zum Hauptinhalt
Jos Luhukay, 51, hat nach dem Abstieg im Sommer 2012 als Trainer bei Hertha BSC angefangen.
© Imago/Eibner

Hertha-Trainer Jos Luhukay im Interview: „Ich nehme Niederlagen nie persönlich“

Herthas Trainer Jos Luhukay spricht mit dem Tagesspiegel über Kritik, Zweifel und seine positiven Erwartungen an die Rückrunde. Die Berliner starten am Sonntag mit dem Spiel bei Werder Bremen.

Herr Luhukay, lassen Sie sich eigentlich noch den Pressespiegel geben?

Ich kriege den als E-Mail. Ich lese aber nicht alles, sondern nur das, von dem ich annehme, dass es Inhalt hat. Das darf gern auch mal kritisch sein, aber es sollte eben auch fachlich und sachlich sein. Wir leben nun mal in einer erfolgsorientierten Gesellschaft. Grundsätzlich aber vertiefe ich mich nicht in die Berichte, Meinungen oder Kommentare. Das lenkt ab und würde mir ein Stück Energie rauben.

Die Kritik einiger Hertha-Fans in der Kurve fiel unlängst ungewohnt persönlich aus. Auf einem Transparent stand: „Luhukay: Wo ist das System? Wie lautet das Konzept?“ Das muss Sie getroffen haben.

Sagen wir mal so: Das hat mich überrascht. Wir hatten uns in den Tagen vor dem Dortmund-Spiel sehr auf unsere Arbeit fokussiert. Wir hatten eine große Vorfreude auf das Spiel, denn es gibt nur zwei Spiele in der Saison, die ausverkauft sind, gegen Bayern München und eben Dortmund. Ich nehme die Kritik auf, aber ich lasse mich davon nicht beirren.

Dann sind Sie vermutlich anderer Meinung. Aber ist Ihnen nicht mal der Gedanke gekommen, dass es Ihrer Mannschaft nicht gelungen ist, eine Idee umzusetzen?

Ich bin 21 Jahre in Deutschland, lange Zeit davon als Cheftrainer verantwortlich. Meine Mannschaften sind immer gut eingestellt. Ich glaube von mir selber behaupten zu können, dass ich sehr akribisch bin. Wenn ich nicht gut vorbereitet bin, ist es die Mannschaft auch nicht. Für mich kann ich das ausschließen. Aber ich denke eben auch, dass Trainer sich manchmal nicht so wichtig nehmen müssen. Sowohl bei Erfolg als auch bei Misserfolg.

Wie meinen Sie das?

Es liegt nie allein am Trainer. Es ist immer eine komplexe Situation. Man hat sein Trainerteam, und man hat seine Mannschaft. Jeder ist ein bisschen von der Qualität des anderen abhängig. Vor einem Jahr hätten Sie mir die Frage nach der Idee nicht gestellt.

Hertha hatte die Hinrunde der Vorsaison auch auf Platz sechs abgeschlossen …

Die Situation war total sonnig. In solchen Phasen wird alles gelobt: die Handschrift des Trainers, seine personellen Entscheidungen und seine Ansprache an die Spieler. Mir hat es in den Ohren geklungen. Aber auch das wusste ich einzuordnen.

Können Sie die Enttäuschung, die Sorgen und Ängste der Fans verstehen? Sie haben zwei Abstiege hinter sich.

Ich kann das alles gut verstehen. Als ich bei Hertha anfing, war die Mannschaft nach dem zweiten Abstieg total am Boden. Adrian Ramos und Ronny zum Beispiel waren in der Versenkung. Ich weiß noch, wie ich mit beiden intensiv arbeiten musste. Adrian war mental völlig unten durch, und von Ronny hat niemand mehr etwas erwartet. Und jetzt stecken wir in einer anderen Situation. Die Frage ist legitim. Aber sie lässt mich nicht zweifeln.

"Ein Trainer sollte ausgeglichen wirken"

Weil Sie von Ihrer Arbeit überzeugt sind?

Ich glaube, entscheidend bei allem, was man tut, ist die Überzeugung in die eigenen Vorstellungen und in die eigene Arbeit. Gerade, wenn es nicht so läuft. Ein Trainer sollte ausgeglichen wirken. Er muss die unterschiedlichen Phasen, die im Laufe einer Saison entstehen, fair und seriös handhaben. Er muss mental und menschlich damit gut umgehen können. Das ist nicht immer einfach. Natürlich lernt man aus allem, auch ich.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Kritik beschreiben?

Ich habe immer Verständnis für Kritik, von innen wie außen. Aber sie bringt mich nicht aus meinem Gleichgewicht, weil ich weiß, wie intensiv ich den Fußball lebe und was ich dafür tue. Ich habe ein reines und gutes Gewissen, weil ich alles überlegt tue und nicht aus einer Laune heraus.

Sie kennen keine Zweifel?

Natürlich habe ich Zweifel. Wenn ein Mensch sagt, er hat keine, dann lügt er. Ich zweifle, indem ich mich und meine Arbeit hinterfrage. Das ist ein ständiger innerer Austausch. Ich gehe dann in die Tiefe, wenn ich nach Lösungen suche und Entscheidungen treffen muss. Das sind aber nicht nur einsame Entscheidungen, ich suche den Austausch mit dem Trainerteam und dem Manager.

Wie muss man sich Ihren inneren Austausch vorstellen?

Ich gebe der Mannschaft eine klare Philosophie vor, eine Linie, und versuche ihr Anleitung, Überzeugung und Vertrauen zu geben. Wenn ein Trainer nicht den Glauben und Vertrauen vermittelt, miteinander erfolgreich sein zu können, verliert er Prozentpunkte. Dann kämen Zweifel auf.

Hatten Sie das Gefühl, dass die ausbleibenden Erfolge zu Zweifeln in der Mannschaft geführt haben?

Das könnte sein, weil ein Fußballer sehr empfindlich ist für Resultate. Ein Sieg führt die Spieler in eine sehr positive Stimmung. Bei Misserfolg sind sie umgekehrt anfällig für Negativismus und für Kritik. Grundsätzlich sind die Spieler immer gutwillige Profis, die jeder für sich, aber auch als Gruppe erfolgreich sein möchten. Aber zum Wettstreit gehören Sieg und Niederlage. Es kommt darauf an, mit beidem umzugehen. Ist man erfolgreich, darf man sich nicht ausruhen. Ist man in einer schwierigen Phase, sollte man nicht zu lange über all das, was nicht geklappt hat, nachdenken, sondern das nächste Spiel als Chance begreifen.

"Bei uns sind in allen Mannschaftsteilen Spieler weggebrochen"

Der Wille war Ihrer Mannschaft nie abzusprechen. Es schien, als fehlten das Zutrauen, der Mut und die mentale Widerstandsfähigkeit.

Nehmen wir die Hinrunde. Es ist ein Unterschied, ob ich zehnmal mit der gleichen Elf spielen kann oder nur dreimal. So können sich weder Automatismen noch ein gemeinsames Gefühl von Stärke entwickeln. Eine gewisse Flexibilität in der Formation darf immer sein. Aber man muss erfahren können, was man aneinander hat. Bei uns sind in allen Mannschaftsteilen Spieler weggebrochen, dadurch kam nie das hundertprozentige Gefühl. Wenn du immer wieder einen anderen Spieler vor dir, neben dir oder hinter dir hast, braucht es wieder Anpassung. Also Zeit und Geduld, aber die hast du in der Bundesliga nicht. Sie ist so eng und ausgeglichen – Bayern München mal außen vor. In der Liga kann ich gegen jeden gewinnen, aber auch gegen jeden verlieren.

Es gab zwei Niederlagen, die gegen Ihren früheren Verein Augsburg und das 0:5 gegen Hoffenheim, nach denen man den Eindruck haben konnte, dass Sie diese persönlich genommen haben. Stimmt der Eindruck?

Ich war enttäuscht und ernüchtert, aber ich nehme Niederlagen nicht persönlich. Übrigens auch Siege nicht. Ich bin kein Trainer, der sich bei Siegen feiern lässt und sich bei Niederlagen versteckt und nach Alibis sucht. Ich glaube nicht, dass ein Trainer auch nur ein Spiel gewinnt. Ich finde, dass ein Trainer zu oft in den Medien auf dem Tablett liegt. Natürlich stehe ich in der Verantwortung, aber am Ende gewinnen oder verlieren wir gemeinsam.

Würden Sie es merken, wenn im Klub Zweifel an Ihrer Arbeit aufkämen?

Wichtiger ist, dass es nicht bei der Mannschaft der Fall ist, weil ich mit ihr sehr viel Zeit verbringe, mit ihr tagtäglich zu tun habe. Wenn das der Fall wäre, würde ich der Erste sein, der sagt: Ich bin vielleicht nicht der Richtige für diese Mannschaft. Weil sie vielleicht nicht aufnahmefähig ist oder die Philosophie nicht trägt und weil sie es vielleicht nicht umsetzen möchte. Wenn es im zwischenmenschlichen Bereich Probleme gäbe, würde ich an den Verein denken und sagen, Hertha BSC, ich bin vielleicht nicht der Richtige. Aber das alles kann ich nicht im Ansatz erkennen. Meine Wahrnehmungen sind positiv. Ich habe geradezu das Gefühl, dass wir zusammen eine gute Rückrunde spielen.

Was macht Sie so optimistisch?

Das kommt aus meiner Gefühlslage heraus. Ich möchte Hertha Ziele erreichen lassen. Das hat was mit Bewusstsein und Haltung zu tun. Ich glaube, dass wir unsere Arbeit, unsere Qualitäten umsetzen können. Ich habe auch im Sommer, vor der Saison, keine Zweifel gehabt. Natürlich hätten wir gern ein paar Pünktchen mehr gehabt und einen besseren Fußball gespielt. Seit meinem ersten Tag arbeitete ich daran, eine Mannschaft zu formen und zu entwickeln, die Hertha dauerhaft in der Bundesliga hält. Das war vor mir nicht gelungen. Wir haben in den zwei Jahren unsere Ziele maximal erreicht. Wir sind Zweitligameister mit einem neuen Punkterekord geworden, und wir sind als Aufsteiger Elfter geworden. Aber zur Realität gehört auch, dass das zweite Jahr für einen Aufsteiger immer schwieriger ist.

Warum eigentlich?

Als Aufsteiger, noch dazu als Meister, tritt die Mannschaft mit einer unglaublichen mentalen Stärke auf. Ein Jahr ging es nur aufwärts, das stärkte Selbstvertrauen und lieferte Gewissheiten. Und dann startest du mit einem 6:1-Sieg in der Bundesliga und erwischst einen Flow. Die Hinserie läuft überragend gut, und du überwinterst auf einem Europa-League-Platz. Die Mannschaft war so stabil und hatte so ein Vertrauen in sich, dass sie im letzten Hinrundenspiel bei Borussia Dortmund vier, fünf Ausfälle verkraften und gewinnen konnte. Unsere Rückrunde war dann nicht so gut. Dann fehlen Sicherheiten, auf die sich die Mannschaft zurückfallen lassen und besinnen kann. Und wenn dann zu Beginn der jetzigen Spielzeit zentrale Spieler wegfallen, wird es sehr kompliziert. Aber das ist Fußball. Dieses Spiel bleibt eine ständige Herausforderung. Das motiviert mich.

Zur Startseite