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Andrea Petkovic kämpft: Nicht nur gegen ihre Gegnerinnen bei den French Open, sondern auch mit ihrem eigenen Kopf.
© AFP

Andrea Petkovic: Horrorshow auf dem Tennisplatz

Andrea Petkovic steht bei den French Open in Runde drei. Neben dem Platz überrascht die Deutsche mit erstaunlich offenen Einsichten in den Alltag auf der Tennistour.

Erfolgreich Tennis zu spielen, ist nicht leicht. Ein Kopfsport, eher wie Schach, sei das, der mindestens zu 50 Prozent mit mentaler Kraft entschieden werde. Und wenn man bedenkt, wie es Boris Becker seinerzeit gelang, verloren geglaubte Matches noch zu drehen oder wie Rafael Nadal mit seinen unzähligen Ticks die Gegner mürbe zu machen versucht, liegt diese Prozentzahl vielleicht sogar noch etwas höher. Bei Andrea Petkovic spielt sich im Kopf während eines Matches eine „Horrorshow“ ab, wie sie es nennt, bei der „20 000 Gedankenstränge das Hirn bombardieren“. Bei jedem Punkt meldet sich ihr Bewusstsein mit sinnigen, aber oft auch unsinnigen Eingebungen, was zum totalen Gedankenchaos führt.

„Es ist kein Geheimnis, dass bei mir im oberen Stockwerk viele Gedanken abgehen, und manchmal sind diese hinderlich“, erzählt Petkovic in Paris. Die inzwischen 30-jährige Darmstädterin wird gerne als Intellektuelle der Tennisszene bezeichnet und oft kokettiert sie selbst mit diesem Markenzeichen. Wenn sie fließend viersprachig zu jedem Thema eloquent und dabei meist noch mit selbstironischer Note Auskunft gibt und nebenbei Bezug nimmt auf Literaten wie Philip Roth, James Joyce oder Figuren aus russischen Klassikern. Neuerdings ist Andrea Petkovic selbst unter die Schriftstellerinnen gegangen, im wöchentlich erscheinenden Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt sie erstaunlich offen und schonungslos über ihren Alltag als Tennisprofi. „Das Schreiben hilft mir sehr“, sagt Petkovic, „denn es zwingt mich, meine Gedanken besser zu strukturieren, die Konfusion in meinem Kopf zu verkleinern.“

Petkovic spielt in Paris bisher stark auf

Die „Horrorshow“, die von ihrer Begleitband im Kopf abgezogen werde, sei durch das Schreiben nun erträglicher geworden – und das hilft ihr offenbar auch auf dem Tennisplatz. Bei den French Open gelang ihr zum Auftakt ein beachtlicher Sieg gegen die Französin Kristina Mladenovic. In der zweiten Runde gelang ihr gegen die lange Zeit verletzte Amerikanerin Bethanie Mattek-Sands ein 6:0- und 7:6-Erfolg. Das Match hatte Höhen und Tiefen, wie ihre Karriere. Petkovic stand schon einmal in den Top Ten, stürmte 2014 bis ins Halbfinale der French Open. Doch derzeit ist sie nur die Nummer 107 der Weltrangliste und man fragt sich, warum sie sich die Tortur überhaupt noch antut. Vor allem, wenn man liest, was sie über ihr Tennisleben schreibt. Über die Einsamkeit, die sie in Kettenhotels befällt, wenn sie nach Niederlagen ins leere Zimmer kommt. Und wie sie Eskapismus-Strategien dagegen entwickelt. Aber das ist heikel: „Drogen fallen weg wegen der strengen Dopingregularien. Alkohol, weil es die Erholung des Körpers verlangsamt.“ Und Sex falle zwar streng genommen nicht weg, sinniert Petkovic, „aber entweder bin ich zu unfähig oder zu widerwillig, denn ich finde es gar nicht so einfach, an Sex ranzukommen.“ Lesen sei ihr oft zu anstrengend und Musik ließe zu viel Raum für „Selbstzweifel und Selbsthass“. Übrig bleibt ihr die Flucht in die Filmwelten.

Sie schreibt Sätze wie: „Seit ich ein besserer Mensch bin, spiele ich schlechter Tennis.“ Ihren Körper bezeichnet sie als „Werkzeug, mit dem ich den Lebensunterhalt verdiene“. Deshalb müsse sie ihn einer „obsessiven Selbstoptimierung“ aussetzen und war bereits „glutenfrei, laktosefrei, zuckerfrei, Veganerin, Vegetarierin, Pescetarierin und ganz viele unterschiedliche Kombinationen daraus“. Petkovic gibt tiefsinnige, intime Einblicke und scheut sich nicht, verletzlich zu wirken. Das passt schwer zusammen mit der rauen Tenniswelt und vielleicht hadert Petkovic auch deshalb so oft mit ihr. Mal ist ihr Leben ein düsterer Gothic-Roadmovie, mal hängt der Himmel voller Geigen und lässt Puccini erklingen. Dafür braucht es bei ihr oft nur ein einziges Match. Doch eines bleibt zwischen den Zeilen unmissverständlich: Sie liebt Tennis. Gegen alle Widrigkeiten.

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