Kolumne „Kit's Corner“: Jürgen Klopp meckert wieder über zu viele Spiele
Der FC Liverpool spielt und spielt und spielt. Trainer Klopp war das schon immer zu viel, aber die Saison 2019/2020 toppt alles bisher Dagewesene.
Kit Holden schreibt an dieser Stelle immer dienstags in den Spielwochen der Champions League aus britischer Sicht über Europas Fußball.
In den Berliner Supermärkten kann man schon Lebkuchen kaufen. Früher, in den guten alten Zeiten, war das wohl nicht so. Damals feierte man Weihnachten nur zu Weihnachten. Wer damals in der ersten Novemberwoche Lebkuchen gekauft oder gar gegessen hat, wurde von der zivilisierten Gesellschaft verbannt, und musste sich fortan in den Feldern von Brandenburg von Mäusen und Insekten ernähren. Zu Recht. Lebkuchen im November: das ist einfach nur pervers.
In unserer zuckerzimtversifften Epoche des Sittenverfalls kommt der Weihnachtsmann aber jedes Jahr ein bisschen früher. Das ist im englischen Fußball nicht anders, und rechtzeitig zur ersten Novemberwoche hat Jürgen Klopp eine gute, alte Weihnachtstradition schon wieder belebt: das Meckern über zu viele Spiele.
Am Dienstag spielt Liverpool in der Champions League gegen den Belgischen Meister Genk. Für Jürgen Klopps Mannschaft wird es die dritte englische Woche in Folge sein, aber nur der Anfang des jährlichen Weihnachtswahnsinns, dem sich Spieler und Trainer in der Premier League unterwerfen müssen. Weil es in England traditionell keine Winterpause gibt, dafür aber zwei Pokalwettbewerbe, werden viele vom Herbst übriggebliebene Nachholspiele einfach in den Dezember hineingestopft.
Das ist gut für das Fernsehen, aber schlecht für die Profis, die trotz des vielen Geldes am Ende auch nur Menschen sind. Klopp geht es besonders auf die Nerven. Früher konnte er die Feiertage zu Hause mit seiner Ulla genießen. Mittlerweile macht er im Dezember mehr Meilen als der Truck einer berühmten Brause-Marke. „Ihr habt hier zu viele Wettbewerbe“, sagte der Deutsche kurz nach seiner Ankunft 2015. Seitdem hat er die hohe Belastung jedes Jahr aufs Neue kritisiert.
In diesem Jahr ist es noch schlimmer, weil seine Mannschaft blöderweise auch aktueller Champions-League-Sieger ist. Das heißt: sie nimmt auch an der Klub-WM teil, und muss Mitte Dezember für eine Woche nach Katar fliegen. Zwischen dem 27. November und dem 11. Januar hat Liverpool 13 Spiele zu bestreiten. Das sind sechs englische Wochen hintereinander.
Im Februar gibt es in England erstmals eine Mini-Winterpause von zwei Wochen
Und es droht sogar eine siebte. Dank des dramatischen Ligapokalsiegs über Arsenal vergangene Woche (5:4 im Elfmeterschießen nach einem 5:5 in regulärer Spielzeit) haben die Reds nun noch ein Spiel, das eigentlich im Dezember gespielt werden müsste. Wegen der Klub-WM gibt es aber einfach keinen Platz mehr in Liverpools Weihnachtskalender. Klopp reicht das alles jetzt. Wenn kein sinnvoller Termin für das Viertelfinale gefunden werde, werde er seine Mannschaft einfach aus dem Ligapokal zurückziehen, drohte der Liverpool-Trainer vergangene Woche: „Um 3 Uhr am ersten Weihnachtstag spielen wir nicht.“
Manchen in England geht dieses jährliche Meckern auf die Nerven. In einem von Tradition besessenen Land sind die Spieltage am 26. Dezember und 1. Januar ein besonders beliebter Brauch. Abgeschafft werden sie nicht, nur weil ein Deutscher sich ein paar mehr freie Tage wünscht. Oder war das mit dem Krieg und dem Brexit alles umsonst? Der Wille des britischen Volkes ist es ja, Fußball am Boxing Day zu gucken, und den gilt es zu respektieren.
Das Problem mit euch Deutschen ist aber, dass ihr oft Recht habt. Auch wenn ihr meckert, meckert ihr in der Regel mit sehr guten Argumenten und bewundernswerter Rationalität. Und so haben Klopps Klagen einst undenkbare Reformen im englischen Fußball hervorgebracht. In dieser Saison wird es zum ersten Mal eine Art Winterpause in der Premier League geben, wenn auch nur eine zweiwöchige, und erst im Februar.
Gäbe es in dieser Welt ein bisschen mehr gesunden Menschenverstand, würde man dazu noch den Ligapokal abschaffen. Das würde die Belastung für die Spieler reduzieren und wohl auch den Stellenwert des einst so stolzen FA-Cups wieder erhöhen. Aber gäbe es in dieser Welt ein bisschen mehr gesunden Menschenverstand, gäbe es heute auch keine Lebkuchen in den Supermärkten.
So bleibt Klopp nur eine Option. Seine Mannschaft muss er nicht nur aus dem Ligapokal nehmen, sondern auch aus der Champions League. Sonst könnten die Reds aus Versehen ihren Titel verteidigen, und nächstes Jahr zur Klub-WM zum Jupiter fliegen müssen. Seien Sie also nicht überrascht, liebe Leser, wenn Liverpool am Dienstag mit 0:6 gegen Genk untergeht. Denn nur so ist Weihnachten 2020 noch zu retten.