Kader für WM 2014 steht: Joachim Löw: "Wir haben große Ziele"
Der Bundestrainer hat den endgültigen Kader für die WM benannt. Er verzichtet in Brasilien auf Marcel Schmelzer, setzt mit Miroslav Klose auf nur einen Stürmer und bereitet noch die ein oder andere Überraschung.
Bundestrainer Joachim Löw hat sich am Montag, nach dem 2:2 gegen Kamerun auf seinen endgültigen, 23-köpfigen Kader für die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien festgelegt. Marcel Schmelzer, Shkodran Mustafi und Kevin Volland wurden aus dem vorläufigen Aufgebot gestrichen.
Ist der Kader eine Überraschung?
Christoph Kramer kann sich auch an den kleinen Dingen erfreuen. Am Sonntagabend saß der Nationalspieler im Mönchengladbacher Borussia-Park auf der Ersatzbank, und trotzdem fand er Gefallen an dieser ungewohnten Perspektive. „Schön war es, es hat Spaß gemacht“, sagte Kramer nach dem Testspiel gegen Kamerun. „Normalerweise hätte ich ein paar Reihen darüber gesessen.“ Auf der Tribüne als normaler Zuschauer und gewöhnlicher Fan. Als Joachim Löw vor drei Wochen seinen vorläufigen 30er-Kader für die WM präsentierte, fehlte Kramers Name im Aufgebot des Bundestrainers; als Löw vor zwei Wochen mit der Nationalmannschaft ins Trainingslager nach Südtirol gereist ist, galt Kramer als erster Streichkandidat. Dass der Mönchengladbacher jetzt auch die letzte Hürde in Löws WM-Casting genommen hat, war schon keine Überraschung mehr. Durch die Verletzung von Lars Bender bestand in Kramers Ressort, dem defensiven Mittelfeld, erhöhter Personalbedarf.
Auch die anderen Entscheidungen des Bundestrainers sind, zumal nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit, nicht allzu überraschend. Löw geht in solchen Fällen am liebsten den Weg des geringsten Widerstandes. An die großen Namen traut er sich selten ran. Den angeschlagenen Häuptlingen Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger hat der Bundestrainer recht früh eine WM-Garantie ausgesprochen.
Ist Marcel Schmelzers Ausscheiden nicht ein großer Verlust?
Dass Marcel Schmelzer letztlich doch nicht mit nach Brasilien reist, hat auch etwas mit seinem Wert für die Mannschaft zu tun. Der Dortmunder hat sich vor zwei Wochen im Pokalfinale am Knie verletzt und konnte im Trainingslager nur ein eingeschränktes Programm absolvieren. Insofern ist der Verzicht auf Schmelzer aus medizinischen Gründen wohl zu vertreten. Allerdings steht Löw dadurch kein „geborener“ Linksfuß mehr für die Position links in der Viererkette zur Verfügung. Als mögliche Kandidaten für diesen Posten hat der Bundestrainer Schmelzers Vereinskollegen Erik Durm genannt, der am Sonntag gegen Kamerun zu seinem Länderspieldebüt kam, und Benedikt Höwedes vom FC Schalke 04.
Höwedes kann auch als rechter Außenverteidiger spielen, ist aber eigentlich in der Innenverteidigung zu Hause. Insgesamt stehen dem Bundestrainer fünf Bewerber – Jérôme Boateng, Per Mertesacker, Mats Hummels, Matthias Ginter und eben Höwedes – für zwei Plätze in der Innenverteidigung zur Verfügung.
Warum traf es Mustafi und Volland?
Auch wegen der starken Alternativen, die Löw in der Innenverteidigung hat, wird Shkodran Mustafi nicht mit nach Brasilien reisen. Dass er aussortiert würde, war allgemein erwartet worden. Der 22-Jährige spielt für den italienischen Erstligisten Sampdoria Genua und ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Ein Aufschrei der Öffentlichkeit – Mustafi muss mit nach Brasilien! – war daher von vornherein nicht zu erwarten. Auch dem Hoffenheimer Kevin Volland mangelte es letztlich an Lobby und Prominenz. Obwohl er in der abgelaufenen Saison zu den interessanteren Erscheinungen der Bundesliga zählte, ist der 21-Jährige noch nicht über den Status des Perspektivspielers hinausgekommen. Bei seinem Länderspieldebüt vor drei Wochen gegen Polen (0:0) konnte Volland seine Qualitäten in der Offensive (Dynamik und Torgefahr) nicht richtig nachweisen. Durch sein Ausscheiden steht mit Miroslav Klose nur noch ein echter Stürmer im deutschen Kader für Brasilien.
Nur ein echter Stürmer - ein Risiko?
Ist es nicht ein zu großes Risiko, auf einen zweiten Stürmer zu verzichten?
Miroslav Klose hat am kommenden Montag Geburtstag. Er wird dann 36; eine Woche später könnte er im ersten Gruppenspiel der Deutschen gegen Portugal bei seiner vierten WM-Endrunde zum Einsatz kommen. Joachim Löw hat den Stürmer vom italienischen Erstligisten Lazio Rom gerade erst wieder als echten Turnierspieler geadelt, „der weiß, was zu tun ist“. Und trotzdem bleibt angesichts seines fortgeschrittenen Alters ein Restrisiko. Klose hat in der abgelaufenen Saison immer wieder wegen kleinerer Verletzungen pausieren müssen. Am Sonntag bat er den Bundestrainer, im Testspiel gegen Kamerun auf ihn zu verzichten, weil er nach dem intensiven Programm im Trainingslager körperlich in ein Loch gefallen sei.
Selbst wenn Klose seine Defizite rechtzeitig aufholen sollte, wie es ihm schon häufiger gelungen ist – Löw rechnet wohl nicht damit, dass sein Senior in allen Turnierspielen von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Feld stehen wird. Trotzdem hat der Bundestrainer Kevin Volland aus seinem Aufgebot gestrichen, obwohl der die Bezeichnung Stürmer von allen Spielern aus dem vorläufigen WM-Kader noch am ehesten verdient hätte. Da Löw auch auf Mario Gomez verzichtet, ist Klose der einzige verbliebene Angreifer.
Volland hat in der Bundesliga eine erfolgreiche Saison hinter sich. Für die TSG Hoffenheim erzielte er elf Tore, neun bereitete er vor. Er ist schnell und abschlussstark, aber ihm fehlt die Erfahrung auf höchstem internationalen Niveau. Mit anderen Worten: Volland bringt die Mannschaft nicht entscheidend voran, wenn das Spiel hakt und Klose schwächelt. Für diesen Fall wird Löw auf das System mit der sogenannten falschen Neun umstellen und die nominelle Position im Sturm mit einem Grenzgänger zwischen Mittelfeld und Angriff besetzen, der auch im dichten Gestrüpp der gegnerischen Abwehrspieler noch den nötigen Raum findet. Der Bundestrainer könnte einen kleinen wuseligen Spieler wie Mario Götze oder Mesut Özil aufbieten, den Querläufer Marco Reus oder den Raumdeuter Thomas Müller. Auch André Schürrle und notfalls Lukas Podolski können im Sturm spielen, obwohl sie inzwischen offiziell der Abteilung Mittelfeld zugerechnet werden.
Welche Idee steckt hinter Löws Personalauswahl?
„Wir haben die richtige Mischung aus vielen jungen und hochbegabten Fußballern und Spielern mit viel Turniererfahrung, die wissen, worauf es ankommt“, sagte der Bundestrainer. „Unser Kader ist ausgewogen.“ Zwanzig Feldspieler und drei Torhüter durfte Löw nominieren – das macht rechnerisch zwei komplette Mannschaften plus einen zusätzlichen Torwart. Der Bundestrainer hat großen Wert darauf gelegt, jede Position doppelt zu besetzen, und zwar möglichst gleichwertig. In manchen Fällen ist ihm das besser, in manchen schlechter gelungen. Während die Kandidaten auf den Außenverteidigerpositionen, links wie rechts, eher nicht dem höchsten internationalen Niveau genügen, verfügt Löw gerade in der Offensive über ein hohes Maß an Möglichkeiten.
Marco Reus zum Beispiel kann in der Offensive auf allen vier Positionen spielen. Als falscher Neuner ganz vorne, links und rechts auf den Außenbahnen und auch zentral hinter der Spitze, wie er es in der Rückrunde bei Borussia Dortmund besonders erfolgreich getan hat. Der Bundestrainer hat bereits angekündigt, dass er von seinen Möglichkeiten sehr viel offensiver Gebrauch zu machen gedenkt, als es bisher der Fall war.
Löw erwartet in Brasilien extreme klimatische Bedingungen, die bei den Spielern schneller als gewohnt zu körperlichem Verschleiß führen werden; wer unter diesen Voraussetzungen in der Lage ist, dem eigenen Spiel durch die Einwechslung frischer Kräfte noch einmal einen neuen Schub zu verleihen, kann entscheidend im Vorteil sein. Joachim Löw glaubt, dass er in dieser Hinsicht ausreichend Möglichkeiten besitzt. „Mit diesem Kader fliegen wir selbstbewusst nach Brasilien“, sagte er. „Wir haben dort große Ziele.“