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So viele Sportlerinnen wie noch nie. Auch die deutschen Hockey-Frauen sorgen in Tokio für einen ausgewogenen Schnitt.
© Horstmüller/Imago

IOC-Direktorin Marie Sallois: „In Tokio erreichen wir Geschlechtergleichstellung“

IOC-Direktorin Marie Sallois über unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen, Impulse für die olympische Bewegung und Fahnenträgerinnen zum Start.

Frau Sallois, Sie arbeiten seit vielen Jahren für das Internationale Olympische Komitee (IOC). Könnten Sie Ihre aktuelle Position und Ihre Aufgaben näher erläutern?
Ich bin 2004 zum IOC gekommen und arbeite jetzt als Direktorin der Abteilung „Corporate and Sustainable Development“. Unsere Abteilung befasst sich mit Nachhaltigkeit, dem Erbe der Olympischen Spiele, Gleichstellung der Geschlechter sowie Menschenrechte. Diese Themen haben für das IOC große Bedeutung. Wir interagieren deshalb innerhalb der Organisation, aber auch mit unseren Stakeholdern.

Wie sind Sie zum IOC gekommen?
Ich hatte in meiner Karriere großes Glück, und obwohl ich während meines Studiums und in verschiedenen Positionen als Frau in der Minderheit war, konnte ich mich immer auf Männer verlassen. Ich habe einen Unternehmenshintergrund und habe die Spiele kennengelernt, als ich für einen Sponsor des IOC gearbeitet habe. Ich habe dann die Abteilung Unternehmensentwicklung im IOC übernommen. Im Rahmen der Olympischen Agenda 2020 wurde 2015 unser Portfolio um das Thema Nachhaltigkeit erweitert.

Im Jahr 2012 war zum ersten Mal fast die Hälfte der Athlet*innen Frauen. Beim IOC allerdings sind nur 38 von 103 Mitgliedern Frauen. Woran liegt das?
In fast jeder Organisation gibt es die gleichen Herausforderungen. Es ist weder spezifisch für die Sportwelt noch für das IOC. Im IOC hat die Zahl der Frauen aufgrund mehrerer Maßnahmen, die die Organisation ergriffen hat, in den letzten Jahren stark zugenommen. Präsident Thomas Bach hat nach seiner Wahl die Geschlechtergleichstellung zu einer der tragenden Säulen der Olympischen Agenda 2020 gemacht. Es ist wichtig, dass Veränderungen von der Führung geleitet werden. Das IOC hat einige Mechanismen eingesetzt, beispielsweise die Erhöhung der Anzahl der Frauen in den Kommissionen, die zuvor traditionell von Männern dominiert wurden.

Was bedeutet das?
Heute machen Frauen 47,8 Prozent der Mitglieder der IOC-Kommissionen aus. Vor der Olympischen Agenda 2020 waren es 20,3 Prozent. Darüber hinaus stieg die Zahl der Frauen in der IOC-Mitgliedschaft von 21 Prozent auf 37,5 Prozent. Die Repräsentation von Frauen in der IOC-Exekutive liegt bei 33,3 Prozent. 27 Prozent unserer Direktoren im IOC sind Frauen. Es wurde viel erreicht.

Marie Sallois, 51, ist seit 2004 beim Internationalen Olympischen Komitee und aktuell als Direktorin für die Themen Unternehmensentwicklung, Marke und Nachhaltigkeit verantwortlich.
Marie Sallois, 51, ist seit 2004 beim Internationalen Olympischen Komitee und aktuell als Direktorin für die Themen Unternehmensentwicklung, Marke und Nachhaltigkeit verantwortlich.
© promo

Vor welchen Hürden stehen Frauen im IOC und in der olympischen Bewegung dennoch?
Wir müssen unbewusste Vorurteile in allen Lebensbereichen bekämpfen, auch im Sport. Das ist schwierig, da einige Männer und einige Gesellschaften vorgefasste Vorstellungen von Frauen haben. Es kann sehr frustrierend sein, wenn Sie in einer Besprechung sitzen und etwas sagen, aber niemand reagiert. Und dann sagt Ihr männlicher Kollege direkt neben Ihnen genau dasselbe, aber er wird gehört. Auch die Gesellschaft hat Vorurteile gegenüber Frauen; wir Frauen müssen zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen. Ich wurde als schlechte Mutter behandelt, weil ich zwei Kinder habe und Vollzeit arbeite. Ebenso haben Frauen vorgefasste Vorstellungen von Männern. Es können nur Fortschritte gemacht werden, wenn es auch zum Beispiel für Männer normal wird, in Teilzeit zu arbeiten.

Denken Sie, dass eine Frauenquote in den Nationalen Olympischen Komitees und im IOC helfen könnte?
Das ist eine sehr interessante Debatte. Im IOC sprechen wir nicht über Quoten, sondern über Ziele. Das IOC hat bereits 2016 Ziele festgelegt und die Internationalen Verbände und Nationalen Olympischen Komitees dazu aufgefordert, mindestens 30 Prozent Frauen in ihren Entscheidungsgremien zu haben. Nicht alle haben das erreicht, aber die Tatsache, dass das IOC es erreicht hat und mit gutem Beispiel vorangeht, hilft.

Ist es beim IOC nicht auch mal Zeit für eine Präsidentin, möglicherweise aus einem nicht-europäischen Land?
Diese Entscheidung liegt allein bei den Mitgliedern, die den Präsidenten oder die Präsidentin wählen. Heute bestehen die Mitglieder zu 38 Prozent aus Frauen. Dies zeigt, in welche Richtung es geht.

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Vor einigen Monaten wurde Yoshiro Mori, der Chef der Olympischen Spiele in Tokio, für seine sexistischen Kommentare kritisiert. Er trat später zurück. Wie geht das IOC mit solchen Vorfällen um?
Das Organisationskomitee ist eine eigenständige Organisation, und das IOC entscheidet nicht mit. Wir können nur beeinflussen und dazu ermutigen, sich unserer Politik anzupassen. Es war besonders herausfordernd, weil die Olympischen Spiele in Tokio die ersten geschlechtergerechten Olympischen Spiele sind. Wir waren wirklich beeindruckt davon, wie unsere japanischen Partner diese Krise zu einer Chance gemacht haben. Sie haben jetzt 42 Prozent Frauen in ihrem Vorstand, was sehr mutig ist. Diese Krise hat die Gleichstellung der Geschlechter noch stärker in den Vordergrund gerückt und uns auch innerhalb der olympischen Bewegung geholfen, zusätzliche Impulse zu setzen. Alle sprachen über den Vorfall und wir haben ihn im IOC genutzt, um beispielsweise weitere Webinare zu diesem Thema zu organisieren.

Welche Bedeutung haben die ersten geschlechtergerechten Olympischen Spiele?
In Tokio werden wir mit 48,8 Prozent Teilnehmerinnen die Geschlechtergleichstellung erreichen. Drei Jahre später wird es in Paris genauso viele männliche wie weibliche Athleten geben. Wenn man das mit London 2012 vor der Agenda 2020 vergleicht, wo Frauen 44,2 Prozent der Teilnehmer ausmachten, ist dies ein großer Schritt nach vorne. Wir haben mit den Athleten angefangen und gehen jetzt darüber hinaus – zu den Delegationen, Fahnenträgern und den Veranstaltungen. Das IOC hat alle NOKs aufgefordert, bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 zum ersten Mal in der Geschichte mindestens eine Frau und einen Mann in ihre Teams aufzunehmen. Wir haben zudem die Protokollvorgaben geändert, so dass nun eine Sportlerin und ein Sportler jedes NOKs gemeinsam während der Eröffnungszeremonie die Fahne tragen können.

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Die Teilnahmeberechtigung von trans und inter Athlet*innen ist weiterhin eingeschränkt. Athlet*innen wie Caster Semenya müssen nachweisen, dass ihr Testosteronspiegel niedrig ist. Michael Phelps hingegen wird für seine flexiblen Fußgelenke und genetischen Vorteile gefeiert. Warum?
Dies ist ein sehr komplexes Thema. Inklusion und Fairness müssen ausbalanciert werden. Um die Frage angemessen zu diskutieren, haben wir eine Konsultation mit sämtlichen Stakeholdern und Personen verschiedener Geschlechtsidentitäten organisiert. Wir arbeiten an Rahmenrichtlinien für die Inklusion von Sportler*innen auf der Grundlage von Geschlechtsmerkmalen und Geschlechtsidentität. Die Teilnahmeberechtigung muss für jede Sportart separat betrachtet werden, in vielen Fällen sogar für jede Disziplin oder jeden Wettbewerb.

Meist werden die vermeintlichen Vorteile von trans Athletinnen diskutiert, während die potenziellen Nachteile von trans Athleten kaum thematisiert werden.
Ja, alles muss berücksichtigt werden. Deshalb gibt es nicht die eine Antwort. Es scheint unmöglich, eine allgemeine Regel für alle Sportarten, Disziplinen und Wettbewerbe zu schaffen. Die Teilnahmebedingungen hängen vom Sport ab. Es ist alles andere als einfach und etwas, worüber wir seit Oktober 2019 beraten. In ein paar Monaten werden wir mehr Details haben.

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