Sport: „Hoyzer versucht, sich an anderen zu rächen“
Die Schiedsrichter Blumenstein, Gräfe und Fröhlich brachten den Manipulationsskandal im deutschen Fußball ans Licht. Jetzt reden sie zum ersten Mal in der Öffentlichkeit
Herr Blumenstein, Herr Fröhlich, Herr Gräfe, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Felix Zwayer mit Ihren Aussagen vor zwei Wochen beim DFB den Manipulationsfall um Robert Hoyzer ins Rollen gebracht. Wie kam es dazu?
Lutz Michael Fröhlich: Schon kurz vor Weihnachten hatte uns Felix Zwayer gesagt, dass ihn Robert unter anderem im Zusammenhang mit dem Zweitligaspiel Essen gegen Köln angesprochen hätte. Er hatte gesagt, dass Köln heute gewinnen müsse. Aber Felix wollte damit nichts zu tun haben und beendete das Gespräch. Mit dieser Auskunft und anderen Informationen aus seinem privaten Umfeld und Schiedsrichterkreisen haben wir uns über Weihnachten geschleppt. Auf der DFBHalbzeittagung haben wir Robert noch einmal genauer beobachtet und bekamen zusätzlich von Felix die Information, dass Robert ihn im Januar beim Hallenturnier in Riesa noch einmal angesprochen habe. Dann haben wir beschlossen, bei Schiedsrichterobmann Volker Roth anzurufen und die Sache zu melden. Das war am 19. Januar.
Gab es schon vor dem Spiel in Essen Gerüchte, dass Robert Hoyzer Spiele manipuliert haben könnte?
Fröhlich: Keine konkreten Hinweise. Es gab nur einmal eine Anfrage an mich, ob ich gehört hätte, dass Robert wettet – aber nur wettet. Damit habe ich Robert Ende August, nach dem Spiel Paderborn – Hamburger SV konfrontiert. Ich habe ihm gesagt, es gebe das Gerücht, dass er wette. Er hat gesagt, da sei nichts dran. Dann habe ich ihm einen einstündigen Vortrag gehalten, unter anderem über korrektes Auftreten und Verhalten in der Öffentlichkeit Zum damaligen Zeitpunkt war es aber außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass er Spiele manipuliert.
Gab es damals schon Spekulationen um das Pokalspiel Paderborn – HSV?
Manuel Gräfe: Dieses Spiel war schon aufgrund der Medienberichterstattung das erste, um das man sich Gedanken machen musste. Wir haben uns schon gefragt, wie er zu diesen fußballfremden Entscheidungen kommen konnte. Ich würde ihn als Instinktschiedsrichter bezeichnen, der viel Gespür für Situationen hat, Verständnis für fußballerische Abläufe. Früher hätte er solche Elfmeter wie in diesem Spiel nicht gegeben.
Olaf Blumenstein: Ich habe mit Robert nach dem Spiel in Paderborn telefoniert und ihn auf diese Dinge angesprochen. Er war völlig entrüstet, dass in den Zeitungen stand, er hätte falsch gepfiffen. Er könne sich überhaupt nicht erklären, warum er auf einmal so im Blickpunkt stehe.
Fröhlich: Es war das erste Mal, dass eine Spielleitung von Robert im DFB-Bereich so im Lichte der Öffentlichkeit stand. Da habe ich noch gesagt: Wir müssen ihn jetzt ein bisschen stabilisieren, weil es ihm offenbar auch gar nicht so gut ging. Natürlich vermutete man zunächst, dass die Gerüchte aus Hamburg gezielt gestreut wurde, um ihn zu diskreditieren.
Es kommt aber selten vor, dass Zeitungen berichten, dass der Schiedsrichter einer Mannschaft sagt: Spielt ihr mal schön, den Rest mache ich.
Blumenstein: Ich habe ihn auch darauf angesprochen, und er war völlig entsetzt, wie man darauf kommen könnte.
Fröhlich: Darauf bezog sich auch mein einstündiger Vortrag ihm gegenüber, dass er aufpassen soll mit dem, was er sagt und wie er mit den Spielern umgeht, dass er keine Front gegen sich aufbaut.
Gräfe: Es gab die eine oder andere menschliche Schwäche bei ihm. Aber Schwächen hat jeder, nur waren seine so ausgeprägt, dass sie letztlich zu dieser Manipulation geführt haben. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Robert konnte sich immer gut verkaufen, gerade in der Öffentlichkeit. Da hat er eine andere Rolle spielen können. Da hat er sich zusammengerissen. Sein Problem war aber: Immer wenn er glaubte, etwas im Griff zu haben, wurde er überheblich.
Fröhlich: In seinem Auftreten hatte er etwas, das nicht authentisch war. Er kam immer ein bisschen gekünstelt rüber. Aber da denkt man eher, der hat noch Probleme mit sich selbst. Die Persönlichkeitsentwicklung war auf jeden Fall nicht in Harmonie mit dem Potenzial, das er als Schiedsrichter hatte.
Gräfe: Wir hatten auch noch Informationen aus seinem Umfeld über seinen Lebensstil und seine Lebensführung. Da kam ein Mosaikstein zum anderen. Mit den Aussagen von Felix Zwayer ergab sich dann ein vollständiges Bild.
Wie äußerte sich dieser Lebensstil?
Blumenstein: Aus seinem Umfeld war zu hören, dass er auf einmal relativ viel Geld hatte und relativ viel ausgab.
Sie sagen, Hoyzer habe zweimal versucht, Zwayer zur Manipulation zu überreden.
Gräfe: Wie oft, das können wir wegen der laufenden Ermittlungen nicht sagen. Robert hat auf jeden Fall geglaubt, er könne auf Felix Einfluss nehmen oder sogar Druck ausüben. Aber Felix ist charakterlich ganz anders gestrickt als er und würde bei so etwas nicht mitmachen. Da hat ihn Robert wohl unterschätzt.
Die Staatsanwaltschaft zählt Zwayer dennoch weiterhin zu den Beschuldigten, weshalb er sich derzeit auch nicht öffentlich äußern will.
Gräfe: Diese Vorwürfe sind nicht nur ärgerlich, sie sind schon dramatisch. Nur wegen der Aussagen von Felix konnten wir letztlich an den DFB herantreten. Jemand, der die Courage besitzt, sich gegen Einflussnahme zu wehren, sich nach einem halben Jahr DFB-Zugehörigkeit an der Aufklärung zu beteiligen, der wird jetzt angeprangert.
Blumenstein: Sein Mut ist bisher viel zu wenig gewürdigt worden. Normalerweise müsste man ihm einen Orden umhängen. Die Informationen, die wir drei hatten, hätten nur für die Einschätzung gereicht, dass in Roberts privatem Umfeld und bei seinen Spielleitungen etwas nicht in Ordnung ist. Die Manipulation ist erst durch Felix aufgedeckt worden.
Fröhlich: Ich glaube Felix schon deshalb, weil wir ihm von Anfang an klar gemacht haben, dass wir seine Anschuldigungen gegen Robert eins zu eins weitergeben und dass der Verdacht auch auf ihn fallen könnte. Das war ihm bewusst, und er hat trotzdem gesagt, dass er dazu stehe.
Wieso hat Robert Hoyzer denn Felix Zwayer angesprochen, obwohl beide angeblich nicht so gut miteinander konnten?
Gräfe: Ich denke, er hat ihn unterschätzt. Das Verhältnis war nur eine Zweckgemeinschaft. Wenn man zusammen zu den Spielen fährt, dann kommt man schon auf eine gewisse Weise miteinander aus. Aber es war keine Freundschaft.
Ein Motiv, um Felix Zwayer zu belasten, hätte Robert Hoyzer: Zwayer hat ihn beim DFB angezeigt. Aber was könnten seine Gründe sein, um gegen die Schiedsrichter Jürgen Jansen und Dominik Marks auszusagen?
Fröhlich: Jürgen Jansen hatte mir letzten Donnerstag, bei unserer Schiedsrichterzusammenkunft erzählt, dass er mit dem Outfit von Robert nicht einverstanden war. Da soll er ihm gesagt haben: Wenn du noch mal so aussiehst, brauchst du erst gar nicht zu kommen. Jansen war auch einer derjenigen, die uns am Donnerstag gesagt haben: Respekt dafür, was ihr getan habt.
Und bei Dominik Marks?
Fröhlich: Ich weiß, dass Robert und er regelmäßig Kontakt hatten. Aber die Qualität der Kontakte kann ich nicht einschätzen. Ich weiß nur, dass das Umfeld von Dominik Marks dagegen spricht, dass er sich auf eine Manipulation einlassen würde. Er ist frisch verheiratet, hat ein Kind und ist gerade in eine Finanzprüfungsgesellschaft eingestiegen.
Hat sich Ihre Wahrnehmung von Robert Hoyzer im Laufe der Jahre gewandelt?
Gräfe: Ich hatte bis vor drei Jahren einen freundschaftlichen Kontakt zu ihm. Aber wegen seines Charakters habe ich das dann beendet. Es war vor allem die Unzuverlässigkeit und die Überheblichkeit, wobei sich die Überheblichkeit mir gegenüber in Grenzen hielt, weil wir befreundet waren, ich älter bin und ich als Schiedsrichter höher amtiert habe als er.
Blumenstein: Er ist oft zu spät gekommen. Ihm hat einfach das Verantwortungsbewusstsein gefehlt.
Gräfe: Er hat sich über die Schiedsrichterei definiert, über seinen Erfolg, über sein Aussehen. Das war ja auch zum Teil berechtigt. Er ist sehr groß und hat ein selbstbewusstes Auftreten.
Fröhlich: Nur die innere Wertentwicklung, die hat eben gefehlt. Er wirkte eine Spur gewissenlos. Auf dem Platz war es vielleicht sogar förderlich, dass er mit einer Skrupellosigkeit aufgetreten ist. Das hat ihm auf dem Platz Respekt verschafft. Für sein Alter hatte er eine ungewöhnlich hohe Souveränität.
Gräfe: Gegen seine Entscheidungen haben die Spieler recht wenig protestiert.
Fröhlich: Ich habe bei Robert schon immer das Talent gesehen. Aber es gab im Umgang etwas, das mich mit Skepsis erfüllte. An kriminelle Energie habe ich nie gedacht. Man muss mit vorschnellen Urteilen immer vorsichtig sein. Auch damals, als die ersten Gerüchte aufkamen, waren wir sehr zurückhaltend.
Robert Hoyzer hat es mittlerweile geschafft, dass der DFB-Präsident Theo Zwanziger ihn als den seriösesten Informanten in der Affäre bezeichnet.
Fröhlich: Also, mit dieser Form der Rechtsfindung käme ich nicht klar. Aber so war es auch nicht gemeint.
Gräfe: Jemand, der Spiele manipuliert hat, der betrogen hat, der die Öffentlichkeit belogen hat und dann erst nach Tagen unter Druck gesteht, der soll nun zur absoluten Wahrheitsfindung beitragen? Man sollte seine Motivation, gewisse Spieler oder Schiedsrichter zu nennen, kritischer hinterfragen.
Würde es einen Fall Felix Zwayer überhaupt geben, wenn der DFB nicht öffentlich das Spiel Essen gegen Köln genannt hätte, in dem Hoyzer gar nicht gepfiffen hat, dafür aber Zwayer Assistent war?
Gräfe: Wahrscheinlich schon. Weil Robert Felix angesprochen hatte und deshalb genau weiß, dass Felix ihn gemeldet hat. Ich habe nur gehofft, dass Robert in dieser Situation in sich geht und zur Wahrheit findet, auch wenn er im ersten Augenblick verärgert war, dass Felix die Sache mit ins Rollen gebracht hat. Und diese Drucksituation, der er Felix ausgesetzt hat, ist auch ungeheuerlich. Aber offenbar macht Robert auch jetzt nicht den sauberen Schnitt, sondern versucht, sich an anderen zu rächen.
Wie war es für Sie, als der DFB auch das Spiel Essen gegen Köln nannte? Sie waren Schiedsrichter, Herr Gräfe, Felix Zwayer Ihr Assistent.
Gräfe: Für mich war es eine Katastrophe. Es waren viele und lange Telefonate und eine kurze Nacht.
Gab es von Seiten des DFB ein Zeichen des Bedauerns?
Gräfe: Präsident Theo Zwanziger hat bei der Schiedsrichterzusammenkunft sein Bedauern ausgedrückt. Aber er sagt, dass man dieses Spiel nennen musste. Zu diesem Zeitpunkt hatte der DFB ja noch nicht das Geständnis von Robert und wollte deshalb der Gegenseite nicht die Chance geben, irgendetwas abzuleiten.
Haben Sie jetzt Kontakt zu Hoyzer?
Fröhlich: Nein. Den letzten Kontakt hatte ich zu ihm bei der Kontrollausschusssitzung des DFB am Freitag vor zwei Wochen. Da bin ich noch mit ihm zum Flughafen gefahren. Der erste Stand war der, dass er als Schiedsrichter zurückgetreten ist. Mir gegenüber hat Robert gesagt: Ich weiß gar nicht, was die von mir wollen und was ich jetzt machen soll. Er hatte Anzeichen eines Nervenzusammenbruchs, er war verwirrt. Aber auch das kam nicht so richtig authentisch rüber. Ich habe ihm dann nur gesagt: Ich hoffe, dass du da heil rauskommst. Nach der Anhörung durften Felix und Robert sich gar nicht mehr begegnen. Für Felix wurde extra ein Mietwagen arrangiert.
Waren Sie schon einmal im Café King?
Blumenstein: Ja, zu Roberts 25. Geburtstag im letzten August. Wir waren 10 oder 15 Leute, aber es wurde nicht groß aufgetafelt.
Ist Ihnen da aufgefallen, dass Hoyzer zu den Betreibern des Lokals ein intensives Verhältnis hatte?
Blumenstein: Dass das Verhältnis intensiver war als zu anderen Gästen, das ja.
Gräfe: Die Aussagen, die wir aus Roberts Umfeld bekommen hatten, bezogen sich nur auf seinen Lebenswandel. Von Hintermännern wussten wir nichts.
Haben Sie sich Sorgen gemacht, als erstmals von Hintermännern die Rede war?
Blumenstein: Ja. Wir sind erst einmal zu Felix in die Wohnung gegangen und haben ihm gesagt, ob es nicht besser wäre, wenn er mal ein paar Tage verschwinden würde.
Wurde unter Schiedsrichterkreisen jemals über das Thema Wetten gesprochen?
Gräfe: Nein, das war nie ein Thema. Es ist selbstverständlich, dass man sich als Schiedsrichter nicht an Wetten beteiligt.
Nach den Vorkommnissen wurden Sie als Schutzmaßnahme am Wochenende nicht eingesetzt. War das für Sie eine Befreiung?
Fröhlich: Der Schiedsrichterjob sind für mich die 90 Minuten auf dem Platz und nicht das, was ich zurzeit machen muss. Insofern war ich enttäuscht. Auf der anderen Seite verstehe ich den DFB. Wenn bei einem Spiel etwas passiert, bietet man eine Angriffsfläche: Wenn irgendetwas passiert wäre, hätte man doch sofort gesagt: Der ist wegen der ganzen Turbulenzen im Kopf nicht frei.
Gräfe: Es wäre schön, wenn endlich wieder Alltag einkehrt, wenn die Sache endlich aus unserem Umfeld verschwindet. Man kann sich gar nicht vorstellen, welchem Druck man ausgesetzt war, gerade auch durch die Berichterstattung in den Medien. Was manche Journalisten mit vermeintlich Beteiligten betreiben, grenzt an Rufmord.
Fröhlich: Es kam noch etwas dazu: Es war der erste Spieltag nach dem Fall Hoyzer, und ich hätte gerne meinen Teil dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit der Schiedsrichter wieder zu erhöhen. Das wäre eine zusätzliche Motivation gewesen.
Könnten Sie Robert Hoyzer verzeihen?
Gräfe: Im Moment sicher nicht. Volker Roth hat es treffend gesagt: Hoyzer hat unsere Werte verkauft.
Haben Sie auch Mitleid mit Hoyzer?
Gräfe: Es ist eine menschliche Tragödie. Man kann nur hoffen, dass er endlich zur Wahrheit findet. Trotz aller Schwächen muss man berücksichtigen, dass er ja kein Kapitalverbrechen begangen hat. Ich hoffe, dass er, wenn er seine Lebenseinstellung ändert, in ein paar Jahren eine zweite Chance bekommt – unter der Voraussetzung, dass er zur absoluten Wahrheit findet. Im Fußball kann ich es mir allerdings nicht mehr vorstellen.
Das Gespräch führten Sven Goldmann und Friedhard Teuffel.
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