Deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Joachim Löw hat freie Auswahl
Der Konkurrenzkampf im Team von Joachim Löw ist so groß wie lange nicht. Ein Freiticket für die WM hat niemand, sagt der Bundestrainer.
Für Lukas Podolski läuft es im Moment eher mittelprächtig in Japan. Der 32-Jährige hat für seinen neuen Klub zwar schon drei Tore erzielt, inzwischen aber ist er mit Vissel Kobel seit sechs Spielen sieglos, vier davon hat seine Mannschaft verloren.
Es wäre also schon interessant gewesen zu sehen, ob Bundestrainer Joachim Löw eine solche Bilanz ausgereicht hätte, um Podolski für die anstehenden WM-Qualifikationsspiele gegen Tschechien (Freitag) und Norwegen (Montag) zu nominieren. Leider hat Podolski im Frühjahr seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet – und Löw damit vor einer möglicherweise schwierigen Entscheidung bewahrt.
Lukas Podolski war ja immer dabei, egal ob er in Köln gegen den Abstieg gespielt hat, bei den Bayern oder Arsenal auf der Bank saß oder sich in der mittelmäßigen türkischen Süperlig verdingt hat. Warum also nicht auch als Abgesandter aus Japans J-League?
Großer Konkurrenzkampf
Der ewige Poldi stand lange symbolisch für die Personalpolitik von Bundestrainer Löw – für dessen nahezu unerschütterliche Anhänglichkeit an bewährte Kräfte. Wer sich einmal in sein Herz gespielt hatte, musste schon Schlimmes verbrochen haben, um diesen Platz wieder einzubüßen. Damit dürfte es jetzt vorbei sein.
„Der Konkurrenzkampf ist vielleicht groß wie nie“, hat Löw zu Beginn der Länderspielwoche gesagt. Bisher ist das nicht mehr als eine Bestandsaufnahme; entscheidend wird die Frage sein: Ist der Bundestrainer wirklich gewillt, diesen Konkurrenzkampf auch zuzulassen? Im Moment spricht einiges dafür. Für die beiden ersten Länderspiele der Saison hat Löw fast den kompletten Confed-Cup-Kader wieder eingeladen. Siebzehn Spieler stehen in seinem Aufgebot – und nur noch sieben Weltmeister von 2014. „Durch den Confed-Cup ist unser Kreis ein bisschen größer geworden“, sagt Löw.
Confed-Cup gut genutzt
Man hat das in diesem Sommer oft gehört: dass man sich den Confed-Cup eigentlich gar nicht habe anschauen wollen und es dann doch getan hat – weil einen die deutsche Alternativ-Nationalmannschaft ehrlich begeistert hat. Mats Hummels zum Beispiel, der Innenverteidiger, hat das Turnier aufmerksam verfolgt und „viel Spaß gehabt dabei“. Joachim Löw ist es ähnlich ergangen. Auch er hat sich ein Stück weit verzaubern lassen von seiner Mannschaft, die in Russland frisch, unverbraucht und erfreulich unroutiniert aufgetreten ist.
„Man sieht, dass die Spieler den Confed-Cup genutzt haben, um weiter zu wachsen, Persönlichkeit zu zeigen“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Inzwischen hat es fast den Anschein, als hätten nicht mehr die Weltmeister von 2014 einen Amtsbonus, sondern die Confed- Cup-Sieger von 2017. „Ein Freiticket für die WM hat eigentlich niemand“, hat der Bundestrainer am Donnerstag in Prag gesagt.
Was ist mit Khedira, Özil, Müller?
Im Grunde muss Joachim Löw in den nächsten neun Monaten aus drei Kadern einen machen. Zur alten Stammbesetzung gesellen sich jetzt noch die U-21-Europameister und die Confed-Cup-Sieger. Nicht jeder Spieler hat eine echte Chance, im kommenden Sommer bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein, aber 35 bis 40 Spieler dürfen sich laut Löw realistische Hoffnungen auf eine WM-Teilnahme machen. Und nur 23 von ihnen kann der Bundestrainer mit nach Russland nehmen.
Natürlich ist es nicht so, dass nun alle bei null anfangen. Die Stammspieler sind die Stammspieler sind die Stammspieler. Toni Kroos, Mats Hummels, Mesut Özil, Thomas Müller, Jonas Hector und Joshua Kimmich werden in Prag von Anfang an spielen, sie sind laut Löw das Fundament der Mannschaft. „Toni Kroos kann man, glaub' ich, jetzt nicht in Frage stellen“, hat Manager Bierhoff gesagt, Torhüter Manuel Neuer genauso wenig. Aber sonst? Was ist mit dem 31 Jahre alten Sami Khedira, der wegen einer Knieverletzung in Deutschland geblieben ist? Was mit Mesut Özil, der in England gerade viel Kritik einstecken muss? Oder mit Thomas Müller?
„Je mehr Spieler in Topform, desto größer unsere Chance, einen Titel zu gewinnen“
Die wirklich kniffligen Entscheidungen muss Löw nicht jetzt treffen, sondern im Mai 2018. Dass gegen Tschechien und Norwegen einige gestandene Spieler fehlen, ist eher geschäftsmäßig zur Kenntnis genommen worden, weil ihre Abwesenheit plausible Gründe hat. Die einen – Marco Reus, André Schürrle, Jerome Boateng – sind verletzt, die anderen – Mario Götze, Ilkay Gündogan, Benedikt Höwedes – waren es. Aber was passiert, wenn sie alle im Laufe der Saison wieder ihr altes Leistungsniveau erreichen? Umso besser, findet der Bundestrainer: „Je mehr Spieler in Topform, desto größer unsere Chance, einen Titel zu gewinnen.“
Für Löw kann der verschärfte Konkurrenzkampf nur von Vorteil sein. „Ich kann dem nichts Schlechtes abgewinnen“, sagt auch Mats Hummels. „Alle wissen, dass sie liefern müssen. Das wird uns noch mal deutlich stärker machen.“ Der Kampf um die Plätze schärft die Sinne. Ausruhen könne man sich nicht, sagt Linksverteidiger Jonas Hector. „Sonst kommt einer auf der Überholspur vorbei und nimmt dir den Platz weg.“ Joachim Löw hat seinen Nationalspielern zum Auftakt der WM-Saison die Botschaft mitgegeben: „Jeder tut gut daran, wenn er nächstes Jahr gute Leistungen bringt. Und alle Spieler sind angehalten, alles für ihre Form zu tun.“ Es spricht einiges dafür, dass diese Botschaft angekommen ist.