Tennis: Angelique Kerber: „Ich möchte die Nummer eins werden“
Angelique Kerber im Interview über die Folgen ihres Grand-Slam-Siegs und wie ihr das Tennis-Idol Steffi Graf bei der Verarbeitung geholfen hat.
Frau Kerber, Sie haben mit dem deutschen Fed-Cup-Team am Wochenende den Abstieg aus der Weltgruppe verhindert. Andrea Petkovic meinte, sie sei heilfroh, dass es vorbei ist. Wie erleichtert sind Sie?
Ich bin auch sehr erleichtert und froh, dass wir nicht abgestiegen sind. Aber den Gedanken habe ich gar nicht an mich herangelassen, weil ich fest an unser Team geglaubt habe. Klar, der Druck war bei uns natürlich da. Aber umso schöner, dass wir nächstes Jahr wieder in der Weltgruppe angreifen können.
Nach Ihrem Grand-Slam-Sieg in Melbourne sprach man schon vom neuen Tennis-Boom, doch bisher blieben vor allem schlechte Fernsehquoten im Fed-Cup hängen. Erwarten wir einfach ad hoc zu viel oder spüren Sie einen Aufschwung?
Natürlich ist es schwer, genau das Gleiche zu machen wie damals bei Steffi und Boris. Die hatten auch sehr viel früher ihre Erfolge, und es war eine ganz andere Zeit. Heute haben wir viel mehr Konkurrenz durch andere
Sportarten. Aber wenn man das vergleicht, ist auf jeden Fall ein Tennis-Boom da. Ich habe jedenfalls alles dafür getan. Und ich spüre, dass das Interesse wieder da ist. Viele Leute kommen zu mir und erzählen, dass sie selbst nach Jahren wieder den Schläger in die Hand nehmen und dass sie Tennis wieder verfolgen. Vor allem bei Jugendlichen merke ich, dass sie Lust auf Tennis haben und dass das Leuchten in den Augen da ist.
Was hat sich für Sie seit Melbourne am meisten verändert?
Ich investiere jetzt viel mehr Stunden bei Turnieren, ich habe mehr Verpflichtungen und Termine. Das ist neu für mich. Der Rummel um meine Person, die Medienaufmerksamkeit und natürlich der Druck. Denn viele denken jetzt: Geht da noch mehr?
Sie sprachen die Erwartungshaltung an. Erwarten Sie von sich selbst nun auch mehr?
Ich bin auf jeden Fall motiviert, noch mehr große Turniere zu gewinnen. Aber ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass nichts von alleine kommt. Ich muss auf meinem Weg bleiben und weiter hart arbeiten. Es kommen so viele neue, junge Spielerinnen nach, und die haben alle nichts zu verlieren und wollen mich schlagen. Die wittern ihre große Stunde. Das merke ich, aber genauso spüre ich auch den Respekt. Denn sie wissen, dass sie zwei, drei Stunden lang ihr bestes Tennis spielen müssen, um mich zu schlagen.
Werden Sie unter den Konkurrentinnen seit dem Sieg anders wahrgenommen?
Ich merke auf jeden Fall, dass der Respekt noch größer geworden ist. Viele haben es mir gegönnt, aber alle wollen mich jetzt umso mehr schlagen. Ich bin zwar schon vier Jahre in den Top Ten und wurde immer respektiert. Aber es ist noch einmal ein Unterschied, ob man die Nummer eins ist oder einen Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Das hat einen ganz anderen Stellenwert.
Nach Ihrem Sieg in Melbourne taten Sie sich auf dem Platz schwer. Haben Sie ein bisschen unterschätzt, was alles auf Sie zukommen würde? Waren es ein paar Termine zu viel?
Ich habe aus den letzten Wochen gelernt, dass ich auch Zeit für mich brauche. Ich kann nicht alle Termine wahrnehmen. Besonders während der Turniere brauche ich mal ein paar Stunden, in denen ich für mich bin, mal ein Buch lese oder Ähnliches. In denen ich frei werde, nicht ans Tennis denke. Und dann kann ich auch wieder mit Energie auf den Platz gehen. Es hat ein bisschen gebraucht, in die Situation reinzuwachsen. Der Prozess dauert noch, aber ich merke jetzt, dass ich auf dem richtigen Weg bin, damit umzugehen.
Es scheint, als habe der Abstecher zu Steffi Graf auch dabei geholfen, um nach Melbourne wieder in die Spur zu finden. Ein paar gute Ratschläge von ihr und Sie erreichten das Halbfinale in Miami. Ist es wirklich so einfach?
Nein, nicht wirklich. Ich habe dieses und letztes Jahr in Indian Wells nicht gut gespielt und da ist der Weg nach Las Vegas nicht weit. Deshalb bin ich zu ihr hingefahren. Für mich ist das Wichtigste, dass ich drei, vier Tage Zeit hatte, mich wieder zu konzentrieren. Mich darauf zu besinnen, was mich stark gemacht hat – nämlich die harte Arbeit. Natürlich ist es nicht neu, was Steffi mir sagt. Aber es ist schön, auch mal von jemandem wie Steffi oder Andre Agassi zu hören, dass man auf einem guten Weg ist. Oder sich ihre Meinung anzuhören. Sie wissen eben ganz genau, wie man sich da fühlt, was auf einen zukommt. Das ist das Besondere daran, mit Steffi zu sprechen. Sie ist ein Champion und versteht mich einfach. Sie weiß, wie es ist.
Haben Sie ihr zum Dank denn wenigstens einen Kuchen gebacken?
Das ist immer so eine Sache, man weiß im Nachhinein trotzdem nicht, welches Detail am Ende wirklich geholfen hat (lacht). Es ist irgendwo die Mischung. Ich versuche, viele Sachen auszuprobieren und mittlerweile weiß ich auch, was mir in den Situationen gut tut. Ich weiß, dass ich gut spiele. Aber es wird auch immer wieder Phasen geben, in denen ich mal drei Turniere am Stück schlecht spiele. Es kommt nur darauf an, dass ich nicht komplett verzweifle und alles in Frage stelle. Damit gehe ich jetzt besser um – durch wessen Hilfe auch immer (lacht).
Ist es trotzdem schwierig, nach so einem großen Erfolg wieder neue Ziele zu finden?
Ich glaube, mit den Olympischen Spielen in Rio ist es ohnehin ein ganz besonderes Jahr. Das war als Kind schon mein Traum. Und jetzt nach dem Sieg in Melbourne weiß ich erst recht: Das kann mein Jahr werden. Ich war in London bei den Spielen dabei, auch bei der Eröffnungsfeier, und das war pure Gänsehaut. Das wird das große Highlight für mich, mein großes Ziel. Aber das heißt nicht, dass die drei Grand Slams weniger wichtig für mich sind.
Machen Sie sich schon Gedanken, wie es bei den French Open sein wird, wenn alle Augen plötzlich auf Sie gerichtet sind?
Nein, ich habe überhaupt keine Angst vor dem, was in Paris auf mich zukommt. Ich bin eher erleichtert seit Melbourne, denn das kann mir niemand mehr nehmen. Egal, was jetzt kommt. Das wird immer bleiben. Natürlich wird der Druck dort größer sein, aber ich weiß auch, was ich kann. Ich muss den Glauben an mich behalten, denn ich kann mittlerweile genauso gut auf Sand spielen wie auf Hartplatz.
Gehört zu den Zielen für diese Saison auch Weltranglistenplatz eins? Serena Williams hat zwar mehr als 3000 Punkte Vorsprung, aber unmöglich ist es ja nicht.
Der Ranglistenplatz ist mir schon wichtig. Aber ich bin keine, die jede Woche guckt, wo sie steht. Für mich ist das wie mit dem Grand Slam: Wenn die Zeit kommt, kommt auch die Nummer eins. Das Wichtigste ist, dass ich bei den Turnieren konstant gut spiele und Punkte sammle. Dann kommt das Ranking irgendwann von alleine. Aber klar: Ich möchte gerne die Nummer eins werden, das ist mein Ziel.