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Sport: Hinter verschlossenen Türen

Seit 126 Jahren bestimmt eine winzige Männer-Runde die Geschicke des Fußballs. Sechs Stimmen im International Football Association Board genügen, um die Regeln des Spiels auf der ganzen Welt zu verändern.

Am Anfang ging es um grundsätzliche Dinge: Was ist ein Foul? Wie groß ist das Spielfeld? Wie erzielt man ein Tor? Seit sich das International Football Association Board (Ifab) 1886 zum ersten Mal traf, hat sich das Spiel allerdings verändert. Wenn die obersten Regelhüter des Weltfußballs heute im Pennyhill Park Hotel im englischen Surrey zu ihrer 126. Jahrestagung zusammentreten, werden sie sich mit Torkameras, Klettverschlüssen von Kopftüchern und Ausmaßen von Werbebanden beschäftigen. Eines ist jedoch in all den Jahrzehnten gleich geblieben: Acht Stimmen entscheiden darüber, nach welchen Regeln Milliarden Menschen auf der ganzen Welt Fußball spielen.

Das Ifab ist ein Relikt aus einer Zeit, als Fußball vor allen Dingen auf den britischen Inseln gespielt wurde. 1886 gründen die noch jungen Verbände von England, Wales, Schottland und Irland ein Gremium, um sich auf ein gemeinsames Regelfundament zu einigen und Jahr für Jahr über Änderungen desselben zu befinden. 1891 führt das Ifab unter dem später in Vergessenheit geratenen Namen „kick of death“ den Elfmeter ein. Im selben Jahr wird beschlossen, dass der Schiedsrichter das Spielfeld betreten darf und sich nicht wie zuvor an der Seitenlinie aufhält. 1913 erhält auch der Weltverband Fifa vier Stimmen, für Regeländerungen ist seitdem eine Zweidrittelmehrheit nötig: Würden sechs der acht Delegierten befürworten, die Zahl der Spieler pro Mannschaft auf zwölf zu erhöhen oder die Tore zu verbreitern – der Fußball auf der ganzen Welt würde sich radikal verändern.

Allerdings muss man keine Angst vor derartigen Revolutionen haben: Das Ifab ist ein höchst konservatives Gremium. Die Mitgliedsverbände verstehen sich als Gralshüter des wahren Spiels – und man muss ihnen zugute halten, dass sich der Fußball zwar stets weiterentwickelt, aber bisher nie seinen grundlegenden Charakter verloren hat. Man kann das vorsichtige Vorgehen des Ifab verschnarcht und zögerlich finden. Oder als besonders behutsam loben. Die meisten Entscheidungen der Regelhüter haben das Spiel tatsächlich zum Guten verändert. Brutale Fouls und andere grobe Regelübertretungen werden seit 1970 mit Gelben und Roten Karten bestraft, seit 1993 dürfen Torhüter Rückpässe nicht mehr mit der Hand aufnehmen. Das Spiel ist im Laufe der Jahrzehnte fairer und schneller geworden. Natürlich hat das Ifab auch Fehler gemacht und Irrwege eingeschlagen, wie bei der Einführung des Golden Goals und des Silver Goals. Immerhin waren die hohen Herren aber weise genug, ihre Entscheidung 2004 zu revidieren und zurückzukehren zum alten Format mit zwei Mal 15 Minuten Verlängerung und Elfmeterschießen. „Wir mussten diese Sache vereinfachen“, sagte der schottische Verbandsvertreter David Taylor damals. „Manche Spiele werden per Golden Goal entschieden, manche per Silver Goal. Warum führen wir nicht gleich auch noch ein Bronze Goal ein, wenn wir schon mal dabei sind?“ Im selben Jahr schmetterte das Ifab auch den Vorschlag ab, die Halbzeitpause von 15 auf 20 Minuten zu verlängern – eine Änderung, die nicht im Sinne der Spieler gewesen wäre, sondern vielmehr Fernsehsender und Vermarkter begünstigt hätte.

Allerdings ist das Gremium alles anders als transparent: Jahr für Jahr trifft man sich in edlen Hotels im walisischen Llandudno oder im schottischen Gleneagles, in Zermatt, Rio de Janeiro, Nizza oder Venedig. Die Sitzungen finden hinter verschlossenen Türen statt, die Ifab-Entscheidungen werden der Weltöffentlichkeit nach dem Ende des Treffens kurz und bündig mitgeteilt.

Ein derart elitärer und anachronistischer Kreis macht sich angreifbar. Wieso sollte Wales – knapp drei Millionen Einwohner, Platz 42 in der Fifa-Weltrangliste – auch so viel mehr Einfluss auf die Geschicke des Spiels haben als die 195-Millionen-Einwohner-Fußballnation Brasilien? Oder als der Deutsche Fußball-Bund, der doppelt so viele Mitglieder hat, wie es überhaupt Waliser gibt? Kein Wunder, dass die Statutenkommission der Fifa unter Vorsitz des scheidenden DFB-Präsidenten Theo Zwanziger anstrebt, dass Gremium auf eine zumindest zweistellige Mitgliederzahl zu vergrößern. Auch Spieler, Fans und Schiedsrichter sollen künftig an der Weiterentwicklung des Spiels beteiligt werden.

Am heutigen Freitag allerdings wird das Ifab noch in seiner altehrwürdigen Form tagen. Und es wird – wie schon so oft Entscheidungen – fällen, die Millionen von Fußballern betreffen. Auf der Tagesordnung stehen zwar auch eher nebensächliche Themen wie der Minimal-Abstand von Werbebanden zum Spielfeldrand oder die Farbe des Klebebands, mit dem Spieler ihre Schienbeinschoner und Stutzen fixieren dürfen. Es wird in Surrey aber auch um immer wieder heiß diskutierte Fragen gehen: Muss ein Torhüter, der einen auf ihn zustürmenden Gegner per Foul am Torschuss hindert, zwangsläufig auch die Rote Karte sehen? Oder reichen ein Elfmeter und Gelb als Bestrafung?

Auch über die so genannte „Goal Line Technology“ wird sich das Gremium abermals austauschen. Ein kamera- oder chipgesteuertes System könnte künftig zweifelsfrei belegen, ob ein Ball die Torlinie überschritten hat. Bisher hat sich das Ifab stets gegen jegliche technische Hilfsmittel ausgesprochen – außer gegen die Schiedsrichterpfeife, die sogar bereits seit 1878 benutzt wird. Heute informieren sich die Ifab-Vertreter allerdings nur über eine weitere Testphase der Technologie, eine Entscheidung soll erst am 2. Juli fallen.

Das wohl wichtigste Thema der heutigen Sitzung hätten sich die Ifab-Urväter vor 126 Jahren wohl nicht träumen lassen: die Abschaffung des Kopftuch-Verbots im Frauenfußball. 2007 hatten Fifa und Ifab Fußballerinnen das Tragen von Kopfbedeckungen aus Sicherheitsgründen untersagt. 2011 hatten sich die iranischen Nationalspielerinnen geweigert, ihre Kopftücher in der Olympia-Qualifikation abzulegen. Hin- und Rückspiel wurden mit 3:0 für Jordanien gewertet, der Iran verpasste die Olympischen Spiele. Der Männerrunde des Ifab wird deshalb heute eine neuartige und sicherere Kopfbedeckung vorgestellt, die mit einem Klettverschluss zusammen gehalten wird. Zieht eine Gegenspielerin versehentlich oder absichtlich daran, öffnet sich das Tuch, die Verletzungsgefahr ist gebannt. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Ifab die Neuerung akzeptiert.

Der Fortschritt lässt sich manchmal eben auch von Gralshütern nicht aufhalten.

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