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Manuel Locatelli (links) feiert das Führungstor gegen die Schweiz mit Lorenzo Insigne.
© Riccardo Antimiani / POOL / AFP

Zweiter 3:0-Sieg bei dieser EM: Italien träumt wieder von magischen Nächten

Mit zwei souveränen Siegen hat sich Italien in den engen Favoritenkreis gespielt. Ein Gesicht des Umbruchs nach der verpassten WM 2018 ist Manuel Locatelli.

Mit großen Erwartungen kennt sich Manuel Locatelli aus. 2015 war der Mittelfeldspieler gerade erst 17 Jahre alt, dennoch wurde er vom englischen „Guardian“ bereits in einer Liste der 50 größten Fußballtalente der Welt geführt. Der Chefscout seines Vereins, Mauro Bianchessi, prophezeite damals: „Er kann der nächste Kapitän des AC Mailand werden. Er ist ein bisschen Andrea Pirlo und ein bisschen Riccardo Montolivo.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte Locatelli noch kein einziges Profispiel gemacht.

Sechs Jahre, einen Wechsel zu Sassuolo Calcio in die Fußballprovinz und 144 Einsätze in der Serie A später ist er zwar nicht Milan-Kapitän, aber gefeierter Nationalspieler. Beim 3:0 im zweiten EM-Gruppenspiel gegen die Schweiz erzielte er seine ersten zwei Länderspieltore für Italien. „Eine Nacht, die ich niemals vergessen werde“, schrieb er danach in den Sozialen Medien – und das klang fast nach „Notti magiche“, dem 1990er WM-Song von Gianna Nannini und Edoardo Bennato, den das italienische Team auf dem Weg zurück ins Hotel im Bus zum Besten gab.

Magische Nächte, so fühlt es sich langsam wieder an, wenn die Squadra Azzurra spielt. 3:0 gegen die Türkei, 3:0 gegen die Schweiz, Qualifikation fürs Achtelfinale bereits souverän erreicht. Wann hat es so etwas mal gegeben im Land der Fußballpragmatiker? Nur drei Jahre nach der verpassten WM träumen die Italiener bereits wieder von einem Titel.

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Der Umbruch trägt eindeutig den Namen von Trainer Roberto Mancini. Spieler wie Locatelli oder sein Klubkollege Domenico Berardi, der bei diesem Turnier schon zwei Tore vorbereitet hat, füllen ihn aber mit Leben. Im Gegensatz zu früheren Jahren fehlen Italien die Baggios, Tottis und Del Pieros. Individuell gibt es definitiv bessere Teams bei dieser EM, allen voran Weltmeister Frankreich. Doch bisher wirkte keine Mannschaft derart geschlossen, taktisch ausgereift und überzeugt von den eigenen Mitteln wie Italien.

Am deutlichsten wurde das an Locatellis Mischung aus Übersicht, Präzision und Entschlossenheit beim Führungstreffer gegen die Schweiz. Mit einem direkten Diagonalball aus der eigenen Hälfte leitet der Mittelfeldspieler den Angriff selbst ein, läuft 60 Meter bis in den Fünfmeterraum und schiebt den Querpass von Berardi über die Linie. Man könnte diese Aktion Locatellis auch in einem Lexikon unter dem Stichwort „Box-to-Box-Spieler“ verewigen.

Nachdem der AC Mailand Locatelli 2018 nach Sassuolo verkauft hat, hat sich dieser fußballerisch enorm weiterentwickelt – und soll mittlerweile mit einem Marktwert von knapp 40 Millionen Euro bei Klubs wie Juventus Turin, PSG und Borussia Dortmund auf dem Zettel stehen. Von einem Sechser mit Fokus auf den Spielaufbau aus der Tiefe hat sich Locatelli zu einem „Tuttocampista“ entwickelt. So werden in Italien Spieler bezeichnet, die durch ihre Variabilität überall auf dem Feld zu finden sind.

Vor dem Spiel gegen Wales am Sonntag, bei dem Italien zum 30. Mal in Folge ungeschlagen bleiben und damit einen Rekord aus den 30er Jahren einstellen könnte, steht Mancini nun vor einer schwierigen Frage. Wer soll auf die Bank, wenn sich mit Marco Verratti der eigentliche Mittelfeldstar zurückmeldet? „Ich glaube nicht, dass ich unverzichtbar bin“, sagte Locatelli. „Marco ist ein Champion und kann den Unterschied machen.“ Roberto Mancini wird diese Bodenständigkeit gerne hören.

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