Nach dem Regenbogen-Streit: Jetzt kommt es auf die Fans an – holt Eure Flaggen raus
Nach der Uefa-Entscheidung muss es das Publikum selbst in die Hand nehmen – und mit vielen Regenbogenflaggen zum Spiel gegen Ungarn kommen. Ein Kommentar.
Viele Fußballstadien im Lande werden am Mittwochabend in Regenbogenfarben leuchten. Nicht in München, aber in Berlin, Frankfurt und Köln und in den Herzen ganz vieler Menschen wird es strahlen. Da kann der europäische Fußballverband Uefa machen, was er will, da kann er die von der Münchner Politik etwas holprig geplante Aktion verbieten. Der Stadtrat hatte die Arena-Illuminierung rund um das Spiel der Deutschen gegen Ungarn als Signal für Vielfalt und Akzeptanz von Menschen jeglicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität beantragt.
Der Münchner Oberbürgermeister stieß auf Widerstand bei einem Verband, der sich in einer Zeit, in der sich vieles ändert, der Veränderung verweigert. Dieter Reiter hatte der Uefa eine Steilvorlage für die Absage geliefert, als er direkt auf Ungarns Regierungschef Viktor Orban Bezug nahm und die Aktion so auf die Ebene der Tagespolitik brachte.
Nun also bleibt den Fans im Stadion nur, die Sache selbst in die Hand zu übernehmen. Wer ein Zeichen gegen Homophobie setzen möchte, möge mit Regenbogenflagge ins Stadion kommen. Dem Publikum kann die Uefa das nämlich nicht verbieten. Dass die Aktion bei der Uefa auf Applaus stoßen würde war ein frommer Wunsch. Es gibt Regeln, auf die sich ein Verband berufen kann bei so einem Vorstoß, mag der auch auf noch so breiten Konsens in der Gesellschaft stoßen wie dieser.
Wenn selbst Markus Söder es für geboten hält, sich per Twitter enttäuscht zu zeigen, zeigt das, dass wir in Deutschland erfreulich weit sind. Aber, lässt sich einwenden, wo kommen wir hin, wenn an einem anderen Standort so ein Fußballspiel unter das Signet einer nicht so universalen Idee gestellt wird? Sport lässt sich für die schlechte Sache missbrauchen.
Die verbandseigene Aktion "Uefa Respect" ist scheinheilig
Dieser Punkt taugt aber im Fall der Uefa nicht zur ihrer Verteidigung. Sie hat mit ihrem Schlingerkurs dafür gesorgt, dass die von ihr untersagte Aktion nun so ein breites Echo bekommt. Tatsächlich steckt der Verband in der Klemme. Mag es in Deutschland einen breiten Konsens für Diversität und Menschenrechte geben, so sieht das nicht nur in Ungarn anders aus. Die Menschen in der EU sind, was ihre Anschauungen und Einstellungen gegenüber den Rechten aller Menschen angeht, kein kohärenter Verein.
Die Uefa will es den Deutschen nicht recht machen, weil sie damit andere vergrätzten könnte. Das aber kann sie sich nicht leisten. Hauptsponsor Qatar Airways ist beim europäischen Turnier mit seiner Werbung omnipräsent. Katar schwebt als aufziehende dunkle Wolke über der EM: In dem Staat, in dem sie es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, soll kommendes Jahr die Fußball-WM stattfinden.
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Es hilft nicht, wie von der Uefa gern initiiert, auf Bannern vor den Spielen gegen Rassismus zu sein, das ist kein ehrliches Signal, wenn sich ein Unternehmen von denen finanzieren lässt, die das Wort Gleichberechtigung nicht im Munde führen. In einer verbandseigenen Aktion („Uefa Respect“) „Inklusion, Vielfalt und Barrierefreiheit“ zu fördern, ist scheinheilig. Auch das Regenbogen-Symbol wird vom Verband schon mal verwendet – wenn es niemandem wehtun kann. Das wäre aber dieses Mal der Fall gewesen, die Idee aus München wurde nicht genehmigt aus Angst vor einem politischen Affront (Ungarn) und finanziellen Verlusten (Katar).
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Das Spiel von München ist nun aber auch eine Chance, diesem Fußball der Widersprüche zu helfen. Seinen Kollaps in Fragen der Integrität zu verhindern. Dagegen können die Fans aufstehen. Im Stadion und drumherum. Dann wird es die Welt sehen, dann muss auch Katar wissen, was auf den Staat als Ausrichter der WM zukommt. Und das Land wird gezwungen sein, über Änderungen nachzudenken. Jetzt geht es darum, Flagge zu zeigen gegen die, deren System so verkorkst ist, dass sie ungebremst auf ihr Ende zurasen. Denn von der Uefa kommt kein ehrliches Signal mehr, der Verband rationalisiert sich gerade weg.