Christian Fiedler: "Ich will nicht als Einbeiniger rumlaufen"
Herthas Torwarttrainer Christian Fiedler über sein Karriereende – und die Turnhose von Dieter Hoeneß.
Herr Fiedler, wie haben Sie Ihren Sommerurlaub verbracht: noch wie ein Fußball-Profi oder schon wie ein Trainer?
Ich habe mich wesentlich mehr erholt als in früheren Jahren. Lange Ausdauerläufe habe ich mir erspart. Meine Karriere als Spieler habe ich abgehakt. Musste ich abhaken.
War es ein komischer Urlaub für Sie?
Absolut nicht. Ich will nicht sagen, dass ich froh bin, dass alles vorbei ist. Aber ich habe beim Laufen gemerkt, dass mein Knie wieder anfängt zu schmerzen. Natürlich könnte ich mich noch einmal durchbeißen. Aber nur noch mit Schmerzmitteln - das muss nicht sein. Ich will ja nicht in ein paar Jahren als Einbeiniger herumlaufen. Wenn ich höre, dass Rüdiger Vollborn jetzt ein neues Kniegelenk braucht … Der ist Mitte 40. Darauf habe ich keine Lust.
Ist es nicht ein seltsamer Gedanke: Hertha beginnt heute mit der Saisonvorbereitung, und Sie sind nicht dabei.
Bin ich doch – als Torwarttrainer. Aber es wird auf jeden Fall anders sein. Du gehst nicht mehr zu den Spielern in die Kabine, sondern zu den Trainern. Trotzdem freue ich mich auf die neue Aufgabe. Ich habe schon früh darüber nachgedacht, was nach der Karriere kommt.
Sie werden weiterhin jeden Tag auf dem Platz stehen, am Wochenende bei den Spielen sein, im Sommer im Trainingslager …
… stimmt, der alte Rhythmus bleibt, und es kommen noch neue Aufgaben hinzu. Wir werden auch die Nachwuchstorhüter trainieren, du musst die Trainingseinheiten vorbereiten, alles nachbearbeiten und analysieren – als Spieler hast du das einfach so vorgesetzt bekommen.
Wird sich Ihr Verhältnis zu den ehemaligen Mitspielern verändern?
Nein, eigentlich nicht. Ich will nicht sagen, dass ich sowieso ein bisschen distanzierter war, aber ich war nie der, der mit den Jungs um die Häuser gezogen ist und bei den Feierlichkeiten groß dabei war.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Dass ich etwas aufbauen kann. Einem erfahrenen Torhüter wie Jaroslav Drobny werde ich nicht mehr viel Neues beibringen, aber denen, die aus der Jugend nachkommen. Da gibt es Bedarf. Von Sascha Burchert abgesehen hat Hertha keinen aktuellen Junioren-Nationaltorhüter.
Herthas Torwarttrainer Enver Maric hat gesagt, er freue sich auf Ihre Ideen.
Ich habe mir immer schon Dinge überlegt, die man verändern könnte. Enver hat zu mir gesagt: Pass auf, lass das sein. Das machen wir, wenn du Trainer bist. Das ist dann dein Ding. Natürlich möchte ich auch etwas von mir einbringen. Aber die Arbeit soll auch so fortgeführt werden, wie Enver sie bisher mit Nello di Martino gemacht hat. Ich halte seine Philosophie für richtig. Das, was Enver aus den Torhütern rausholt, ist überragend.
Wird Hertha künftig eigentlich drei Torwarttrainer haben?
Das weiß ich nicht. Aus diesen Sachen halte ich mich auch raus.
Hat Cheftrainer Lucien Favre eine klare Philosophie vom Torhüterspiel?
Er sagt immer, Torhüter brauchen eine Nase fürs Spiel. Favre lässt auch den Torwarttrainern freie Hand. Er mischt sich da sehr wenig ein.
Dürfen Sie Favre künftig duzen?
Wenn er mir das Du anbietet, mache ich das. Aber ich werde es nicht von mir aus ansprechen. So bin ich erzogen.
Es heißt, Favre hätte Sie gerne noch als erfahrene Nummer zwei in der Hinterhand gehabt.
Da müssen Sie mehr wissen als ich. Ich habe ihn darauf gesprochen. Er hat gesagt, er vertraut unseren beiden jungen Torhütern, er möchte jetzt einen Schnitt machen. Das ist auch vollkommen okay.
Konnten Sie sich überhaupt richtig auf Ihr Karriereende vorbereiten?
Ja, irgendwann ist sowieso Schluss, das wusste ich doch schon lange. Und vielleicht ist es besser, von selbst festzustellen, dass es nicht mehr geht, als wenn dir gesagt wird: Wir brauchen dich nicht mehr. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich eine neue Aufgabe habe. Ich war nie der Typ, dem es wichtig ist, einen bestimmten Status zu haben - ich wollte eigentlich nur Fußball spielen.
Wann haben Sie sich eingestanden, dass es damit vorbei ist?
Das war mir schon klar, als ich beim Turnier in Mallorca auf dem Platz lag. Das Knie war kaputt. Das hat sich übelst angehört. Dreimal hat es richtig laut gekracht. In dem Moment wusste ich: Das war''s.
Trotzdem haben Sie es noch mal versucht.
Es ist immer blöd, sich mit einer Verletzung zu verabschieden. Und vielleicht hätte ich es auch noch einmal hinbekommen. Aber dadurch, dass ich noch ein zweites Mal operiert werden musste, ist mir die Zeit weggelaufen.
Wäre es anders gewesen, wenn Sie die Nummer eins gewesen wären?
Ich glaube, ich hätte trotzdem aufgehört. Wahrscheinlich jedenfalls. Ich kann die Natur nicht beeinflussen. Im Knie war alles kaputt, bis auf die Patellasehne. Dazu kam ein Knorpelschaden. Der Knorpel war regelrecht rausgebrochen. Mir hat man das auch erst einmal verschwiegen, weil man gedacht hat, ich könnte das gedanklich nur schwer verarbeiten. Das ganze Ausmaß habe ich erst erfahren, als ich nach ein paar Monaten die DVD von der Operation bekommen und mir angesehen habe, was da alles entfernt worden ist. Hoppala!, habe ich gedacht.
Sind Sie masochistisch veranlagt, dass Sie sich so etwas anschauen?
Das ist gar nicht schlimm. Man sieht das, was der Chirurg bei der Arthroskopie auch sieht. Das Blut wird abgesaugt, damit du ein klares Bild hast. Du siehst die Formen und Strukturen. Das ist wie eine Unterwasserwelt. Fehlen nur die Fische.
Sie hätten Ihre Karriere nur mit viel Glück fortsetzen können.
Wir haben ja darüber diskutiert. Der Verein hatte bis zum 30. April die Option, den Vertrag zu verlängern. Ich habe dem Trainer auch signalisiert, dass ich es bis zum Saisonstart noch einmal hinbekommen könnte.
Sie sollen aus der Zeitung von Ihrem Karriereende erfahren haben.
Na ja, eigentlich wusste ich am 1. Mai: Das war’s - weil der Verein seine Option nicht gezogen hat. Man hat mir gesagt, der Trainer habe sich noch nicht endgültig entschieden, aber ich solle mich darauf einstellen, zur neuen Saison zum Trainerstab zu gehören. Es sollte noch ein Gespräch geben, aber das hat sich dann nicht mehr ergeben.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Karriere unvollendet geblieben ist?
Ich bin zufrieden mit meiner Karriere.
Sie waren länger bei Hertha als Dieter Hoeneß, trotzdem können sich viele den Verein ohne Hoeneß nicht vorstellen.
Zwei oder drei Tage, bevor sein Vertrag aufgelöst wurde, habe ich noch mit ihm gesprochen. Da war abzusehen, was passiert. Insofern war das eine komische Situation. Aber ich hatte den Eindruck, dass er eigentlich locker und relaxt war.
Vielleicht war er froh, dass es vorbei ist.
Ich kann nur sagen, wie es bei mir war. In dem Moment, in dem ich mich verletzt habe, wusste ich für mich: Die Karriere ist vorbei - und es war gar nicht schlimm.
Wird Hoeneß Ihnen fehlen?
Sagen wir so: Ich hatte mit ihm nie große Probleme. Aber ich glaube nicht, dass Dieter Hoeneß komplett aus der Bundesliga verschwinden wird. Er wird wiederkommen.
Was werden Sie an ihm vermissen?
Seine blaue Turnhose, die er bei Fußballspielen im Trainingslager immer getragen hat. Die muss aus der Zeit stammen, als Commodore noch Sponsor bei den Bayern war. Darin sah er immer richtig knackig aus.
Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.