Die besten Fußballbücher des Jahres: Jürgen Klopp, die Bayern und der schmutzige Fußball
Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Wir könnten ein paar Fußballbücher empfehlen.
Im Mai 1992 steht eine der spannendsten Entscheidungen in der Geschichte der Bundesliga an. Vor dem letzten Spieltag können noch drei Mannschaften – Eintracht Frankfurt, der VfB Stuttgart und Borussia Dortmund – Deutscher Meister werden. Die besten Aussichten haben die Frankfurter, die nicht nur Tabellenführer sind, sondern auch beim Vorletzten Hansa Rostock antreten. Trotzdem sind sie bei der Eintracht ziemlich nervös (zu Recht, wie sich herausstellen wird). Trainer Dragoslav Stepanovic hat die Presse ausgesperrt, in der ganzen Woche vor dem entscheidenden Spiel gibt er kein einziges Interview.
Versuchen kann man es natürlich trotzdem. Und so schickt Sat1 einen Praktikanten zum Flughafen. Er hat bei Rot-Weiß Frankfurt mal unter Stepanovic gespielt, und weil die Mutter eines ehemaligen Mitspielers die Pressechefin des Flughafens ist, gelangt der Praktikant sogar direkt an die Maschine, mit der die Frankfurter nach Rostock fliegen. Er schafft es tatsächlich, Stepanovic zu interviewen – als einziger Journalist in Deutschland. Der Name des Praktikanten: Jürgen Klopp.
Eigentlich meint man, so ziemlich alles über Klopp und sein Leben zu wissen: über seine familiäre Herkunft, die Beförderung vom Spieler in Mainz zum Trainer, über Tränen und Triumphe, und natürlich den Vollgasfußball mit Borussia Dortmund, für den Klopp das Copyright besitzt. Und doch gibt es noch unerzählte Geschichten wie die über den Sat1-Praktikanten Klopp. Nachzulesen in „Ich mag, wenn’s kracht“, der Klopp-Biografie von Raphael Honigstein, der für deutsche Medien über den englischen Fußball und für englische Medien über den deutschen Fußball berichtet. Wie schon sein Buch „Der vierte Stern“ über die Neuerfindung der Nationalmannschaft war auch die Klopp-Biografie ursprünglich für den englischen Markt gedacht. Das heißt aber nicht, dass sie für das deutsche Publikum wenig Neues enthielte. Im Gegenteil.
Honigstein hat zwar nicht mit Klopp selbst gesprochen, zumindest nicht erkennbar, aber Klopp hat ihm offenbar Zugang zu seinem direkten Umfeld verschafft: zu seiner Familie, seinem Co-Trainer und früheren Vorgesetzten wie Christian Heidel und Hans-Joachim Watzke. Aus deren Erinnerungen ergibt sich ein stimmiges Bild des Fußballers, Trainers und Menschenfischers Klopp.
„Ich mag, wenn’s kracht“ ist keine klassische Biografie. Es ist ein eher journalistisches Buch, mit reportagigen, auch pseudoreportagigen Elementen. Dass es vom Englischen ins Deutsche zurückübersetzt wurde, merkt man, wenn Spiele 1:0 (statt 0:1) verloren gegangen sind – trotzdem liest es sich gut. Was natürlich auch in nicht unerheblichem Maße mit der Hauptperson des Buches zusammenhängt, die wie kaum jemand sonst in der Fußballbranche die Kunst der pointierten Zuspitzung beherrscht.
Heute ist Jürgen Klopp eine globale Marke. Sein Weg erscheint irgendwie schlüssig, und man kann sich kaum vorstellen, dass Klopp als Amateur- und mäßig begabter Zweitligafußballer („Er wollte Fußball spielen, konnte es aber nicht“) echte Existenzangst durchzustehen hatte. Sein zweites Leben begann im Februar 2001, als Christian Heidel auf den wahnwitzig anmutenden Gedanken kommt, die Mannschaft von Mainz 05 im Abstiegskampf in die Hände eines 33 Jahre alten Innenverteidigers zu geben, der gerade verletzt ist. Als Klopp mit dieser Idee konfrontiert wird, muss er ein paar Sekunden überlegen. Dann sagt er: „Geile Idee. Das machen wir.“
Raphael Honigstein: „Ich mag, wenn's kracht“. Jürgen Klopp – Die Biographie. Ullstein extra. 333 Seiten, 20 Euro.
Die Bayern-Chronik: Dicker Schinken in Bio-Qualität
Ein richtig dicker Schinken ist sie geworden, die neue Bayern-Chronik aus dem Verlag Die Werkstatt: Gute sechs Kilogramm Lebendgewicht (verteilt auf zwei Bände, verpackt in einem praktischen Schuber) bringt sie auf die Waage. Nimmt man den Preis (99 Euro) zum Maßstab, muss es sich offensichtlich um Bio-Qualität handeln. „Was für ein Werk!“, frohlockt der Verlag in einer Pressemitteilung. „Solch ein Buch hat es über einen Fußballverein noch nicht gegeben.“ Eigenlob stinkt zwar bekanntlich, ist in diesem Fall aber durchaus gerechtfertigt. Die beiden Bände mit 2500 Fotos und einem umfangreichen Statistikteil tragen nicht von ungefähr den ebenso schlichten wie allgemeingültigen Titel „Die Bayern-Chronik“ – in aller Bescheidenheit natürlich.
Dietrich Schulze-Marmeling ist nicht nur einer der produktivsten Verfasser von Fußballbüchern hierzulande, er ist auch ein profunder Kenner des FC Bayern München und seiner Geschichte. Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit dem Rekordmeister. Vor allem mit seinen Arbeiten über den Klub im Nationalsozialismus und das (starke) jüdische Element in der Frühzeit der Vereinsgeschichte hat sich Schulze-Marmeling in Fachkreisen ein gewisses Ansehen erworben. Nicht nur einige der Gründer und Richard Dombi, der Trainer der ersten Meistermannschaft von 1932, waren Juden, sondern auch und vor allem Kurt Landauer, der sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg den FC Bayern als Vereinspräsident entscheidend geprägt hat. Trotzdem war Landauer lange in Vergessenheit geraten, ehe ihn die Ultra-Gruppierung „Schickeria“ vor einigen Jahren ins öffentliche Bewusstsein zurückholte.
Anders als der TSV 1860 München, der große lokale Rivale, legten sich die Bayern nicht gleich nach der sogenannten Machtergreifung im Januar 1933 mit den Nazis ins Bett. Der Verein war kein Hort des Widerstands, das ganz sicher nicht; aber er war bedingt durch seine Geschichte und die prägenden Figuren der ersten Jahre zumindest ein wenig stärker immunisiert gegen den Ungeist des Antisemitismus. Auch deshalb ist der FC Bayern in den tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 nie der erklärte Lieblingsklub der Nazis geworden. „Man spielte auf Zeit und passte sich erst relativ spät an“, schreibt Schulze-Marmeling.
Band 1 der Chronik beschäftigt sich mit den Jahren von der Gründung des Klubs im Jahr 1900 bis zum Ende der goldenen Siebziger; Band 2 beginnt mit dem Amtsantritt des gerade 27 Jahre alten Uli Hoeneß als Manager und umfasst also seine gesamte Regentschaft (in verschiedenen Funktionen) bis heute.
Was in den letzten 50 Jahren bei den Bayern passiert ist, dürfte selbst Lesern weitgehend geläufig sein, die nicht zu den eingefleischten Fans des Klubs gehören; die Bayern sind nun mal der größte, wichtigste, erfolgreichste Verein des Landes. Viel spannender ist die Frühgeschichte des Vereins, die in der Chronik detailreich geschildert wird. Die Gründung des Klubs war keine spontane, wie sie in jener Zeit durchaus üblich war, sondern von höherer Stelle initiiert, um einen weißen Fleck von der Fußballlandkarte des Deutschen Reichs zu tilgen: Der Münchner F. C. Bayern war gewissermaßen ein Verbandsverein. Und schon in den Anfangsjahren hielten sich die Bayern für was Besonderes: Weil sie bis 1908 nur Abiturienten aufnahmen, galten sie als Kavaliers- und Protzenclub. Die Bayern sahen sich auch nicht als Verein, sondern als „Club“.
Als Schulze-Marmeling seine Arbeit an der Chronik in diesem Sommer abgeschlossen hat, schienen die Bayern noch einen der begehrtesten Trainer des internationalen Fußballs zu haben; als das Buch dann im Spätherbst auf den Markt kam, war Carlo Ancelotti gerade entlassen worden – wegen Problemen im zwischenmenschlichen Bereich. Lustig ist daher, mit welcher Aussage Torhüter Manuel Neuer in der Chronik zitiert wird. „Ancelotti nimmt sich Zeit für die Spieler.“ Ihm gehe es ums Zwischenmenschliche. „Vielleicht hat diese menschliche Wärme dem einen oder anderen Spieler in der Zeit davor etwas gefehlt.“
Dietrich Schulze-Marmeling: Die Bayern-Chronik. Verlag die Werkstatt. Zwei Bände im Schuber. 960 Seiten, 99 Euro.
Helmut Schön - der unterschätzte Bundestrainer
Sandro Wagner steht ganz sicher nicht im Verdacht, sich bei seinen Vorgesetzten einschmeicheln zu wollen. Der Stürmer der TSG Hoffenheim gilt als einer der letzten Typen im deutschen Fußball, als jemand, der keine Angst hat, seine Meinung entschlossen zu vertreten. Wenn Wagner also Joachim Löw, wie jüngst geschehen, als den erfolgreichsten Bundestrainer aller Zeiten bezeichnet, meint er das mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich ernst. Nur stimmt das leider nicht. Gemessen an den Platzierungen bei großen Turnieren ist Löws Bilanz zwar über fast alle Zweifel erhaben; es gibt aber einen seiner Vorgänger, der noch besser war: Helmut Schön.
Dass Schön, der stille Sachse aus gutem Haus, einem nicht gleich in den Sinn kommt, ist irgendwie typisch. Man denkt eher an Franz Beckenbauer, den Teamchef mit dem goldenen Händchen, oder natürlich an Sepp Herberger, den Gründervater des ersten deutschen Fußballwunders. Aber Helmut Schön? Sein Name ist „im deutschen Fußballgedächtnis merkwürdig blass geblieben“, schreibt Bernd-M. Beyer in seiner Biografie über Herbergers Nachfolger. Herberger war 1954 für die Deutschen der große Magier gewesen, „Schöns Triumph von 1974 fehlte sowohl das sensationelle Moment als auch die politische Implikation, als Magier inszenierte er sich schon gar nicht.“ Dass es nach Schöns Tod zwanzig Jahre gedauert hat, bis die erste umfassende Biografie über ihn erschienen ist, sagt fast alles.
Vermutlich wissen die wenigsten, dass Schön nicht nur ein erfolgreicher Trainer war, sondern auch ein begnadeter Fußballer. 1934 hieß es in einem Spielbericht über ihn: „Er spielte wie Sindelar! Mit Kopf und Fuß fehlerlos.“ Als Herberger den Stürmer des Dresdner SC 1937 erstmals in die Nationalmannschaft berief, war der gerade 22; doch schon damals war das Verhältnis des Trainers zu seinem Spieler zwiespältig. Schön sei „ein Weichling“, fand Herberger, „ein Nervenbündel“. Von dieser Meinung rückte er auch nicht ab, als „der Lange“ knapp 30 Jahre später sein Nachfolger bei der Nationalmannschaft werden sollte. Im Gegenteil: Er versuchte es mit aller Macht zu verhindern.
So hat Herberger das öffentliche Bild von Schön nachhaltig beeinflusst. Er sei zögerlich und entscheidungsschwach, wurde ihm immer wieder vorgehalten. In seiner Biografie, die sich durch große Faktenkenntnis auszeichnet, entkräftet Beyer solche Vorurteilen auf beeindruckende Weise. Schöns Personalpolitik sei zum Beispiel mutiger und entschlossener gewesen, als es allgemein angenommen werde. Und gerade in den Sechzigern und Siebzigern, als eine neue Generation selbstbewusster Nationalspieler wie Günter Netzer, Paul Breitner oder Franz Beckenbauer den deutschen Fußball repräsentierte, sei Schön mit seiner verständnisvollen Art genau der richtige Trainer für die Mannschaft gewesen.
„Die Ära Helmut Schön ist, von ein paar Ausnahmen abgesehen, eine rundum glänzende gewesen und bis heute ein Fall für wehmütige Nostalgie“, schreibt Beyer. Seine Biografie, die als Fußballbuch des Jahres 2017 ausgezeichnet wurde, rehabilitiert jemanden, der gar nicht rehabilitiert werden muss.
Bernd-M. Bayer: Helmut Schön. Eine Biografie. Verlag Die Werkstatt. 544 Seiten, 28 Euro.
Choreografien: Schöner, größer, aufwändiger
Ein Buch über Choreografien in deutschen Fußballstadien? Klar, kann man machen. Ergibt vermutlich einen schmucken Bildband. Ein Buch aber über Choreografien, in dem sich der Text- und Bildanteil in etwa die Waage halten – das ist schon ein recht ambitioniertes Unterfangen. Hendrik Buchheister, freier Journalist, hat sich davon nicht abschrecken lassen. Was dabei herausgekommen ist, kann sich nicht nur sehen, sondern auch lesen lassen. „Nach ein paar Minuten ist die mehrere tausend Euro teure und über Wochen vorbereitete Show vorbei. Dann werden die Blockfahnen wieder heruntergelassen, die Pappen zerknüllt und weggeworfen“, schreibt Buchheister. „Doch die Bilder bleiben, manchmal für die Ewigkeit.“ Schon deshalb hat dieses Buch seine Berechtigung.
Choreografien sind längst ein wichtiger Bestandteil der aktuellen Fankultur. Einer von vielen – aber von den anderen eben auch nicht zu trennen. Wer Choreos haben will, muss den kindlichen Trotz in Sachen Pyrotechnik zumindest zähneknirschend in Kauf nehmen. Für beides sind die Ultras verantwortlich, und diesen Widerspruch wird man aushalten müssen. Eine keimfreie Version der Ultrabewegung wird es nicht geben. Auch Choreografien unterliegen der – für Außenstehende manchmal kruden – Ultra-Logik, dass der eigene Verein alles ist und alles andere nichts. Größer, schöner, aufwändiger: Natürlich geht es auch bei Choreografien immer darum, wer den Längsten hat.
„In der Anfangszeit war jede Choreografie ein Abenteuer“, schreibt Buchheister. Inzwischen ist vieles gezähmt und standardisiert, es gibt sogar spezielle Anbieter für Choreobedarf. Der Kreativität aber sind weiterhin keine Grenzen gesetzt; dem Gigantismus auch nicht. Als die Anhänger des FC Schalke im Frühjahr mit einer Choreo an die Eurofighter und den Gewinn des Uefa-Cups 20 Jahre zuvor erinnern wollten, musste bei der Stadt Gelsenkirchen sogar eine Baugenehmigung beantragt werden. Scherzhaft hat mal jemand behauptet, früher habe eine Choreografie so viel gekostet wie ein Kleinwagen, heute fast so viel wie ein Einfamilienhaus. Finanziert wird das zum Teil von den Ultras selbst, zum Teil über Spenden – nie aber durch Zuwendungen des Vereins. Das widerspräche der Ultra-Ehre.
Lustig ist, wie alles Ende der Neunziger angefangen hat. Stefan Roßkopf, damals Fan, heute Pressesprecher des 1. FC Kaiserslautern, berichtet von der ersten Choreografie des FCK, bei einem Auswärtsspiel in Leverkusen. Bei Karstadt in Neustadt an der Weinstraße kaufte er den kompletten Bestand an weißen und roten DIN-A3-Pappen auf, rund tausend Stück, und verteilte sie vor dem Eingang zum Gästeblock. Die Fans wussten gar nicht, was sie damit anfangen wollten; einige bastelten gleich Papierflieger daraus. Roßkopf fotografierte seine Choreografie aus dem Nachbarblock, und am Tag nach dem Spiel brachte er den Film ins Fotogeschäft, um die Bilder entwickeln zu lassen.
Idealerweise ist eine Choreografie ein echtes Gemeinschaftserlebnis – für die Ultras genauso wie für die Normalos unter den Fans im Stadion. Idealtypisch dafür war die Choreo zum 125. Geburtstag des Hamburger SV, als die Ultra-Gruppierung „Chosen Few“ 45 000 Doppelhalter gestaltet hatte, die beim Einlaufen der Mannschaften von allen Stadionbesuchern hochgehalten wurden.
Dieses gemeinsame Erlebnis bezieht im besten Fall auch die Spieler auf dem Feld ein. So wie im Oktober 2015, als die Anhänger von Dynamo Dresden im Drittligaspiel gegen den alten DDR-Rivalen 1. FC Magdeburg eine Blockfahne enthüllten, die – abgesehen vom Gästeblock – sämtliche Tribünen bedeckte. 70 Kilometer Faden hatten die Ultras verarbeitet, acht Nähmaschinen verschlissen. Als Dynamos Kapitän Michael Hefele das Kunstwerk betrachtete, war ihm klar, „dass wir die Magdeburger auffressen“. Dresden gewann 3:2.
Hendrik Buchheister: Choreo. Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven. Delius Klasing. 140 Seiten, 29,90 Euro.
Football Leaks: Ein düsteres Sittengemälde
Als der „Spiegel“ Anfang des Jahres in der zweiten Woche hintereinander mit seinen Enthüllungen über die Verruchtheiten im Fußball auf dem Titel erschien, erzielte das Magazin damit den zweitschlechtesten Verkauf seiner Geschichte. Das passt zu der Klage, die „John“, treibende Kraft hinter Football Leaks, in einer Mail an die „Spiegel“-Autoren erhoben hat: „Die Leute interessieren sich einfach nicht für den Schmutz im Fußball.“
So ist es: Die Leute sind schon lange desillusioniert; sie haben längst verstanden, dass in dieser enthemmten Branche die üblichen moralischen Maßstäbe nicht mehr gelten. Sonst hätte die Öffentlichkeit auch aufbegehrt, als der „Spiegel“ und in der Folge das Buch „Football Leaks“ fleißig aus Verträgen von Fußballern zitiert haben und deren Gehälter offenlegten: Sind ja nur Fußballer! Hier ist wohlgemerkt nicht von den halblegalen bis illegalen Tricks die Rede, mit der Millionäre ihre Steuerlast zu Lasten der Allgemeinheit auf ein lächerliches Minimum reduzieren. Hier ist von normalen Verträgen zwischen Spielern und Vereinen die Rede. Es ist nichts Illegales, viel Geld zu verdienen; es ist nicht einmal illegal, abartig viel Geld zu verdienen, wie es viele Fußballer tun. Insofern ist es zumindest diskussionswürdig, ob man tatsächlich aus solchen Verträgen, die man sich auf mindestens obskure Weise beschafft hat, einfach zitieren darf.
Trotzdem ist „Football Leaks“ ein wichtiges Buch – auch wenn es einen in Bezug auf den Fußball ein paar, vielleicht sogar die letzten Illusionen raubt. Aus den 18,6 Millionen Dokumenten mit einer Datenmenge von 1,9 Terabyte malen Rafael Buschmann und Michael Wulzinger nach eigener Aussage „ein Sittengemälde der Fußballbranche“. Es ist ein ziemlich düsteres Bild von einer Parallelwelt „mit ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Gesetz, Anstand und Moral“.
Nehmen wir Dietmar Hopp, der sich am liebsten als Wohltäter für eine ganze Region sieht und soooo viel Gutes getan hat, und das nicht nur für seinen Heimatverein, die TSG Hoffenheim. „Football Leaks“ belegt, dass Hopp alleiniger Besitzer einer Firma war, die die Transferrechte an mehreren TSG-Profis besessen hat. Merke: Einen Menschen, der ausschließlich Gutes tut – den gibt es im modernen Fußball vermutlich nicht.
Rafael Buschmann/Michael Wulzinger: Football Leaks. Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball. Deutsche Verlags-Anstalt. 288 Seiten, 16,99 Euro.
Fußball - mehr als ein Spiel
In der Bundesrepublik Deutschland ist es übliche Praxis, dass es keine gemeinsamen Auslandsbesuche von Bundeskanzler und Bundespräsident gibt. Natürlich sind Ausnahmen möglich. In der jüngeren Vergangenheit waren es exakt zwei: 2002 und 2014 flogen beide Staatsorgane jeweils zum Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft, an dem in beiden Fällen die Nationalmannschaft beteiligt war. Ein solches Ereignis lässt man sich natürlich nur ungern entgehen.
Vor einigen Jahrzehnten war das noch anders. Als sich die Nationalmannschaft und Frankreich bei der WM 1982 im Halbfinale ein episches Duell lieferten, sagte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zu seinem Regierungssprecher: „Gucken Sie für mich weiter.“ Und als der 1. FC Köln 1977/78 das Double aus Meisterschaft und Pokalsieg holte, war in der kompletten Saison kein einziges Heimspiel des FC ausverkauft.
Heute erscheint so etwas undenkbar. Der Fußball ist immer größer geworden – so groß, dass er als das letzte große Gemeinschaftserlebnis gilt. Schon deshalb ist er zu einem Ziel für politische Vereinnahmungen geworden. Moritz Küpper, Redakteur beim Deutschlandradio, beschreibt in seinem Buch „Es war einmal ein Spiel“, wie sich nicht nur der Fußball verändert hat, sondern auch seine gesellschaftliche Wahrnehmung. Aus dem Fußball, so schreibt Küpper, ist „ein gesellschaftlicher Faktor geworden, der seinesgleichen sucht“. Der Siegeszug, politisch, aber auch wirtschaftlich, scheint längst unaufhaltsam zu sein. In der Saison 2014/15 zahlten die 100 größten Sportsponsoren in Deutschland insgesamt 973 Millionen Euro – 71 Prozent davon flossen in den Fußball.
Auch wenn das Buch einige Redundanzen aufweist: Es liefert einen umfassenden und aufschlussreichen Überblick über eine Entwicklung, die einen manchmal noch staunen lässt und einem manchmal schon Angst macht – weil „Es war einmal ein Spiel“ zeigt, dass der Fußball alle gesunden Maßstäbe verloren hat.
Moritz Küpper: Es war einmal ein Spiel. Wie der Fußball unsere Gesellschaft beherrscht. Verlag Die Werkstatt. 240 Seiten, 16,90 Euro.