Felix Magath: "Ich bin noch nicht im Herbst meiner Karriere"
Über keinen Trainer kursieren so viele Mythen wie über Felix Magath. Im Interview spricht er über das Aus in Fulham, sein Image als Quäler, Hausmittel bei Verletzungen und seine Zukunft.
Herr Magath, Sie haben vor drei Jahren in 11 FREUNDE gesagt, dass Wolfsburg Ihre letzte Station in der Bundesliga sein wird. Die gewünschte Auslandserfahrung haben Sie jetzt auch gemacht. War’s das also?
(lacht) Man braucht zumindest eine klare Zukunftsstrategie und Mut wie Willen zu ehrlicher Arbeit, um mich einzustellen.
Weil Ihr Image nicht das beste ist? Wenn man ehemalige Spieler nach Ihnen fragt, heißt es oft: „Ich habe Magath überlebt.“
Welcher überdurchschnittliche Spieler soll das gesagt haben? Und deswegen diskutieren die Journalisten dann darüber, ob ich ein moderner Trainer sei oder die Spieler noch erreiche.
Ist die Frage nicht berechtigt?
Gegenfrage: Haben beispielsweise die jüngeren Trainer in Hamburg zuletzt mehr Erfolg gehabt als ältere Berufskollegen?
Dennoch: Das Image klebt an Ihnen. Was antworten Sie den Leuten, die daran glauben?
Zum einen: Wer wird überhaupt gefragt? Da wird ein Albert Streit aus der Kiste geholt. Neulich durfte sich sogar Bachirou Salou über mich äußern. Einer der Fußballgiganten des Planeten, der vor 15 Jahren unter mir gespielt hat. Warum wird nie jemand wie Ivan Rakitic zitiert, der mal gesagt hat, dass er sehr viel von mir gelernt habe? Wieso spricht niemand von Spielern wie dem Weltmeister Julian Draxler oder von Lukas Schmitz, Christoph Moritz und Joel Matip, die ich in die erste Schalker Mannschaft integriert habe?
Und zum anderen?
Verstehe ich einige Beurteilungen nicht. Ich habe gelernt, dass es nicht nur Schwarz und Weiß, nicht nur Gut und Böse gibt. Alles hat zwei Seiten. Doch über mich wird konsequent negativ berichtet, das grenzt fast an Diskriminierung. Da gibt es etwa einen Spieler, der hatte in seiner Karriere zwei gute Jahre und wurde Deutscher Meister – und zwar mit mir. Mit anderen Trainern ist er zweimal abgestiegen. Was meinen Sie, über wen dieser Spieler schlecht redet?
Auch Fulham-Spieler kritisierten Sie in der Presse.
Es sind genau die Spieler beim FC Fulham, die mit zwei anderen Trainern auf den letzten Tabellenplatz abgerutscht sind. Außer Kieran Richardson, der auch bei mir immer spielte, ist kein Spieler, der vor meiner Zeit zu Fulham geholt wurde, heute noch Stammspieler in der Premier League. Der mich kritisierende William Kvist spielt beim abstiegsbedrohten VfB Stuttgart keinerlei Rolle und wechselte in die zweite englische Liga zu Wigan.
Nach Ihrer Entlassung beim FC Fulham war in der Presse zu lesen, dass Sie dem Spieler Brede Hangeland geraten hätten, eine Muskelverletzung zu behandeln, indem er ein Stück Käse auf die angeschlagene Stelle legt.
Wer gesunden Menschenverstand hat, sieht doch, dass mit so einer Falschinformation gezielt Stimmung gegen mich gemacht wird. Mit solchen Berichten, die oft von anderen Seiten lanciert werden, sollen vor allem Trainer immer öfter herabgesetzt werden.
Dennoch wäre es für unsere Leser interessant zu erfahren, was hinter dem Gerücht steckt.
Zunächst hatte Brede Hangeland keine Muskelverletzung, sondern eine Knieverletzung. Quark mit Alkoholgehalt auf ein geschwollenes Gelenk zu legen ist ein altes und bewährtes Hausmittel, das ich und meine Mitspieler selbstverständlich auch zur aktiven Zeit angewandt haben. Im besten Fall zieht der alkoholgetränkte Quark die Flüssigkeit aus dem Knie, und es schwillt ab.
Zweifeln Sie nie an sich selbst?
Ich bin selbstkritisch und hinterfrage mich immer. Doch Selbstzweifel? Nein. Fußball ist mein Spiel. Und leider ist es so, dass mehr Leute in das Geschäft gekommen sind, die mit diesem Spiel eigentlich nichts am Hut haben, sondern nur Geld verdienen wollen. Mein Punkt ist: Es braucht nur eine Person mit Sachverstand, die für die gesamte Fußballphilosophie des Vereins verantwortlich ist. Beste Beispiele sind Arsène Wenger beim FC Arsenal oder José Mourinho beim FC Chelsea. Bei Manchester United lief es mit Alex Ferguson auch jahrelang großartig, doch dann kam David Moyes, der nicht mehr alleinverantwortlich war – und schon ging es für das Team bergab.
Sehen Sie da noch Unterschiede zu Deutschland?
Hier haben die Geldgeber und Mäzene weniger Einfluss. Dennoch geht es auch im deutschen Fußball nur um eines: Geld. Der große Unterschied ist dabei, dass hier immer noch ein recht romantisches Bild gezeichnet wird, manchmal heißt es sogar, dass die Fans die Macht haben. In England hingegen wird nicht verheimlicht, dass es primär ums Geldverdienen geht.
Erinnern Sie noch den ersten Satz, den Sie in der Kabine in Fulham gesagt haben?
Muss ich den kennen?
Sie sollen die Mannschaft mit den Worten begrüßt haben: „Ich hasse es, zu verlieren.“
Stimmt ja auch.
Fehlte den Spielern der letzte Wille?
Vielleicht. Ich fing bei Fulham an einem Mittwoch an. Mein Vorgänger hatte den Spielern nach der letzten Niederlage bis Montag freigegeben. Ich verfügte nun, dass die Mannschaft am Sonntag wieder zum Training kommen müsse. Darauf bekam ich von einem Spieler die Mitteilung, dass er am Sonntag schon einen Ausflug mit der Familie mache und keine Zeit habe.
"Manche Spieler sind unbelehrbar"
Ist Ihnen so was in der Bundesliga auch mal passiert?
Manche Spieler sind unbelehrbar, aber es gibt auch ganz andere.
Wer war der robusteste, ehrgeizigste Spieler, den Sie je trainiert haben?
Grafite. Er war der einzige Spieler, der mich wirklich überrascht hat. Als er 2007 nach Wolfsburg kam, legten wir keinen guten Saisonstart hin. In einem Testspiel wurde er zu allem Überfluss umgetreten – doppelter Bänderriss. Es war sicher, dass er für das Spiel am Wochenende ausfallen würde. Trotzdem stand er am Freitagnachmittag plötzlich am Trainingsplatz. „Grafite, was machst du hier?“, fragte ich. „Ich will spielen“, sagte er. Die Ärzte und ich sprachen nachdrücklich unsere Bedenken aus, doch er bestand darauf, der Mannschaft zu helfen. Also nahm ich ihn am Sonntag mit nach Cottbus.
Und Sie ließen ihn mit einem doppelten Bänderriss spielen?
Nein, ich setzte ihn auf die Bank. Gespielt hat er erst wieder am darauffolgenden Dienstag in Bremen. Diese Partie war mir wichtiger. Grafite war wirklich einer der robustesten Spieler, die ich kennengelernt habe.
Wir hätten gedacht, dass Sie solche Typen in England zuhauf finden.
Zumindest in der zweiten Liga, wo es körperbetonter zugeht, sind die Spieler bereit, mehr Einsatz zu bringen. Doch auch in England ist man dem Glauben verfallen, mit Statistiken ein Fußballspiel lenken zu können. Dort erhebt man ja noch mehr Daten als hier. Ich glaube aber, dass man Menschen, Gefühle und Emotionen nie mit Statistik in den Griff bekommt. So entsteht kein besserer Fußball.
Wie dann?
Indem ich für meinen Verein bereit bin, an meine Grenzen zu gehen und mich mit voller Leidenschaft für die Mannschaft einsetze. Mein Credo lautet immer noch: Ich will maximalen Erfolg. Und das bedeutet in der Konsequenz, erfolgreiche Profis müssen mehr tun. Deswegen sage ich jedem Spieler: „Wenn du zufrieden bist mit Platz acht oder neun, bleib weg! Ich bin damit nicht zufrieden.“
Felix Magath, wie haben Sie das Karriereende von Jupp Heynckes wahrgenommen?
Ich habe mich sehr für ihn gefreut.
Sein Triple mit Bayern war das Happy End einer Karriere, die schon beendet schien.
Auch von ihm hieß es bereits 2003 bei Schalke, dass er Spieler nicht mehr erreiche. Zehn Jahre später gewinnt er mit Bayern alle wichtigen Wettbewerbe. Warum? Weil er angeblich so gut mit den Spielern kann. Es ist doch grotesk, dass es niemandem früher aufgefallen ist.
Wir hören heraus, dass wir Sie auch noch lange nicht los sind.
Nein, warum auch? Ich bin noch nicht im Herbst meiner Karriere, ich bin in der Blüte meines Lebens (lacht). Ich kann mir alles vorstellen, und wenn die Voraussetzungen stimmen auch einen neuen Anlauf im Ausland. Vor allem England reizt mich weiterhin, denn für mich gibt es nur zwei bedeutende Meisterschaften in Europa: die Premier League und die Bundesliga.
Das Interview sowie weitere Themen wie spektakuläre WM-Fotos aus Rio oder ein Gespräch mit Heiko Westermann finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe von 11Freunde.
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