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Hertha-Kapitän Peter Niemeyer ist der wichtigste Ansprechpartner für Trainer Jos Luhukay.
© dpa

Interview mit Peter Niemeyer: "Ich bin Vollblut-Herthaner"

Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Hertha-Kapitän Peter Niemeyer über seine Zeit in Holland, die Zusammenarbeit mit Hertha-Trainer Jos Luhukay und sein Amt als Kapitän von Hertha BSC.

Meneer Niemeyer, hoe gaat het met uw Nederlands?
Wie es um die niederländische Sprache steht? Gut. Im Weihnachtsurlaub habe ich zwei alte Freunde aus meiner Zeit bei Twente Enschede besucht. Ich kann mich immer noch verständlich machen – und nach dem zweiten Bier hat es immer besser geklappt. Holländisch ist zwar keine Weltsprache, trotzdem ist es ganz cool, die zu sprechen.

Haben Sie sich mal mit Jos Luhukay auf Niederländisch unterhalten?
Nein, noch nie.

Spricht Ihr Trainer mit seinem Assistenten Rob Reekers Niederländisch?
Wenn wir dabei sind, sprechen sie Deutsch. Das zeigt ein bisschen die Mentalität der Holländer. Sie sind hier in Deutschland, die Amtsprache ist Deutsch, also sprechen Sie Deutsch. Sie passen sich an – und zollen uns damit Respekt. Ich habe es bei Twente auch immer auf Holländisch versucht. Ich war zwar nicht perfekt, aber es hat mir eine Menge Respekt eingebracht.

Erkennen Sie noch andere Züge an Luhukay, die typisch holländisch ist?
Es gibt eine bezeichnende Geschichte aus meiner Zeit in Enschede.

Erzählen Sie!
In der Saisonvorbereitung haben wir uns mal ein Hotel mit Alemannia Aachen geteilt. Das Hotel hatte nur einen Fußballplatz, da haben wir uns natürlich gefragt, wie das mit den Trainingszeiten funktionieren soll. Am Ende war das überhaupt kein Problem, weil die Aachener ein Lauftrainingslager absolviert haben und nicht ein einziges Mal mit dem Ball trainiert haben. Ich kann an einer Hand abzählen, wie viele Waldläufe ich in Holland gemacht habe, und ich kann es bei Jos Luhukay auch. Nein, man braucht nicht mal eine Hand. Wir haben bei ihm noch überhaupt keinen Waldlauf gemacht.

Die Holländer gelten in Deutschland als lockeres Völkchen. Viele Trainer aus Holland sind aber eher strenge Typen, angefangen mit Rinus Michels, dem General, bis hin zu Louis van Gaal. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Nein, eigentlich nicht. Unser Trainer passt auch überhaupt nicht in diese Reihe. Ich finde nicht, dass man Jos Luhukay mit van Gaal vergleichen kann. Vielleicht kommt er nach außen ein bisschen so rüber. Aber das täuscht. Er ist sehr kommunikativ und hat überhaupt nichts von einem General.

Aber am Anfang der Saison war er schon sehr streng mit der Mannschaft.
Ich glaube, er hatte ein Gespür dafür, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. Und es zeigt sich, dass es nicht die falschen waren.

Was hat er denn gemacht?
Er ist sehr geradlinig. Gleich am Anfang hat er gesagt: Wir reden nicht mehr über die vergangene Saison. Das fand ich super – obwohl in der vergangenen Saison einiges im Argen gelegen hatte. In einer großen Gruppe ist es ein Schlüssel zum Erfolg, wenn man einen Anführer, also einen Trainer hat, der geradeaus ist, der einen Weg vorgibt, dem die Spieler folgen können. Das ist wie bei einer Pyramide. Wenn die Führungsspieler auch geradeaus sind und den Weg mitgehen, schließen sich dem immer mehr an. So gelingt es dann hoffentlich, dass alle den gleichen Weg gehen. Jos Luhukay hat gleich zu Anfang gemerkt, wo unser Problem lag.

Nämlich?
Bei uns sind zu viele ihren eigenen Weg gegangen. Das hat er mit seiner Konsequenz korrigiert.

Hat Luhukay ein Verbot ausgesprochen, über die vergangene Saison zu reden?

Hat Luhukay explizit ein Verbot ausgesprochen, über die vergangene Saison zu reden?
Das nicht. Er hat einfach immer wieder gesagt: Wir müssen uns nicht mehr mit dem beschäftigen, was war; wir müssen uns mit dem beschäftigen, was kommt.

Hat man da nicht manchmal das Gefühl: Das Ganze ist noch nicht aufgearbeitet?
Wie soll ein Trainer das aufarbeiten, der gar nicht involviert war? Für mich war das ein Problem – weil ich das Ganze selbst noch nicht abgeschüttelt hatte. Das hat man in den ersten drei Spielen auch gemerkt. Aber im Fußball geht nichts über das Gefühl zu siegen. Das heilt viele Wunden. Da hast du ein Erfolgserlebnis – und entwickelst die Gier nach Erfolg. Ich habe oft zum Trainer gesagt: Wir müssen das und das ändern, weil das letztes Jahr nicht funktioniert hat. Aber er hat immer geantwortet: Wir reden nicht mehr über letzte Saison. Wir gehen unseren Weg. Das tut schon gut, wenn das auch Früchte trägt.

Dass Luhukay seinen Weg mit Konsequenz geht – welches Gefühl gibt Ihnen das für das kommende Halbjahr?
Ein sehr, sehr positives. Wir haben uns eine sehr gute Position erarbeitet. Und trotzdem möchte ich noch meinen Finger heben. Vor drei Spieltagen hat der 1. FC Kaiserslautern das auch noch gedacht, und dann hat er drei Spiele verloren. Wir sind sehr konzentriert und uns unserer Stärken bewusst. Aber wir müssen immer wieder unsere Tugenden abrufen. Da sehe ich auch mich als Kapitän gefordert.

Welche Gefahren lauern auf Hertha?
Wenn wir denken, der Aufstieg wird ein Selbstläufer, garantiere ich Ihnen, dass wir es nicht packen werden. Wir sind die Gejagten, gegen die jeder versucht, an die Leistungsgrenze zu kommen. Auch wenn sich das paradox anhört: Es ist für uns und Kaiserslautern schwieriger aufzusteigen als für Braunschweig. Wir haben offensiv gesagt, dass wir aufsteigen wollen. Alles andere kann mit unserem Kader nicht der Anspruch sein. Aber wir müssen diesen Anspruch auch mit Leistung dokumentieren.

Nach den Erfahrungen aus der Vorsaison: Ist der Teamgeist heilig? Heiliger denn je?
Gutes Thema. Ich finde, dass wir eine richtig coole Truppe sind. Die Lobeshymnen auf das Team halte ich für absolut gerechtfertigt. Trotzdem muss ich das Ganze relativieren: Vor zwei Jahren war es nicht anders. Lewan Kobiaschwili hat damals gesagt, dass er noch nie in einer so tollen Truppe gespielt habe. Und so lange, wie der dabei ist, hat das schon eine gewisse Relevanz. Aber da haben wir auch so gut wie alles gewonnen. Ein Jahr später hatten wir fast dieselbe Mannschaft. Und ich muss sagen: Ich habe noch nie in einer Mannschaft gespielt, in der so viel verkehrt gelaufen ist. Den wahren Charakter einer Mannschaft erkennt man erst, wenn es mal schlechter läuft. Das haben wir mit dem aktuellen Team Gott sei dank noch nicht gehabt.

Bereitet Ihnen der verschärfte Konkurrenzkampf sorgen?

Es sind jetzt einige Spieler zurückgekehrt, die einen Anspruch auf einen Stammplatz erheben. Bereitet Ihnen der verschärfte Konkurrenzkampf Sorge?
Überhaupt nicht. Weil das Ziel Aufstieg über allem und über allen steht und weil alle das verinnerlicht haben. Das war vor zwei Jahren auch so. Ich freue mich riesig über die Spieler, die jetzt zurückgekommen sind, und ich bin auch überzeugt, dass sie alle noch extrem wichtig für uns werden. Trotzdem muss man anerkennen, dass sich in ihrer Abwesenheit andere Spieler in den Vordergrund gespielt haben – und dass sie sich auch Respekt verdient haben, weil sie die 42 Punkte geholt haben.

Hat sich Ihr Verantwortungsgefühl verändert, seitdem Sie Kapitän sind?
Nein, ich habe es immer schon gelebt, dass man es nur gemeinsam schaffen kann. Ich glaube auch, dass man auf dem Platz sieht: dass ich ein Teamplayer bin und keine One-Man-Show abziehe. Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass meine Aktionen eine etwas größere Tragweite haben. Sonst bin ich auch nur ein Teil der Mannschaft. Das habe ich verinnerlicht. Ich habe den Abstieg genauso zu verantworten wie jeder andere Spieler, aber auch wie ein Physiotherapeut oder ein Zeugwart. Genauso haben der Zeugwart und der Physiotherapeut ihre Anteile daran, wenn wir aufsteigen. Das ist jetzt nicht nur so dahergesagt, das ist mein voller Ernst.

Denken Sie als Kapitän auch über die Mannschaft hinaus? Hat sich die Identifikation mit dem Klub noch verstärkt?
Die Identifikation konnte vorher nicht größer sind. Ich bin Vollblut-Herthaner. Da geht nicht mehr. Wenn ich mich für eine Sache entscheide, versuche ich immer die auch hundertprozentig zu machen. Im Sommer habe ich mir ein bisschen Zeit genommen, um darüber nachzudenken, ob ich bei Hertha bleibe – einfach um Abstand zu gewinnen, weil in der vergangenen Saison zu viel passiert ist.

Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Luhukay und Ihnen?
Für mich könnte die Zusammenarbeit nicht besser sein. Ich sage ihm, wenn mir etwas auffällt, und bis zu einem gewissen Grad bespricht er Entscheidungen mit mir. Er fragt mich natürlich nicht, wer spielen soll. Dafür ist er Trainer, und ich bin Spieler. Aber er hat zum Beispiel mit mir über die Entscheidung geredet, ob wir wieder wie im vergangenen Jahr ins Trainingslager nach Belek fahren.

So, wie Sie Luhukay jetzt kennengelernt haben: Würden Sie sagen: Das ist ein Trainer, der längerfristig bei Hertha arbeiten kann?
Ich hoffe es. Die Sehnsucht besteht immer, mit einem Trainer zu arbeiten, der langfristig plant. Das, was er sagt, hat Hand und Fuß. Jos Luhukay hat in der Vorrunde ab und zu was rausgehauen: zum Beispiel dass wir ab Oktober schwer zu schlagen sein werden. So ist es auch gekommen. Wenn das dann so eintritt, vertraut man ihm als Spieler natürlich noch mehr. Das Fundament ist gelegt – und ich hoffe, dass es nicht auf Sand gebaut ist.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

Stefan Hermanns

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