Nationalspieler Nico Schulz im Interview: „Ich bin zum richtigen Zeitpunkt da“
Vom BSC Rehberge ins DFB-Team: Nico Schulz über ein Selfie mit Andrea Pirlo, die Arbeit mit Julian Nagelsmann und seinen Wechsel nach Dortmund.
Nico Schulz hat es aus der Jugend von Hertha BSC zu den Profis geschafft. Im Sommer wechselt er von der TSG Hoffenheim zu Borussia Dortmund. Für die Nationalmannschaft hat er sieben Spiele bestritten.
Herr Schulz, wie gut sprechen Sie Italienisch?
Nicht gut. Leider. Ich verstehe ein bisschen, aber sprechen ist schwer.
Ihr Vater ist Italiener. Sind Sie sauer auf ihn, dass er früher nicht Italienisch mit Ihnen gesprochen hat?
Deswegen bin ich doch nicht sauer (lacht). Aber es wäre praktisch gewesen. Leichter kann man eine fremde Sprache nicht lernen.
Wie läuft die Kommunikation, wenn Sie bei Ihren Verwandten in Italien sind?
Manchmal fungiert mein Vater als Übersetzer. Außerdem sprechen meine Verwandten ein bisschen Deutsch, und ein paar Brocken Italienisch beherrsche ich auch. Das funktioniert schon.
Haben Ihre paar Brocken Italienisch für einen Smalltalk mit Andrea Pirlo gereicht?
Sie meinen, als ich ihn zufällig im Urlaub auf Ibiza getroffen habe? Da habe ich ihn nur nach einem Foto gefragt. Das ging auch auf Englisch.
Normalerweise sind Sie es, der um ein Foto gebeten wird. Kam Ihnen das umgekehrt nicht komisch vor?
Ich habe das Foto mehr oder weniger für meinen Vater gemacht: „Hier, schau mal, Papa, wen ich getroffen habe.“ Er hat ganz aufgeregt zurückgeschrieben: „Wo ist das?“
Wusste Pirlo, dass Sie Kollegen sind?
Das ist fünf Jahre her … Damals war Andrea Pirlo ein Weltstar, und ich stand am Anfang meiner Karriere. Ich glaube nicht, dass er mich kennen musste. Das wäre fast schon komisch gewesen.
Wäre es Ihr Traum, mal in der Serie A zu spielen?
Was heißt Traum? Ich hätte nie was dagegen gehabt, aber das ist zurzeit überhaupt kein Thema. Ich bin gerade erst von Hoffenheim nach Dortmund gewechselt.
Halten Sie sich eigentlich für einen strukturierten Menschen?
Ich glaube schon. Ich bin relativ ordentlich, habe ein paar geregelte Abläufe, an denen ich festhalte und komme ungern zu spät. Deshalb strukturiere oder takte ich mein Leben so, dass ich sagen kann: Ich bin immer zum richtigen Zeitpunkt da.
Wenn man sich Ihre Karriere anschaut – vom BSC Rehberge in die Nationalmannschaft, von Hertha BSC zu Borussia Dortmund –, dann könnte man auch dahinter einen stringenten Plan vermuten.
Das sieht vielleicht jetzt so aus. Aber im Fußball passieren Sachen, die man nicht planen kann. Eine schwere Verletzung zum Beispiel. Umso glücklicher bin ich, dass ich jetzt doch da bin, wo ich bin.
Gab es mal Momente, in denen Sie mit der Nationalmannschaft innerlich schon abgeschlossen hatten?
Klar. Die Zeit bei Borussia Mönchengladbach verlief nicht so optimal.
Nach wenigen Wochen haben Sie sich das Kreuzband gerissen und sind fast ein ganzes Jahr ausgefallen.
Ich meine nicht nur den Kreuzbandriss. So was passiert. Schwieriger war, dass ich nach meiner Rückkehr gar nicht mehr so richtig reinkam. Ich hätte mir mehr Vertrauen und einen offeneren Umgang gewünscht. Am Ende habe ich gemerkt, dass Gladbach mich loswerden wollte.
Hat Ihnen diese negative Erfahrung trotzdem in irgendeiner Weise geholfen?
Ja, natürlich, weil ich weiterhin an mich geglaubt habe. Dieses Vertrauen habe ich nicht von anderen bekommen, sondern nur von mir selbst. Solche Erfahrungen geben dir Auftrieb und helfen dir fürs Leben. Im Endeffekt sind genau das die Situationen, aus denen du gestärkt hervorgehst.
„Ich gehe nicht nach Dortmund, um mich da nur auf die Bank zu setzen“
Was hat Julian Nagelsmann, der Trainer der TSG Hoffenheim, mit Ihnen gemacht?
Sehr viel, und das nicht nur mit mir. Viel Videoanalyse, viel Taktik. Sein Training ist meist schon auf das Wochenende zugeschnitten, damit jeder weiß, wie und wohin er gehen muss, wann man sich vom Gegner absetzt, wie groß die Abstände sein sollen, welche Räume man zu besetzen hat. Das ist viel zu komplex, um das hier mal eben zu erklären.
Ist es manchmal auch zu kompliziert, um alles zu verstehen?
Es kann auch kompliziert werden, ja. Deswegen haben manche Neuzugänge anfangs Schwierigkeiten bei der TSG, sich ins System reinzufinden, aber das ist nicht schlimm. Ich habe auch meine Zeit gebraucht.
Würden Sie sogar sagen: Ohne Nagelsmann wäre ich jetzt nicht hier bei der Nationalmannschaft?
Das ist schwierig, weil ich nicht weiß, wie ich mich unter einem anderen Trainer in Hoffenheim entwickelt hätte. Aber man liegt mit dieser Aussage vermutlich nicht völlig falsch.
Welche Erwartungen verbinden Sie mit Ihrem Wechsel zu Borussia Dortmund?
Das kann ich nicht beantworten, weil ich noch nicht da bin. Aber der BVB hat einige interessante Neuverpflichtungen getätigt, und wenn jetzt die Leistungsträger bleiben, kann das eine interessante Kombination werden. Ich hoffe jedenfalls, dass wir in den nächsten Jahren nach einem Titel greifen können.
Wer hat die Entscheidung für den BVB getroffen: Ihr Bauch oder Ihr Kopf?
Kopf und Bauch. In Dortmund entwickelt sich was, die Mannschaft spielt richtig guten Fußball und hat bis zum Schluss um die Meisterschaft gekämpft. Wenn du von einem solchen Verein eine Anfrage bekommst und dieser Verein auf deiner Position in der vergangenen Saison ein paar Probleme hatte – dann ist es für mich vom Kopf her der logische Schritt, als deutscher Nationalspieler dorthin zu wechseln, da Fuß zu fassen und möglichst regelmäßig zu spielen.
Welche Rolle hat Ihre Nationalmannschaftskarriere bei der Entscheidung gespielt?
Auch eine große. Die Chance, zur Nationalmannschaft eingeladen zu werden, ist für einen Stammspieler von Borussia Dortmund größer als für einen Stammspieler der TSG Hoffenheim. Ich weiß, wie viel ich der TSG zu verdanken habe, aber Dortmund hat noch mal einen anderen Stellenwert in Fußball-Deutschland und Fußball-Europa.
Sie gehen also davon aus, dass Sie auch beim BVB Stammspieler sein werden.
Ich will zumindest in jedem Spiel spielen – das ist mein Anspruch. Ich gehe nicht nach Dortmund, um mich da nur auf die Bank zu setzen.
Wissen Sie eigentlich, wie viele Feldspieler aus dem aktuellen Kader der Nationalmannschaft älter sind als Sie?
So viele sind es, glaube ich, nicht mehr. Sechs? Oder fünf?
Vier.
Echt? Das ist krass.
Älter sind nur Marco Reus, Ilkay Gündogan sowie Jonas Hector und Marcel Halstenberg, mit denen Sie um die Position des Linksverteidigers konkurrieren. Wo sehen Sie sich in diesem Konkurrenzkampf?
Schwer zu sagen. Wenn ich in der Nationalmannschaft gespielt habe, habe ich es ganz gut gemacht, finde ich. Insofern hoffe ich, dass ich auch weiterhin meine Einsätze bekomme. Aber das liegt nicht nur in meiner Macht. Auch Jonas und Marcel sind zwei sehr, sehr gute Spieler für diese Position.
Was erhoffen Sie sich von Ihrem Dortmunder Trainer Lucien Favre?
Ich hoffe auf sein Vertrauen – und dass ich regelmäßig spielen darf. Er trainiert eine Mannschaft mit großer individueller Qualität und Kreativität. Ich bin gespannt, was er uns mit auf den Weg gibt. Aus Gladbacher Zeiten kenne ich ihn bereits.
Sie haben ihn auch schon bei Hertha BSC in Berlin erlebt.
Aber nur am Rande. Ich habe in der B-Jugend gespielt, als ich erfahren habe, dass ich in der Saison darauf Profi werden soll. Zu diesem Zeitpunkt war Lucien Favre noch Trainer, ein paar Wochen später musste er gehen.
Haben Sie ein bisschen das Gefühl, mit Favre noch nicht fertig zu sein?
Inwiefern?
Sie sind 2015 auch seinetwegen zu Borussia Mönchengladbach gewechselt. Dann mussten Sie bis zum fünften Spieltag auf Ihren ersten Einsatz unter ihm warten, sind 20 Minuten vor Schluss eingewechselt worden – und am nächsten Tag hat Favre seinen Rücktritt eingereicht.
Lucien Favre hat lange in Gladbach gearbeitet und dort eine erfolgreiche Zeit geprägt. Natürlich waren wir alle geschockt, als wir von seinem Abschied erfahren haben. Aber wir hatten damals sechs Spiele hintereinander verloren. So ist Fußball. Und so ist Favre als Typ. Er hat gesagt, dass er sich nicht mehr als der richtige Trainer für die Truppe empfunden hatte. Das muss man dann akzeptieren. Aber ich hoffe, dass für mich jetzt noch ein paar Spiele unter ihm dazukommen. Lucien Favre kennt mich, ich kenne ihn. Das kann ganz gut funktionieren.