Jürgen Klinsmann: "Ich bin schon sehr amerikanisch"
Jürgen Klinsmann ist wieder da. Als Trainer der US-Fußballer, Gast der Bundesliga und in Talkshows. Ein Gespräch über Fußballkultur, Heimat und Philipp Lahm.
Herr Klinsmann, Philipp Lahm ist sicher im Besitz Ihrer Telefonnummer. Hat er sich in den letzten Tagen bei Ihnen gemeldet?
Nein.
Keine Entschuldigung, kein Wort zu Passagen seines Buches, die Sie betreffen?
Nein.
Wollen Sie ihn mal anrufen?
Warum sollte ich? Ich habe ja nichts über ihn gesagt oder geschrieben.
Lahm hat Ihnen öffentlich die Eignung abgesprochen, einen Spitzenklub wie den FC Bayern zu trainieren.
Philipp Lahms Sichtweise ist die eines Spielers. In dieser Rolle kann er das Gesamtbild überhaupt nicht überblicken. Es ging mir als Spieler nicht anders. Ich war eben Stürmer, hätte am liebsten den ganzen Tag Torschusstraining gemacht. Als Trainer trägst du eine viel größere Verantwortung. Du musst ein Puzzle zusammensetzen aus 25 Spielern, die 25 verschiedene Meinungen haben über Training, Taktik und vieles mehr. Ich kann durchaus verstehen, wie Philipp zu seinen Gedanken kommt. Dass er meint, das der Öffentlichkeit zuzutragen – das ist halt sein Charakter. Aber dafür hat er ja entsprechende Kommentare bekommen. Ich will mich nicht länger einlassen auf Dinge, die nur dazu dienen, dass wir ein Thema für die nächsten Monate haben.
Hätten Sie rückblickend einiges anders machen sollen, als Sie im Sommer 2008 den Job in München antraten?
Natürlich würde man im Nachhinein immer Dinge anders machen. Aber es war eine großartige Lebenserfahrung. Wir hatten viel Spaß beim FC Bayern, auch wenn das im Nachhinein anders dargestellt wird. In meiner Zeit haben junge Leute wie Badstuber, Müller und Ekici erstmals oben mittrainiert; es war klasse zu sehen, wie die im nächsten Jahr abgegangen sind.
Aber…
… rückblickend muss man sagen, dass in München zwei verschiedene Welten aufeinandertrafen, der FC Bayern und ich. Diese beiden Welten waren nicht kompatibel. Deswegen war es richtig, diese Sache zu Ende zu bringen. Wenn man erkennt, dass beide Seiten anders denken, hat es einfach keinen Sinn. Die Bayern wussten, sie gehen mit mir in eine Richtung, die komplett anders ist als die, in der sie 30 Jahre lang unterwegs waren und die sie jetzt wieder gehen. Sie haben es versucht, aber sie wollten den Weg nicht weiter mit mir gehen. Das musste ich akzeptieren.
Kannten Sie und Ihr Stab die Bundesliga nicht gut genug?
Ach, das sind so Spielchen, die nachher gespielt wurden. Mein Kotrainer Martin Vasquez hat sich damals innerhalb weniger Monate ein sehr gutes Bild von der Bundesliga verschafft und sehr gute Trainingsarbeit gemacht. Für die Gesamtstruktur war das unerheblich. Wir haben einfach nicht in dieselbe Richtung gedacht.
Haben Sie noch Verbindung zur Münchner Klubführung um Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß?
Nein. aber zur Stadt, unserem damaligen Umfeld. Auf privater Ebene war es toll. Die Kinder wollen heute noch im Urlaub zurück, sie haben Münchner Freunde, mit denen sie skypen. Und dann verfolge ich mit großem Interesse die Nationalmannschaft. Mit Joachim Löw bin ich in ständigem Austausch, wir telefonieren und wünschen uns vor Spielen per SMS alles Gute.
Als Trainer der US-amerikanischen Nationalmannschaft sind Sie seit ein paar Wochen sein Kollege. Können Sie schon sagen, wo Sie mit Ihrer neuen Mannschaft stehen?
Es ist nicht so einfach. Der US-Fußball hat nie genau erfahren, wo sein Platz ist. Ein großes WM-Spiel ist mal drin, aber das sagt nichts darüber aus, wo man im Ranking der Nationen steht. Es gibt nicht eine Konkurrenz starker Ligen wie in Europa. Da haben wir einen langen Weg vor uns.
Sie haben Profis mit doppelter Staatsbürgerschaft nominiert, etwa den Hoffenheimer Fabian Johnson. Ist das ein Trend für die Zukunft? Der türkische Fußballverband unterhält ein Büro, das in ganz Europa nach Profis mit türkischen Wurzeln sucht.
Natürlich wollen wir eine europäische Präsenz haben. Dafür habe ich mein Netzwerk, ich bin ja 30 Jahre in dem Job. Auch in Argentinien haben wir bei River Plate und Independiente zwei Kandidaten gefunden. Ganz wichtig ist für uns Mexiko. Da gibt es viele junge Spieler, die mit ihren Familien früh von großen Klubs abgeworben werden. Die tauchen dann mit 18, 19 in Profiklubs auf, aber sie haben noch ihren amerikanischen Pass. Was die Türkei für Deutschland ist, ist Mexiko für uns.
Schon praktisch, als Trainer in einem Einwanderungsland zu arbeiten.
Ja, aber wir dürfen uns von Quantität nicht den Blick verstellen lassen. In Deutschland gibts auch nur einen Özil, nicht fünf.
Eines Ihrer Ziele ist, dass der Stil der Mannschaft für die Kultur der USA steht. Was soll das denn für ein Stil sein?
Es gibt viele Fußballkulturen in den USA, wir haben hier europäische und amerikanische Einflüsse. Es muss unser Anspruch sein, einen Stil zu entwickeln, in dem sich der Amerikaner wiedererkennt. Der muss vor dem Fernseher sitzen und sagen: Yeah!, das ist mein Team.
Da spricht die Leidenschaft aus Ihnen, die man in Deutschland von der WM 2006 kennt. Sie leben seit 1998 in Kalifornien. Fühlen Sie sich schon als Amerikaner?
Ich bin zum Teil schon sehr amerikanisch, aber meine Wurzeln sind und bleiben deutsch, meine Erfahrungswerte und Erinnerungen. Dazu nehme ich viel mit aus meiner Zeit in Italien, aus den beiden Jahren in Frankreich, ich verstehe die Engländer mit ihrem schwarzen Humor, und ich habe viel von den Amerikanern gelernt.
Zum Beispiel?
Der Amerikaner gibt nicht auf, er stürzt, schüttelt sich und steht wieder auf. Die Deutschen sagen, ich sei beim FC Bayern gescheitert. So denken die Amerikaner nicht. Die würde sagen: Ist nicht gut gelaufen, what’s next? Erst kommt der Hurricane, dann wird aufgeräumt.
Nur wer fällt, kann auch aufstehen.
Genau. Du wirst immer fallen im Leben. Das ist ein kulturelles Phänomen, das ich sehr schätze bei den Amerikanern. Die jammern nicht rum, die packen an.
Und sie zählen nicht die Flugreisen, die Sie als Bundestrainer zwischen Ihrem Wohnsitz in Kalifornien und Deutschland absolviert haben. In der deutschen Öffentlichkeit war das damals ein kleiner Skandal.
Undenkbar. Was hier in meiner Zeit zwischen 2004 und 2006 stattgefunden hat, ist für Amerikaner nicht relevant. Aber sie wollen sehr wohl Ergebnisse sehen. Und ein Team, bei dem sie nicht um die Teilnahme für die WM 2014 zittern müssen. Daran werden die Amerikaner mich messen.
Interview: Sven Goldmann
Sven Goldmann