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Bei der Heim-WM 2010 schaffte es Deutschland bis ins Halbfinale. Auch diesmal könnte etwas gehen für das Team von Bundestrainer Marco Sturm.
© picture alliance / dpa

Vor der Eishockey-WM in Köln und Paris: Jochen Sprentzel: Es gibt kein größeres Spektakel

Jochen Sprentzel kommentierte 25 Titelkämpfe im Eishockey für die ARD. Vor der Heim-WM in Köln erinnert er sich.

Zum Eishockey kam ich als Kind. Durch das DDR-Fernsehen. Die haben alle Spiele von einer WM übertragen, sogar die Eismaschine in den Pausen wurde gezeigt. Der Kollege Wolfgang Hempel hat kommentiert, seine Reportagen haben mich sehr fasziniert. Und da ich Sportreporter werden wollte, habe ich mir damals gesagt: Wenn ich das tatsächlich werde, dann will ich mich auch um Eishockey kümmern. So ist es gekommen. Eishockey ist meine Leidenschaft, eine faszinierende Sportart, in der es sehr viel Action und unglaubliches Tempo gibt. Die Spiele verlaufen oft interessanter, haben häufig einen höheren Unterhaltungswert als im Fußball, und es gibt keine Randale im Stadion. Herausragende technische und läuferische Fähigkeiten sind bei den Spielern gefragt, Eishockey ist ein typisches Stadionspektakel. Für die ARD war ich erstmals 1975 bei einer Eishockey-WM, ab 1976 war ich regelmäßig als Fernsehreporter im Einsatz, bis 2007. Bei den Olympischen Spielen 1976 war noch der Kollege Sammy Drechsel tätig, mein Debüt fand dann bei der WM in Kattowitz statt.

WM 1976: Wolfgang Niersbach zittert

In Kattowitz war es für die deutsche Mannschaft im letzten Spiel entscheidend, dass sie gegen Polen gewinnt. Sonst wäre sie abgestiegen. Man muss sich das vorstellen, die waren Bronzemedaillengewinner in Innsbruck geworden, gespickt mit vielen Spielern vom Deutschen Meister Berliner Schlittschuh-Club. Und dann das Schicksalsspiel am 25. April 1976 gegen Polen. Neben mir saß der junge Wolfgang Niersbach, Reporter vom Sportinformationsdienst aus Düsseldorf, und wurde blasser und blasser. Kurz vor Schluss stand es 1:1. Niersbach war der Spezialist beim Sportinformationsdienst für die Eishockey-Nationalmannschaft und fürchtete um seinen Job. Doch tatsächlich, Rainer Phillip schoss 21 Sekunden vor Schluss das 2:1 für die Deutschen. Erleichterung nicht nur beim Wolfgang, sondern auch bei mir. Denn ich glaube nicht, dass die ARD Spiele der B-Gruppe gezeigt hätte. Wolfgang war übrigens ein sehr, sehr guter Kollege und später ein großartiger DFB-Pressechef. Wir haben bei den Eishockey-Weltmeisterschaften immer ein Fußballspiel unter Journalisten gemacht – Gastgeberland gegen den Rest der Welt – und Wolfgang war immer einer unserer besten Spieler, ein starker Techniker. Als DFB-Präsident war er dann wohl zu nah an Franz Beckenbauer. Wir haben heute noch viel Kontakt, und es tut mir leid, wie es ihm jetzt geht.

Sprentzels junger Kollege Wolfgang Niersbach.
Sprentzels junger Kollege Wolfgang Niersbach.
© imago/Horstmüller

1983: Fanatismus beim deutschem Duell

WM-Spiel Bundesrepublik gegen die DDR am 1. Mai in der Dortmunder Westfalenhalle. Es war eine geradezu gereizte, fanatische Stimmung, gerichtet gegen die DDR. Die Mannschaft von DDR-Trainer Joachim Ziesche ließ sich aber nicht beirren, die Bundesrepublik gewann denkbar knapp 4:3. Ich habe die DDR dafür bewundert, dass sie Auswahlmannschaften entwickelt hat, die mit den Weltklasseteams mithalten konnten – obwohl die Liga ja nur aus zwei Vereinen bestand. Da muss eine sehr gute Trainer- und Spielerausbildung stattgefunden haben. Schlimm an diesem Spiel in Dortmund war, dass die Zuschauer am Schluss – höchst fanatisiert – auch noch die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen haben. Nicht alle, aber viele. Und ganz schlimm für mich war, dass ich das spät, eigentlich zu spät erkannt habe, um das entsprechend zu kommentieren. Ich hatte auf dem Kopfhörer so viele Kommandos und habe das zunächst überhört. Es fiel mir immer schwer, mit Fehlern umzugehen, und an diesem Lapsus hatte ich lange zu knabbern.

WM 1987: Der Fall Miroslav Sikora

In Wien ist es der deutschen Mannschaft gelungen, nicht nur Finnland 3:1 zu schlagen, sondern auch Kanada 5:3. Doch diese Siege wurden annulliert vom Weltverband. Pikanterweise unter der Leistung des deutschen Präsidenten Günther Sabetzki. Annulliert deshalb, weil der deutsche Nationalspieler Miro Sikora schon einige Spiele für die polnische Juniorennationalmannschaft gemacht hatte. Ich habe bei dieser WM kaum Livespiele betreut, ich stand nur noch vor irgendwelchen Sitzungssälen, in denen die Proteste der deutschen Mannschaft behandelt wurden. Am Ende gab es sogar – das muss man sich mal vorstellen – eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Wien, und da wurden die Punkte wieder anerkannt. Aber die deutsche Mannschaft war durch dieses Hickhack so verunsichert, dass sie die fast sichere Teilnahme an der Finalrunde verspielte. Ich hatte danach oft Kontakt mit Miroslav Sikora. Wir kamen oft auf diesen Fall zu sprechen, er konnte den Skandal nur schwer verarbeiten. Er war damals der Topstürmer der Kölner Haie. Diese Weltmeisterschaft hätte zum großen Erfolg führen können, aber was der Weltverband da veranstaltet hat – ohne Worte.

Miroslav Sikora (im Bild mit Peter Schiller).
Miroslav Sikora (im Bild mit Peter Schiller).
© imago sportfotodienst

WM 1990: Xaver Unsinn hört auf

Das beste Verhältnis zu einem Trainer hatte ich mit Xaver Unsinn. Schon deshalb, weil er diese Doppelfunktion hatte und neben dem Bundestrainer auch Vereinstrainer beim Berliner Schlittschuh-Club war. Er war ein unglaublich lockerer Typ. Er war vielleicht nicht der beste Coach, aber er hat Eishockey gelebt, und ich glaube, die Spieler haben seine Art geliebt. Es war schon tragisch, dass er aufgrund von gesundheitlichen Problemen bei der WM 1990 durch Erich Kühnhackl ersetzt werden musste. Im letzten Spiel mussten die Deutschen dann 4:0 gegen Norwegen gewinnen, um die Klasse zu halten. Das Stadion war übrigens ganz knapp neben dem Berner Wankdorf-Stadion. Und siehe da, das Ergebnis war 4:0. In der letzten Sekunden rutschte ein Puck parallel zur deutschen Torlinie, das war haarscharf. Meine Erinnerung blieb immer bei Xaver Unsinn. Als ich 1992 bei Olympia gesagt hatte, die Grundlage für den Erfolg habe Xaver Unsinn gelegt, hat er mich später angerufen und sich bedankt. Ich habe gesagt: „Xaver, das hast du dir verdient.“

Olympia 1992: Die Tagesschau verschoben

Die Deutschen sind im Viertelfinale, sensationell. Und die Mannschaft hatte gegen Kanada ein tolles Spiel geliefert. 3:3 nach regulärer Spielzeit, 3:3 nach Verlängerung. Es ging in ein Penaltyschießen. Das ging auch in die Verlängerung. Und Peter Draisaitl hatte die Möglichkeit, das Führungstor von Eric Lindros auszugleichen. Draisaitl schoss und ich war mir ziemlich sicher, dass Kanadas Torwart Sean Burke gehalten hatte. Doch in der Zeitlupe sah man dann, wie der Puck durch den Schoner von Burke glitt und genau auf der Linie liegen blieb. Denkbar unglücklich. Mit Peter Draisaitl habe ich später viel über die Szene gesprochen. Er war nicht ganz so unglücklich wie Miro Sikora. Aber das war schon ungeheures Pech. Ein Highlight war es aber für uns, damals hatten wir zehn Millionen Zuschauer in der ARD, 28 Prozent Marktanteil. Das ist eine Fußballquote und die Tagesschau wurde wegen der Verlängerung und des Penaltyschießens verlegt. Das habe ich mit keiner anderen Sportart, über die ich berichtet habe, geschafft. Also, das war schon eine ganz tolle deutsche Mannschaft.

2017: Da ist etwas drin

Es gab immer einzelne Turniere, bei denen die Deutschen so stark waren, dass man dachte, jetzt kommt der Durchbruch. Es blieben Episoden. Ich habe daher die Befürchtung, dass es bei einem Erfolg bei dieser WM wieder keine Nachhaltigkeit geben wird, weil die Bedingungen in Deutschland nicht so sind, wie zum Beispiel in der Schweiz. Da gibt es eine Junioren-Eliteliga mit Profitrainern, ein großes öffentliches Interesse, weniger Ausländer in den Klubs. Und die, die da sind, haben ein höheres Niveau. Die Sportart ist zu einer der populärsten in der Schweiz geworden – auch durch die Übertragungen in der SRG. Zuletzt bei der WM in Russland 2016 waren die Deutschen aber besser als die Schweiz und kamen ins Viertelfinale. Vielleicht kann die Mannschaft daran anknüpfen. Aber in der Vorrundengruppe mit den USA, Schweden und Russland sind gleich drei Giganten. Ich hoffe trotzdem auf eine Wiederholung dessen, was 2010 passierte, als die Deutschen ins Halbfinale kamen – und vielleicht ist noch etwas mehr drin. Bundestrainer Marco Sturm ist so ein Typ mit einer Ausstrahlung wie Uwe Krupp 2010. Man merkt, dass die Spieler jetzt wieder alle zur Nationalmannschaft kommen. Wer weiß, wenn Leon Draisaitl aus der NHL zur WM kommen kann: Vielleicht hat er dann in einem Halbfinale mehr Glück als sein Vater vor 25 Jahren.

Jochen Sprentzel ist auch heute noch Dauergast bei Heimspielen der Eisbären Berlin.
Jochen Sprentzel ist auch heute noch Dauergast bei Heimspielen der Eisbären Berlin.
© ddp

Meine Stimme gehört dem Eishockey

Als Fernsehreporter durfte ich im Rudern und Kanu bei Olympischen Spielen viele Goldmedaillen kommentieren. Dies, die Moderation der Sportschau und die sieben Fußball-Weltmeisterschaften, bei den ich als Radioreporter tätig war, sind aber für mich nicht so bedeutend wie mein Auftritt am 9. November 1989 beim Mauerfall, als ich die Abendschau moderiert habe und Walter Momper unangemeldet zu mir ins Studio kam, das war eigentlich der Höhepunkt in meiner Karriere als Journalist. Viele Menschen sagen mir heute: Du warst für uns die Stimme des Eishockeys. Diese Sportart ist stets die große Leidenschaft geblieben. Das andere schaue ich mir heute im Fernsehen an – aber zum Eishockey gehe ich hin, wann immer ich kann.

Der Autor war von 1979 bis 2005 beim SFB und RBB Leiter der Sportredaktion. Sprentzel moderierte die Sportschau, berichtete von Olympischen Spielen und im Hörfunk von Fußball-Weltmeisterschaften.

Jochen Sprentzel

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