Nationalspieler Jonas Hector: „Ich mache keine Überdinger, schieße aber wenig Böcke“
Der Kölner Jonas Hector spricht über seinen Aufstieg von der Regionalliga in die Nationalmannschaft und seine Rolle als Linksverteidiger.
Herr Hector, wissen Sie noch, was Sie während der WM 2014 gemacht haben?
Das Finale haben wir mit dem FC im Trainingslager gesehen. Zu Beginn der WM hatte ich noch Urlaub, da habe ich mir die Spiele zu Hause im Saarland mit meinen Freunden angeschaut. Bei den großen Turnieren entwickelt sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Davon bin ich auch angesteckt worden.
Wie muss man sich das vorstellen: Fußballgucken mit Bratwurst und Bier?
Ich weiß gar nicht mehr, ob da Bier und Würstchen im Spiel waren. Auf jeden Fall war eine gewisse Anspannung vorhanden. Gefühlt habe ich eher auf den Fingernägeln gekaut als auf einer Wurst.
Wenn man Ihnen damals erzählt hätte: Beim nächsten Turnier in zwei Jahre spielen Sie auch für die Nationalmannschaft …
… hätte ich das mit Sicherheit nicht für voll genommen. Ich kam aus der Zweiten Liga, war gerade erst mit dem 1. FC Köln aufgestiegen. Da habe ich nicht an die Nationalmannschaft gedacht, sondern erst einmal daran, mich an die Bundesliga zu gewöhnen und mich dort zu etablieren.
Sie haben es innerhalb von vier Jahren aus der Regionalliga West zur EM geschafft. Wie erklären Sie sich selbst diese Entwicklung?
Ich hatte immer Glück, dass ich zur rechten Zeit in der richtigen Position war. Dass der FC vor vier Jahren in die Zweite Liga abgestiegen ist, hat sich für mich als Glücksfall erwiesen – für den Verein natürlich weniger. Nach der WM hat Philipp Lahm aufgehört, die Außenverteidigerposition war vakant. Da hatte ich auch einen ganz guten Zeitpunkt erwischt, um mit dem FC in die Bundesliga aufzusteigen. Ich habe versucht, mich den Herausforderungen zu stellen, mich an die Aufgaben zu gewöhnen und dann den nächsten Schritt zu machen. Bisher hat das ganz gut funktioniert. Ich mache zwar keine Überdinger, schieße aber auch relativ wenig Böcke.
Ist das nicht ein bisschen zu bescheiden?
Ich habe natürlich auch selbst dazu beigetragen mit entsprechenden Leistungen. Sonst wird man auch nicht wahrgenommen. Und anscheinend habe ich diese Leistungen zur rechten Zeit gebracht.
Sie gelten als einziger gelernter Außenverteidiger im deutschen Kader – streng genommen stimmt das aber gar nicht.
Angefangen habe ich nicht auf der Position, das ist richtig. Ich bin als Zehner zur U 23 des 1. FC Köln gekommen. Danach ist es für mich auf dem Feld Schritt für Schritt nach hinten gegangen. Aber ich spiele jetzt auch schon vier Jahre als Linksverteidiger, deshalb habe ich mich an die Aufgaben gewöhnt. Die ersten Spiele waren definitiv eine Umstellung. Da musste ich erst lernen, wie die Abstände zur Innenverteidigung ist, welche Räume man besetzen muss. Aber man gewöhnt sich an neue Sachen. Das ist wie im normalen Leben.
Was ist das Schöne an dieser Position? Was das Schreckliche?
Was heißt schön und schrecklich? Es ist eine Position, auf der man sowohl defensiv als auch offensiv gefordert wird. Man braucht von allem etwas: Dribbling, richtiges taktisches Verhalten, und ganz langsam sollte man auch nicht sein. Außerdem ist man eigentlich immer im Spiel. Das ist nicht wie bei einem Torwart, der auch mal ein bisschen Ruhe hat, wenn die eigene Mannschaft das Spiel komplett in die Hälfte des Gegners verlagert. Man sollte nicht abschalten, man darf nicht abschalten und muss immer hellwach sein.
Kommt Ihnen das entgegen?
Ich habe auf jeden Fall nichts dagegen. Ich bin gern am Spiel beteiligt, egal mit welchen Aufgaben.
In Deutschland wird seit Jahren darüber geklagt, dass es zu wenige Außenverteidiger gibt. Glauben Sie, das liegt daran, dass diese Position so anspruchsvoll ist? Oder dass sie so wenig Anerkennung bekommt?
Ich kann nur für mich sprechen: Mir hat die Position sehr gut getan. Aber vielleicht sträuben sich wirklich manche Jugendliche dagegen, weil es keine Position ist, die im Vordergrund steht.
Waren Sie enttäuscht, als Sie zum Außenverteidiger umfunktioniert worden sind?
Ich hatte die Position in Köln in der Vorbereitung ein-, zweimal gespielt. Also konnte ich davon ausgeht, dass der Trainer zumindest einen Gedanken daran verschwendet, mich dort aufzubieten. Enttäuscht war ich ganz sicher nicht. Das waren meine ersten Spiele im Profibereich. Da war es mir ganz egal, wo der Trainer mich hinstellt.
Und heute: Die Position und Sie – ist das schon ein Liebesverhältnis oder immer noch eine Geschäftsbeziehung?
Ich spiele die Position schon sehr gerne – auch weil sie mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Ich glaube, als Sechser würde ich nicht unbedingt hier sitzen und als Nationalspieler Interviews geben. Deshalb weiß ich schon, was ich an der Position habe.
Zumal sie Ihnen einen Stammplatz während der Europameisterschaft eingebracht hat.
Das ist nicht gesagt. Bei der WM 2014 hat auch kein nomineller Linksverteidiger gespielt – und Deutschland ist trotzdem Weltmeister geworden.