Deutscher 100-Meter-Rekord gebrochen: Julian Reus - fast so schnell wie die Amerikaner
Da applaudiert sogar Armin Hary: Julian Reus bricht den fast 30 Jahre alten deutschen Rekord über 100 Meter in Ulm und krönt damit die Renaissance der deutschen Sprinter.
28 Jahre, zehn Monate, vier Tage. Eine Ewigkeit. Als der Magdeburger Frank Emmelmann am 22. September 1985 in Ost-Berlin 10,06 Sekunden lief und damit einen neuen deutschen Rekord über 100 Meter aufstellte, war Julian Reus noch nicht einmal geboren. Fast drei Jahrzehnte lang bissen sich deutsche Sprinter danach an Emmelmanns Bestmarke die Zähne aus, ehe Reus an diesem Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm noch schneller war. Bereits im Zwischenlauf lief der Wattenscheider 10,05 Sekunden, denen er im Finale sogar 10,01 Sekunden folgen ließ, die allerdings bei zu starkem Rückenwind. Auf der Tribüne applaudierte Armin Hary, der Olympiasieger von 1960, der einst als erster Deutscher 10,0 Sekunden gelaufen war, allerdings handgestoppt und damit heute nicht mehr gültig.
Fast hätte sich Julian Reus zwar deutscher Rekordhalter nennen dürfen, nicht aber Deutscher Meister. Seite an Seite waren der Wattenscheider und Lucas Jakubczyk vom SCC Berlin, für den ebenfalls 10,01 Sekunden gemessen wurden, über die Ziellinie gestürmt. Mit dem Kopf lag Jakubczyk sogar in Front, doch im Sprint zählt der Oberkörper und den hatte Reus um wenige Millimeter vorne. „Die Zeit zwischen Zwischenlauf und Finale war hart“, sagte er. „Nach dem deutschen Rekord konnte ich ja nur noch verlieren.“
Zu den Europameisterschaften in zwei Wochen in Zürich reist der 26-Jährige nun als fünftschnellster Sprinter Europas, nur zwei Hundertstel hinter dem drittplatzierten James Dasaolu aus Großbritannien. Eine deutsche Medaille über 100 Meter ist keine Utopie mehr. Es wäre die vorläufige Krönung einer Entwicklung im Männersprint, die vor drei Jahren eingeläutet wurde.
Im Frühjahr reist der deutsche Sprintkader stets in die USA
Es gab personelle Veränderungen, vor allem aber eine konsequente Ausrichtung an den Athleten der Weltspitze und deren Laufstil. „Schon 2011 haben wir die anderen Nationen analysiert, um zu schauen, was sie anders machen“, erklärte Reus. Im Frühjahr reist der Sprintkader seither stets in die USA, ins Trainingszentrum der amerikanischen Sprinter. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: 2013 lief der Leipziger Martin Keller in 9,99 Sekunden als erster Deutscher unter zehn Sekunden, wenngleich mit deutlich zu viel Windunterstützung. Dieses Jahr steigerte sich Lucas Jakubczyk in Übersee auf 10,06 Sekunden.
Die deutschen Sprinter treiben sich gegenseitig voran, davon profitiert auch Julian Reus. Schon als Jugendlicher war er 10,28 Sekunden gesprintet, doch zahlreiche Verletzungen und Erkrankungen warfen ihn ab 2008 zurück. Erst 2012 kam er wieder in die Spur. „Ich wusste, dass der deutsche Rekord möglich ist, wenn ich gesund bin und mich weiterentwickele“, sagte er. Bei der aktuellen Leistungsdichte im Sprint wäre es allerdings ein Wunder, wenn seine Bestmarke wieder 28 Jahre Bestand hätte.
Konstantin Jochens