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Fabian Lustenberger, 27, kam 2007 vom FC Luzern zu Hertha BSC und führt die Mannschaft seit 2013 als Kapitän. Im März verlängerte er seinen Vertrag bis 2019. Für die Nationalmannschaft der Schweiz hat er drei Länderspiele bestritten.
© imago/MIS

Fabian Lustenberger im Interview: "Ich hätte nicht mit Hertha gerechnet"

Vor dem Spiel bei Bayer Leverkusen spricht Herthas Kapitän Fabian Lustenberger über Berlins Chancen auf den Europapokal und seine persönlichen Zielen mit der Schweizer Nationalmannschaft.

Herr Lustenberger, eine philosophische Frage: Ist Angel di Maria, der beste Spieler, gegen den Sie mit Hertha nicht gespielt haben?

Der beste Spieler, gegen den ich mit Hertha…? Sie meinen, weil ich gegen Benfica Lissabon nicht zum Einsatz gekommen bin?

Genau.

Das war ja nicht nur Angel di Maria. Bei Benfica haben damals Saviola, Aimar, Cardozo, David Luiz, Luisao, Fabio Coentrao gespielt. Das war eine Truppe, die sich sehen lassen konnte.

Welche Erinnerungen haben Sie noch an diese Spiele, Herthas bisher letzte im Europapokal?

Ich weiß noch, dass wir am Donnerstag zu Hause gespielt und eine ordentliche Leistung abgeliefert haben. Sonntags mussten wir in Freiburg ran. Von dort sind wir direkt nach Lissabon geflogen, wo wir schon am Dienstag das Rückspiel bestreiten mussten. Benfica hat sein Ligaspiel am Wochenende verschoben, während wir nur zwei Tage Pause hatten. Eigentlich geht das nicht. Das hat man ja auch gesehen. Wir haben 0:4 verloren und sind ausgeschieden.

Werden Ihre Erinnerungen überlagert vom letztlich erfolglosen Abstiegskampf?

Ein bisschen schon. Wenn wir es in der Liga etwas ruhiger gehabt hätten, hätte man aus dem Europapokal mit Sicherheit mehr mitnehmen können. Leider war es so: Sobald das Europapokalspiel zu Ende war, ging es wieder darum, Punkte in der Meisterschaft zu sammeln, um in der Klasse bleiben. Richtig genießen konnten wir die internationalen Spiele nicht.

Theoretisch braucht Hertha noch einen Punkt, um nach sechs Jahren wieder international zu spielen. Nach Ihrem Gefühl: Hat es länger gedauert als erhofft? Oder ist es doch schneller gegangen als befürchtet?

Wenn man unsere Berg-und-Talfahrt betrachtet, ist es sogar extrem schnell gegangen: Zweimal Abstieg, zweimal Wiederaufstieg und schon im dritten Jahr für den Europapokal qualifiziert – das ist schon eine sehr gute Leistung.

An welches Ihrer 13 Europapokalspiele haben Sie besondere Erinnerungen?

Da muss ich kurz überlegen. Das Heimspiel gegen Galatasaray. Da war die Stimmung einfach extrem, mit den vielen türkischen Fans. Das war ein großes Erlebnis, obwohl ich gar nicht gespielt habe. Ich wusste gar nicht, dass so viel Pyro in einem Stadion sein kann. Was die da alles reingeschmuggelt haben…

Können Sie Ihren ersten Europapokalgegner noch unfallfrei aussprechen?

O, Gott! Das war Otaci, oder?

Ja, FC Nistru Otaci aus Moldawien.

Daran kann ich mich noch erinnern. Das Hinspiel haben wir 8:1 gewonnen, das Rückspiel ging 0:0 aus.

Hertha hat damals im Jahnsportpark gespielt. Aus heutiger Sicht eine komische Vorstellung, oder?

Ich habe letztens mal nachgeforscht, weil ich es selbst nicht mehr wusste: Bei unserem letzten Heimspiel, beim 1:1 gegen Benfica, waren 13 000 Zuschauer im Olympiastadion. So etwas würde es heute nicht mehr geben. Wenn wir im Europapokal spielen, würden mehr Zuschauer kommen. Auch in der Europa League.

Wann haben Sie erstmals gedacht, dass es in dieser Saison mit Europa etwas werden könnte?

Ich muss zugeben, dass ich mich nicht so intensiv mit Europa beschäftigt habe. Aber wir haben immer wieder gepunktet, und wenn wir mal nicht gepunktet haben, haben die anderen Mannschaften da oben auch nicht gepunktet. Keine Mannschaft ist richtig stabil. In der Phase, als wir zu Hause Frankfurt, Schalke und Ingolstadt geschlagen haben, haben wir gemerkt: Okay, es geht in eine gute Richtung. Wir können das bis zum Ende durchziehen.

Angenommen, Hertha verteidigt Platz vier. Haben Sie schon nachgeschaut, auf wen Sie in den Play-offs treffen könnten?

Noch nicht. Wirklich nicht. Aber ich gehe nicht davon aus, dass wir gesetzt sind und vermeintlich leichtere Gegner kriegen.

Gibt es ein Stadion, in dem Sie gerne mal spielen würden, im Camp Nou vielleicht?

Im Camp Nou läufst du ja nur hinterher, das ist das Problem. Das ist so ein großer Platz, da wird's schwierig (lacht). Nein, ich habe kein besonderes Ziel. Wenn es so weit ist, können wir darüber reden. Sonst heißt es wieder: Wieso redet der darüber? Die schaffen das ja eh nicht.

In den Internetforen wird einerseits darüber diskutiert, dass es nie wieder so einfach werden würde, in die Champions League zu kommen. Andererseits heißt es, vielleicht ist das für Hertha eine Nummer zu groß. Wie verfolgen Sie diese Diskussion?

Warum der letzte Spieltag vergangene Saison grenzwertig war

So ein Champions-League-Jahr würden wir gerne mitnehmen. Wenn man die Chance hat, sich mit den Besten zu messen, ist das eine große Sache. Wir haben immer gesagt: Wir wollen so lange wie möglich da oben bleiben und dann schauen, was am Ende rauskommt. Das hat sich nicht geändert. Aber es gibt eben auch noch andere Mannschaften, die jetzt so wie Leverkusen einen Lauf haben und uns dann auch zu Recht überholen. Das ist auch ganz normal, wenn man die Möglichkeiten der Leverkusener und ihre Mannschaft sieht.

Liegen die Leverkusener Hertha?

Sagen wir mal so: Sie liegen uns nicht nicht. Gegen Leverkusen haben wir viele gute Spiele abgeliefert, oft gut ausgesehen und in der Hinrunde auch gewonnen. Aber wenn wir sie in ihren Lauf kommen lassen, wird es schwer. Das haben sie ja gerade gegen Schalke gezeigt, wo sie 0:2 hinten lagen und das Spiel mit drei Toren in sechs Minuten gedreht haben.

Gibt es ein Spiel, in dem die Mannschaft in dieser Saison versagt hat?

Nein.

Gibt es ein Spiel, von dem Sie im Nachhinein sagen: Da war mehr drin?

In Bremen, wo wir 2:0 und 3:1 geführt haben. Beim 0:0 gegen Dortmund hatten wir die besseren Torchancen. Vielleicht wäre auch in Hoffenheim mehr drin gewesen. Aber ich finde es müßig: Irgendwo lässt man die Punkte liegen, irgendwo hat man vielleicht ein bisschen Glück. Man sagt immer, dass sich das im Laufe einer Saison ausgleicht. Ich glaube das tatsächlich. Wir haben da jedenfalls in dieser Saison eine ganz gute Balance, finde ich.

Spürt die Mannschaft jetzt den Druck – weil sie etwas zu verlieren hat, obwohl sie nach diesem Saisonverlauf eigentlich gar nichts mehr verlieren kann?

Schön, das aus Ihrem Mund zu hören. Das freut mich (lacht). Ich persönlich habe keinen Druck empfunden. Es war einfach so, dass wir in der Hinrunde extrem gepunktet haben und in der Rückrunde auf einem Level sind, der unserem Leistungsvermögen entspricht: so um die 20 Punkte, ein bisschen mehr. Natürlich hätten wir gerne noch ein paar Punkte mehr. Aber es ist auch mal schön, sorgenfrei eine Saison zu bestreiten, ohne dass man die ganze Zeit schauen muss: Was macht Stuttgart? Was macht Bremen? Was macht Augsburg? Ohne dass man dauernd rechnen und auf das Torverhältnis gucken muss. Das ist sehr angenehm, erst recht nach letzter Saison. Der letzte Spieltag in Hoffenheim, das war schon grenzwertig.

Das ist dann Druck.

Ja, das ist richtig unangenehm. Es ist auch schwierig, mit diesem Druck umzugehen. Das ganze Drumherum, vorher und nachher. Sich ständig rechtfertigen zu müssen. Das muss man nicht haben. Es ist nicht so, dass man das im Spiel bewusst mitkriegt. Aber man guckt schon mal hoch zur Anzeigetafel und sieht, wie es bei den Konkurrenten steht. Nachdem wir das 1:2 kassiert hatten, habe ich schon mit ein paar Hoffenheimer Spielern gesprochen: Das Ergebnis reicht uns. Du warst einfach nur froh, als der Schiedsrichter abgepfiffen hatte und du in der Liga geblieben bist. Aber diese Erfahrung hat uns alle auch ein bisschen gestärkt für die neue Saison.

Wenn man Ihnen im Sommer gesagt hätte, dass Sie am Ende der Saison international spielen würden, hätten Sie wahrscheinlich eher an was anderes gedacht, oder?

(Lacht) Ja, natürlich hätte ich nicht mit Hertha gerechnet. Das kann man schon so sagen.

Und wie schätzen Sie heute Ihre Chance ein, für die Schweiz bei der EM zu spielen?

Warum Fabian Lustenberger mit sich im Reinen ist

Schwierig. Es wurde ja ein bisschen so dargestellt, als ob ich keine Lust hätte auf die Nationalmannschaft. Es ist so, dass ich vor einem Monat mit unserem Nationaltrainer Vladimir Petkovic telefoniert habe, nachdem ich in den beiden Testspielen davor gerade mal 20 Minuten zum Einsatz gekommen war. Alle anderen durften mindestens einmal durchspielen.

Was haben Sie sich vom Telefonat erhofft?

Ich wollte wissen, wie der Trainer mich sieht und auf welcher Position. Bei Hertha habe ich fast immer als Sechser gespielt, in der Nati bin ich ganz klar als Innenverteidiger eingeplant. Es ist nicht so, dass ich eine Stammplatzgarantie haben möchte. Es geht nur darum, dass ich eine faire Chance kriege, dass ich mich mal ein Spiel über 90 Minuten zeigen kann. Ich will kein Lückenbüßer sein, nicht die Nummer 23 im Kader, die immer mittrainiert, aber nie spielt. Ich habe offen und ehrlich mit dem Nationaltrainer gesprochen. Er fand es auch gut, dass ich direkt auf ihn zugegangen bin und nicht den Weg über die Medien gesucht habe. Es war ein gutes Gespräch, und ich bin froh, dass ich es gemacht habe.

Mit welchem Ergebnis?

Wir haben zusammen entschieden, dass ich die beiden Spiele Ende März auslasse und wir im Mai noch mal schauen, was mit der EM ist. Ich rechne eher damit, dass ich nicht dabei bin. Weil sich an meiner Situation nichts geändert hat und sich nichts ändern wird. Ein anderer Trainer würde vielleicht auf mich setzen. Aber der Nationaltrainer sieht mich halt nicht als Stammspieler. Was sein gutes Recht ist.

Vor zwei Jahre haben Sie die WM verletzungsbedingt verpasst. War das leichter zu ertragen?

Die Situation jetzt ist gut zu ertragen, weil ich mit mir im Reinen bin und mit dem Trainer offen darüber gesprochen habe. Besser, als wenn man denkt: Wow, ich bin gut drauf, fühle mich gut, bin dabei – und dann kommt der Hammer.

Das sollen wir Ihnen glauben? Sie sind im besten Fußballeralter, Kapitän bei einem Bundesligaverein, der oben dabei ist – und spielen in der Nationalmannschaft keine Rolle.

Vielleicht sollten Sie mal den Trainer anrufen, ich kann Ihnen gerne seine Nummer geben (lacht). Ich kann nicht sagen: Ich bin glücklich damit – das stimmt nicht. Aber ich kann gut damit leben und damit umgehen. Ich bin nicht sauer, wütend oder nachtragend. Außerdem habe ich zwei Kinder. Die sind froh, wenn der Papa im Sommer mal zu Hause ist und nicht die ganze Zeit irgendwo in Europa rumturnt.

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