vor ihnen landeten, verloren die Berliner sieben (bei 10:21-Toren), gegen die Champions- League-Teilnehmer sogar sechs von acht.
In Spielen wie gegen Dortmund geht es für Hertha also auch darum, die Skepsis zu vertreiben, dass es für ganz oben nicht reicht. Hertha wirkt bisher stabiler, die Mannschaft verfügt über mehr taktische Varianten, einige Spieler (Genki Haraguchi, Julian Schieber, Valentin Stocker) haben sich individuell verbessert, und Trainer Dardai hält sein Team insgesamt für reifer. Trotzdem bleibt Hertha eine Spitzenmannschaft unter Vorbehalt, weil die Berliner erst noch zeigen müssen, dass sie auch Rückrunde können. Das aber können sie frühestens – in der Rückrunde.