Zum Start der neuen Eishockey-Saison: In der NHL ist kein Platz für Berliner
Die früheren Eisbären Lukas Reichel und Leon Gawanke spielen zum Saisonstart noch nicht in der NHL, andere Deutsche allerdings schon. Eine Übersicht.
Aus Sicht der Berliner Eishockeyausbildung startet die neue Saison in der National Hockey-League enttäuschend. Wenn um vier Uhr deutscher Zeit in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die Chicago Blackhawks zum ersten Mal antreten, etwas mehr als 24 Stunden nach dem offiziellen Auftakt in die Spielzeit 2021/2022, wird Lukas Reichel, 19, noch nicht sein Debüt in der besten Eishockeyligaliga der Welt geben. Zunächst soll er Spielpraxis bei den Rockford Icehogs in der AHL sammeln.
„Kopf hoch Luki, das wird schon noch!“, schrieben die Eisbären auf Twitter zu der Entscheidung der Blackhawks, die Reichel im vergangenen Jahr in der ersten Runde des Drafts ausgewählt hatten. Diese Einschätzung teilen auch nordamerikanische NHL-Experten, die nah dran sind an dem Verein.
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Charlie Roumeliotis etwa schrieb in seiner Analyse für NBC: „Er absolvierte ein solides Trainingscamp. Aber er hat sich nicht bis zu dem Punkt aufgedrängt, dass die Blackhawks gar nicht anders konnten, als ihn mit in die Aufstellung zu nehmen. Etwas mehr Zeit zur Entwicklung wird ihm helfen, das Niveau dauerhaft zu erreichen.“
Leon Gawanke, 22, nimmt bereits seinen dritten Anlauf in der Farmteamliga, um den Sprung in die NHL zu schaffen. Der von klein auf bei den Eisbären ausgebildete Verteidiger hat sich längst zu einem gestandenen Profi entwickelt, spielte auch überzeugend bei der WM im lettischen Riga, wo das deutsche Team nur knapp eine Medaille verpasste.
Aber vermutlich wird diese Saison die letzte Möglichkeit bieten, der Organisation der Winnipeg Jets nicht nur anzugehören, sondern in der NHL auch mal das blaue Trikot überzustreifen. Bislang gehört das Jersey von Manitoba Moose zur Standardausrüstung. 74 Einsätze bestritt Gawanke für die Kanadier, dabei schoss er fünf Tore und bereitete 28 Treffer vor.
Gute Aussichten für John-Jason Peterka
Auch John-Jason Peterka, 19, muss erst einmal einen Umweg über die AHL nehmen. Wie die Buffalo Sabres am Montag mitteilten, wurde der 19-Jährige erst einmal an das sogenannte Farmteam, die Rochester Americans, abgegeben. „Er bekommt mehr Eiszeit, mehr spezielle Mannschaftszeit dort“, sagte Trainer Don Granato. Er erwarte aber, dass Peterka im Laufe der Saison auch noch in der NHL zum Einsatz komme. Der Stürmer hatte zunächst im Rookie-Camp und anschließend in der Saisonvorbereitung der Sabres überzeugt.
Obwohl wie Reichel und Peterka im Jahr 2002 geboren, ist Tim Stützle schon deutlich weiter. Was an den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Angreifers liegt, der in seiner ersten NHL-Saison für die Ottawa Senators bereits 53 Spiele bestritt, dabei zwölf Tore erzielte und 17 vorbereitete.
General Manager Pierre Dorion lobt den Nummer-drei-Draft von 2020 jedenfalls in höchsten Tönen. „Er hat das Potenzial, der beste Flügelstürmer der NHL zu werden, ein Superstar“, sagte er jüngst. Entsprechend will Stützle noch mehr Verantwortung übernehmen und weiterhin daran arbeiten, sich ähnlich wie Leon Draisaitl zu entwickeln.
Der 25-jährige Kölner ist bekanntlich einer der besten Eishockey-Stürmer überhaupt. In den Spielzeiten 2018/19 und 2019/20 kam er jeweils auf mehr als 100 Scorerpunkte, nach der jüngsten Corona-Saison mit einem reduzierten Spielplan zählte seine Statistik nach 56 Spielen 31 Tore und 53 Assists.
Draisaitl will diesmal ganz oben mitspielen
Dennoch macht es die Fokussierung auf Draisaitl und seinen Sturmkollegen Connor McDavid schwer für den Verein. Insgesamt fehlte dem Kader zuletzt die Ausgeglichenheit, um mal wieder ernsthaft in den Titelkampf einzugreifen. Draisaitl hofft, dass sich das ändert. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er: „Wir haben jetzt die Mannschaft. Unser Ziel muss es sein, ganz oben mitzuspielen.“
Diesen Anspruch hat der Klub von Moritz Seider, 20, die Detroit Red Wings, nicht. Für das Team aus Michigan geht es vielmehr darum, ein zukunftsfähiges Fundament aufzubauen. Und der Verteidiger soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Nachdem er 2019 an sechster Position beim Draft ausgewählt worden war, spielte er zunächst ebenfalls in der AHL, reifte dann aber im Vorjahr beim schwedischen Meisterschaftszweiten Rögle BK. „Ich bin bereit für die NHL“, sagt er nun. Daran gibt es wenig Zweifel. Auch seine Auftritte bei der WM zeugten bereits von großer Abgeklärtheit.
Mit Seider und Torwart Thomas Greiss, 35, steht sogar ein deutsches Duo bei den Red Wings unter Vertrag. Die sportlichen Fähigkeiten des Schlussmannes sind unumstritten. Allerdings sorgen seine Posts in sozialen Netzwerken immer wieder für Wirbel und Unverständnis. 2017 likte er einen Post, der Hillary Clinton mit Adolf Hitler verglich, Anfang dieses Jahres nun kondolierte er dem rechtsgerichteten US-Radiomoderator Rush Limbaugh. Sein Aus beim der deutschen Nationalmannschaft war damit endgültig besiegelt.
Grubauer zählt zu den besten Keepern der NHL
Im Vergleich der deutschen NHL-Keeper ist Philipp Grubauer ohnehin die Nummer eins. Der 29-Jährige zählt mittlerweile zu den besten Torhütern der Liga. Dass seine Aussichten dennoch schwer abzusehen sind, liegt daran, dass er vom Titelkandidaten Colorado Avalanche zum Neuling Seattle Kraken gewechselt ist. „Du bist die erste Mannschaft, die jemals für Seattle spielen wird. Das ist unglaublich“, sagte er jüngst. An dem Rosenheimer wird es auch liegen, ob der Franchise ein ähnlich rasanter Aufstieg gelingen kann wie den Vegas Golden Knights, die in ihrer Premierensaison 2017/18 gleich ins Finale stürmten.
Bei so vielen deutschen Ausnahmekönnern geht Nico Sturm, 26, gelegentlich etwas unter. Dabei braucht sich der Center der Minnesota Wild keineswegs zu verstecken. Nachdem er in seinen ersten beiden Spielzeiten hauptsächlich im Farmteam gespielt hat, zählt er inzwischen zum festen Inventar bei seinem Verein. Inklusive Play-offs bestritt er im Vorjahr 57 Partien, kam dabei auf 19 Scorerpunkte.
Bei Tobias Rieder, 28, hingegen sieht es so aus, dass die NHL-Karriere vorbei ist. Über einen Probevertrag bei den Anaheim Ducks kam der Stürmer nicht hinaus und ist aktuell noch vertragslos. Nach sieben Jahren in der NHL steht er somit wohl vor einer Rückkehr nach Europa. Auch für Dominik Kahun, 26, der nun für den SC Bern spielt, und Tom Kühnhackl, 29, der in Schweden bei Skelleftea unter Vertrag steht, ist das Kapitel NHL beendet. Korbinian Holzer, 33, und Lean Bergmann, 23, sind seit der Rückkehr aus Nordamerika bei den Adler Mannheim beschäftigt.
Dominik Bokk, 21, der 2018 von den St. Louis Blues in der ersten Runde ausgewählt wurde, und Marc Michaelis, 26, tummeln sich in der AHL, um sich zu bewähren. Sie teilen also aktuell das gleiche Schicksal wie die früheren Eisbären Gawanke und Reichel. Wenngleich Reichels Perspektiven auf einen baldigen Aufstieg deutlich höher sind als die der Kollegen.
Benedikt Paetzholdt