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Hans-Jürgen Dörner im Interview: „Jeder denkt nur noch an sich“

Hans-Jürgen Dörner hat 1986 mit Dynamo Dresden einen Vier-Tore-Vorsprung verspielt. Hier spricht er über zitternde Spieler, hilflose Trainer und den Knacks danach.

Herr Dörner, wie haben Sie das 4:4 der deutschen Fußballer gegen Schweden erlebt?

Ich saß im Olympiastadion und habe mitgelitten. 4:4 nach 4:0; das kommt nicht oft vor. Eigentlich nie.

Sie kennen das Gefühl – als ehemaliger Spieler von Dynamo Dresden.

Jaja, 1986, Europapokal, das Rückspiel gegen Bayer Uerdingen – es verfolgt mich bis heute. Das Hinspiel hatten wir 2:0 gewonnen, im Rückspiel stand es zur Halbzeit 3:1 für uns.

Endergebnis 3:7.

Und wissen Sie, was das Verrückte ist? Es lief alles genauso ab wie jetzt am Dienstag. Wir hatten eine Stunde lang unseren Gegner im Griff, in unseren Köpfen war das Ding durch. Niemand im Stadion hat mehr mit irgendwas gerechnet, die ersten gingen nach Hause. Da rennt man als Spieler nicht mehr die zehn Schritte, die nötig wären, sondern höchstens sechs.

Es fällt das erste Gegentor. Dann das zweite. Wird man da nervös?

Ach was, man fühlt sich weiterhin sicher. Der Vorsprung beträgt ja noch zwei Tore. Aber nach dem dritten Gegentreffer kommt man ins Grübeln. So war das bei uns in Uerdingen. Plötzlich fängst du an zu zittern, kannst den Ball nicht mehr stoppen, wirst unsicher. Und weil es jedem so geht, vom Torwart bis zum Stürmer, nimmt das Dilemma seinen Lauf.

Aber muss es nicht in jeder Mannschaft einen Spieler geben, der mal dazwischenhaut und die anderen wachrüttelt?

Das sagt sich so leicht. Aber wenn man auf dem Platz steht und merkt, dass gar nichts mehr geht, kommt man da nicht mehr raus. Da kannst du nichts machen.

Ist die Kritik an der Nationalmannschaft, am mangelnden Teamgeist und an fehlenden Führungsfiguren, also falsch?

Die Kritik ist richtig und wichtig für die Analyse: Was haben wir falsch gemacht? Die deutsche Defensive hatte ja enorme Defizite. Dass so ein schwacher Gegner wie Schweden derart leicht Tore schießen kann, geht natürlich nicht. Wenn eine Mannschaft zusammen angreift, muss sie auch zusammen verteidigen.

Ist das für Sie eine Lehre aus dem Uerdinger Spiel?

Bei den Uerdingern war am Ende jeder Schuss im Tor – wie am Dienstag. Da ist man als Spieler perplex, fragt sich: Wie komme ich aus der Schlinge jetzt noch raus? Aber jeder auf dem Platz hat da mit sich zu tun. Jeder denkt nur noch an sich.

Der deutschen Mannschaft ist nicht mal ein vernünftiges Zeitspiel gelungen. Kapitän Philipp Lahm und Vizekapitän Bastian Schweinsteiger sahen stattdessen Gelb wegen Spielverzögerung.

In diesem Moment dachte ich: Was ist denn in die Spieler gefahren? Aber Führungsspieler hin, Kapitän her – das passiert jedem mal. Der FC Bayern hat gegen Manchester United in einer Minute den Titel in der Champions League verspielt. Da stand ein Oliver Kahn im Team, ein Stefan Effenberg. Es half auch nichts.

Helfen Impulse vom Trainer?

Er kann es versuchen, klar. Er hat die Möglichkeit zu wechseln. Joachim Löw hätte jemanden einwechseln müssen, der das Zepter übernimmt. Aber wer hätte das sein sollen? Es ist eine Scheißsituation. Und nach dem Abpfiff ein ganz mieses Gefühl.

Wie haben Sie Ihre Niederlage damals verarbeitet?

Zuerst habe ich gar nicht begriffen, was passiert ist. In der Kabine war es totenstill. Was soll man auch sagen? Man ist vollkommen leer. Wir haben als Mannschaft in der Saison keinen Fuß mehr auf den Boden gekriegt. Mit Dynamo Dresden flogen wir danach aus dem DDR-Pokal, in der Meisterschaft ging auch nichts mehr. Zum Glück haben die Spieler vom Dienstag jetzt erst mal eine Pause.

Aber sie müssen am Wochenende in der Bundesliga weiterspielen.

Die Nationalspieler machen nun in den Vereinen weiter, das lenkt sie ab, aber es bleibt sicher ein Knacks. Ich kann den Vereinstrainern nur raten, sich um jeden, der bei dem 4:4 dabei war, zu kümmern. Für Joachim Löw wird es schwieriger, das Spiel hinter sich zu lassen, die Qualifikation geht ja erst im Frühjahr weiter. Er kann das Ergebnis und die Erlebnisse ja nicht ein halbes Jahr stehen lassen. Auch er sollte jetzt intensiv mit seinen Spielern sprechen.

Herr Dörner, Ihre Niederlage 1986 war historisch. Können Sie heute darüber lachen?

Nein. Ich werde ja immer damit verbunden. Aber ich hoffe, dass mich die Nationalmannschaft mit ihrem 4:4 jetzt ablöst.

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