Franz Beckenbauer von der Fifa gesperrt: Kaiser des Ungewissen
Ausgerechnet bei der WM in Brasilien sperrt die Fifa Franz Beckenbauer wegen fehlender Kooperation in Ethikfragen. Ein Affront von Sepp Blatter? Diese merkwürdige Sanktion macht deutlich, worum es wirklich geht. Um den Machtkampf im Weltfußballverband.
Franz Beckenbauer ist wieder mal ein Symbol, ein Kronzeuge, für etwas Außergewöhnliches. Normalerweise steht der Name Beckenbauer für das außergewöhnlich Gute, Glückliche oder Schöne. Aber nun, vielleicht zum ersten Mal, steht er da als Symbol für einen verfeindeten, gespaltenen, ja sozusagen bösen Fußball-Weltverband, von Korruptionsvorwürfen überhäuft und von einem widerspenstigen Präsidenten quasi diktatorisch geführt.
Durch die Sperre, mit der der Weltverband Fifa seinen mittlerweile nur noch ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter Franz Beckenbauer ins Abseits stellt, wird diese Dimension erst sichtbar. Gerade weil Franz Beckenbauer weltweit und in gewisser Weise stellvertretend für das Fußball-Deutschland so hohes Ansehen genießt, fällt dieser Akt der Sanktion auf. Denn wann hat die Fifa überhaupt jemals eine Sanktion ausgesprochen gegen unter Korruptionsverdacht stehende Mitarbeiter?
Einerseits erscheint die Strafe, weil sie doch gegen eine solch große Figur des Fußballs ausgesprochen wird, absurd. Gerade während einer Weltmeisterschaft. Andererseits, und das machen vor allem die deutschen Reaktionen deutlich, traut man Beckenbauer gerade wegen seiner Aura eine unkorrekte, ja korrupte Handlung niemals zu. Vielleicht ist das ein Irrtum.
Beckenbauer: Wurschtigkeit und Genialität
Beckenbauer selbst hat auf die klassische Beckenbauer-Art die Doppelbödigkeit seines Tuns offengelegt. Es ist die ewige Mischung aus sympathischer Wurschtigkeit, fußballerischer Genialität und aufblitzendem kalten Zynismus, den er als Kaiserlichen Witz verkaufen kann. Der Journalist Holger Gertz hat diese doppelte Persönlichkeit Beckenbauers erst vor ein paar Tagen in einem genialen Porträt in der Süddeutschen Zeitung beschrieben. Gertz schreibt: „Einmal ging es um das Olympiastadion in München, das Beckenbauer zu ranzig geworden war, er sagt: ’Am besten ist, wir sprengen das Stadion einfach weg. Es wird sich doch ein Terrorist finden, der für uns die Aufgabe erledigen kann.’ Im Olympiastadion hatte die Trauerfeier nach dem Attentat bei Olympia 1972 stattgefunden. Sein Satz war eine glasklare Entgleisung. Andererseits: mei, der Franz.“
Und nun? Man muss ihm nur zuhören, dann läuft es einem, trotz alle Sympathie für seine Person, kalt den Rücken runter. Beim Bezahlsender Sky sagt er, er habe darum gebeten, die Fragen der Ethikkommission auf Deutsch zu bekommen, „weil ich dem Englischen, dem juristischen Englisch, nicht mächtig bin“. Danach aber kommt die eigentliche Botschaft: Dem sei man nicht nachgekommen und deshalb, so Beckenbauer, habe er nicht geantwortet – „ich antworte dann eben auf meine Weise“. Offensichtlich meint er, es ignorieren zu können. Genau diese Weise könnte die falsche sein, spielt sie doch mit dem Nimbus des unantastbaren Sympathieträgers.
Die Fifa hat auf diese Aussage reagiert und Beckenbauer mit einer eigenen Erklärung indirekt der Lüge bezichtigt. Man habe, heißt es, Beckenbauer mehrfach auf Englisch und Deutsch die Fragen zur Verfügung gestellt. Die Fußball-Welt, zu Gast in Brasilien, erlebt hier plötzlich einen Kampf mit offenem Visier. Normalerweise finden solche Scharmützel im Geheimen und hinter verschlossenen Türen statt. Deshalb ist diese Geschichte eine kleine Sensation. In der Geschichte dieser Sperre wiederum stecken unendlich viele andere Geschichten, die fein miteinander verflochten sind. Jede einzelne davon ist im Grunde sehr spannend, auch wenn es nicht um das Spiel als solches geht, sondern eben um Sportpolitik, um die verborgene Welt der sich so mächtig fühlenden Funktionäre und Amtsträger.
Seltsam dabei ist die irritierende Leichtigkeit, mit der die deutschen Verantwortlichen und Experten damit umgehen. Torwart-Titan und TV-Experte Oliver Kahn schaffte es, nach dem, zugegeben viel spannenderen Thema Holland schlägt Spanien die Beckenbauer-Causa einfach wegzulachen, als völlig abwegige Debatte darzustellen, die morgen keinen mehr interessiere. Millionen guckten am Fernsehen zu, wie er das Beckenbauer-Motto einfach nicht ernst nehmen huldigte. Der „Heute-Show“ geschulte Moderator Oliver Welke konnte nur noch leise etwas von Ethik murmeln, dann ging es wieder um, klar, Fußball, wie Kahn quasi ultimativ gefordert hatte.
Dabei ist Beckenbauer über Nacht vom weltweit verehrten Fußballkaiser zur Persona non grata erklärt geworden. Die am Freitag vom Weltverband Fifa verhängte Sperre von 90 Tagen hat für den 68-Jährigen weitreichende Konsequenzen. „Franz Beckenbauer kann an keiner Fußball-Aktivität teilnehmen. Das schließt andere Dinge ein, wie eine Einladung zum Besuch eines Fußballspiels oder den privaten Besuch einer jeglichen Partie“, sagte Alan Sullivan, stellvertretender Chef der Fifa-Ethikkommission.
Die Strafe war auf Antrag von Chefermittler Michael Garcia wegen der angeblich mangelnden Kooperation Beckenbauers bei der Untersuchung der brisanten WM-Doppelvergabe an Russland 2018 und Katar 2022 ausgesprochen worden. Beckenbauer sei „wiederholt“ angefragt worden, „in einem persönlichen Interview oder durch die Beantwortung schriftlicher Fragen Informationen zu liefern“.
"Ich bin der falsche Ansprechpartner"
Zuvor hatte die englische Zeitung „Sunday Times“ in ihrer jüngsten Ausgabe von Reisen Beckenbauers nach Katar auf Einladung des mittlerweile lebenslang gesperrten früheren Funktionärs Mohamed bin Hammam berichtet. Beckenbauer soll 2009 und 2011 im Emirat gewesen sein, bei der zweiten Reise als Berater zu Geschäftsgesprächen einer Hamburger Firma. Beckenbauer hatte Korruptionsvorwürfe energisch zurückgewiesen. „Ich habe mit Korruption nichts zu tun“, sagte er. „Wer sollte an mich herantreten und zu Dingen verleiten? Das ist doch lächerlich. Ich bin der falsche Ansprechpartner.“
Der falsche Ansprechpartner? Lächerlich? Das also sagt Beckenbauer, was er nicht sagt ist, wie der von ihm bei Sky formulierte Satz „Ich antworte dann eben auf meine Weise“ zu verstehen sei. Jetzt will er also antworten. Aber wird dies eine ernsthafte, ernstzunehmende Antwort sein in Zeiten, in denen der gesamte Weltverband seit Jahren misstrauisch von der Öffentlichkeit beäugt wird? Die WM für Russland und Katar – verschoben? Das würde man den Funktionären zutrauen. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira hat sich Beckenbauer schon im Mai 2011 zu Korruptionsvorwürfen geäußert und zur Rolle von Fifa-Präsident Sepp Blatter. Beckenbauer sprach zwar mit deutlichem deutschen Akzent, aber sein Englisch war ansonsten nicht zu beanstanden.
Franz Beckenbauer: Charmant, aber nur scheinbar auf den Punkt
Er beschreibt, wie großartig die Atmosphäre in der Fifa-Exekutive war, der er damals noch angehörte, und nun sei das leider nicht mehr so. Mehrfach sagt Beckenbauer, er hoffe, dass es bald Klarheit gebe, was die Korruptionsvorwürfe angeht, die er für reine „Spekulation“ halte. Immer bleibt Beckenbauer im Ungewissen, charmant, aber nur scheinbar auf den Punkt. Nur einmal wird er sehr deutlich, als er selbst gefragt wird, ob er jemals unmoralische Angebote bekommen habe. Wörtlich sagt er: „Personal to me never came somebody to offer me something for...“ Dann betont er nochmals „neverever“, und seine Körpersprache signalisiert: Das glaubt ihr doch nicht ernsthaft!
Die Geschichte um die WM-Vergaben 2018 und 2022 sind die eigentliche Folie, hinter der man die aktuelle Sperre Beckenbauers lesen muss. Dabei geht es um die Frage, wer in Zukunft die Macht und den Vorsitz haben wird. Joseph Blatter, der Schweizer, der vor allem die nichteuropäischen, kleinen Verbände hinter sich schart oder aber Michel Platini, der Uefa-Präsident, der Blatter ablösen will. Gerade erst hat Blatter sich extrem verärgert gezeigt, dass ihm von der Uefa quasi öffentlich geraten wurde, nicht mehr anzutreten. „Das Respektloseste, was ich je auf dem Rasen und außerhalb erlebt habe“, hat Blatter gesagt und damit war klar, dass er nochmal antreten wird. Die Frechheit war, so sieht es Blatter, dass er für etwas büßen soll, für was er angeblich gar nicht verantwortlich gemacht werden könne. Die Katar-WM. Wenn es nun, gerade wegen der Korruptionsvorwürfe, einen Neuanfang im Verband geben soll und auch Blatter ginge, dann wäre dies aus seiner Sicht ein Eingeständnis.
Dabei behauptet Blatter selbst, dass er gar nicht für Katar gestimmt habe. Katar war vor allem Wunschkandidat des Franzosen Michel Platini, dessen Sohn wirtschaftliche Beziehungen in das Emirat pflegte. Nachdem der WM-Standort wegen der enormen Hitze, vor allem aber wegen der Ausbeutung von Gastarbeitern in die Kritik geraten war, wollte auch Platini bald kein Freund Katars mehr sein. Beckenbauer wiederum war mit seinem Freund und einflussreichen Sportlobbyisten Fedor Radmann auch in den Golf gereist. Radmann war der Spin Doctor der deutschen Bewerbung 2006.
Vor der Entscheidung für 2018 und 2022 stand er in Diensten Australiens, das sich beworben hatte. Australien hatte sich auch für die Frauen-WM beworben, aber zugunsten Deutschlands verzichtet. Für die Männer-WM bekam Australien: eine Stimme. Der Journalist Jens Weinreich, der seit vielen Jahren investigativ über Sportpolitik recherchiert, schreibt auf „Spiegel Online“: „Australiens Bewerberchef wurde von Radmann versichert, Beckenbauer habe seinen Teil der Absprache erfüllt und für Australien gestimmt. Blatter versicherte, er habe ebenfalls für Australien gestimmt. Einer von beiden – Radmann oder Blatter – muss also gelogen haben.“
Nach der Doppel-Vergabe gab Beckenbauer sein Fifa-Amt auf und hatte danach sowohl kurzfristig geschäftliche Kontakte nach Katar als auch als Gazprom-Botschafter nach Russland.
Neben Radmann gehört der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach zu den sehr engen Gefährten Beckenbauers. Auch er hat eine klare Haltung und sagte im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Sperre hat mich überrascht, ändert aber nichts an meiner Einschätzung: Franz Beckenbauer ist für mich ein Ehrenmann, der nichts zu verbergen hat. Ich gehe davon aus, dass er zur Aufklärung der offenen Fragen beitragen wird.“
In dem Interview gibt Niersbach zu, dass er erst seit 14 Tagen davon wisse. Interessant ist, dass die Nachricht gerade jetzt öffentlich wird, der Nachfolger Beckenbauers in der Fifa-Exekutive ist Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger. Mit dem balgt er sich gerade öffentlich, man wirft sich gegenseitig Heuchelei vor. Es geht ums Geld und ums Ehrenamt. Zwanziger bemängelte, dass beim Wechsel an der DFB-Spitze „ein Weg gewählt wurde, den ich nicht akzeptiert habe“. So wurde offenbar, wie es der DFB eingeräumt hat, über eine Betriebsrente ein Ausgleich zwischen der Aufwandsentschädigung für einen DFB-Präsidenten und dem Gehalt eines Generalsekretärs gesucht.“ Den Posten hatte Niersbach bekleidet.
In Sport1 meinte Zwanziger: „Ich empfehle, die Höhe dieser Rente einmal zu nennen.“ Das DFB-Präsidium konterte. „Diese öffentlichen Aussagen sind völlig inakzeptabel.“ Zwanziger wurde nahegelegt, seinen Sitz in der Fifa-Exekutive niederzulegen. Beckenbauer wiederum wurde am Samstag doch noch konkret und sagte: „Die WM ist für mich gestrichen, auf die geplante Reise nach Brasilien werde ich verzichten. Ich gehe davon aus, dass ich bei der Fifa nicht mehr willkommen bin.“