Krisenduell der Enttäuschten: Hertha und Gladbach sind im Taumeln vereint
Bei Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach zeigen sich im Abstiegskampf viele Parallelen. Am Samstag kommt es in Gladbach zum direkten Duell.
Tayfun Korkut sprach über eine Mannschaft, die ihre Probleme habe, die nicht in bester Form sei – und bei der „keine so tolle Stimmung herrscht“. Bis hierhin redete der Trainer von Hertha BSC über Borussia Mönchengladbach. Spannte dann den Bogen und sagte über die äußerst schwierige Gemengelage beim kommenden Auswärtsgegner (Samstag 18.30 Uhr, live bei Sky): „Das ist ähnlich wie bei uns.“
Gladbach gegen Hertha, mehr enttäuschte Erwartungen und mehr Krise als beim Duell dieser beiden Teams hat die Fußball-Bundesliga derzeit nicht zu bieten. Das zeigt sich nicht zuletzt im Umfeld. Vor dem Aufeinandertreffen überbieten sich die Fans geradezu in ihrem Defätismus: Wer hat die dilettantischere Führung? Wer den schlechteren Trainer? Wer die verunsichertere Mannschaft? „Wir!“ rufen viele Anhänger mit Blick auf ihren Klub voller Überzeugung.
Nun ist es kein neues Phänomen, dass die emotionalen Ausschläge bei Fans sehr stark sein können, in beide Richtungen. Doch auch von einigen Spielern gab es am vorigen Wochenende Äußerungen, die deutlich abwichen vom Standardrepertoire.
„Ich weiß auch nicht, wer uns hilft. Vielleicht der liebe Gott“, hat Borussias Mittelfeldspieler Christoph Kramer unmittelbar nach dem 2:3 – nach 2:0-Führung – am Samstagabend beim Tabellenvorletzten VfB Stuttgart gesagt. Herthas Innenverteidiger Marc Kempf hatte einige Stunden vorher nach der 1:4-Bankrotterklärung gegen Eintracht Frankfurt unter anderem die „Larifari“-Einstellung im Team kritisiert.
Das Spiel in Stuttgart hatte die Gladbacher mindestens so hart getroffen wie Hertha jenes gegen Frankfurt. „Es gibt gerade tausend Baustellen“, sagte Kramer im Rahmen des verbalen Rundumschlags, bei dem er ziemlich alles kritisierte, was auf dem Rasen passierte und seiner Meinung nach falsch läuft. Viele haben das als Kritik an der Arbeit von Adi Hütter verstanden. Der Trainer war vor der Saison für 7,5 Millionen Euro aus Frankfurt gekommen.
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Sportdirektor Roland Virkus, der unlängst die Nachfolge von Max Eberl angetreten hat, teilte inzwischen mit, dass es aus seiner Sicht besser gewesen wäre, Kramer hätte all das intern kundgetan. Virkus sagte im Laufe der Woche: „Die Spieler sollten sich an die eigene Nase fassen. Es ist immer einfach, den Trainer infrage zu stellen.“ Er habe einen Plan A, und den verfolge er: Mit Hütter weiterzumachen. Eine Krisensitzung hat es nach der Niederlage beim VfB nicht gegeben.
In Berlin gab es eine solche am Sonntagvormittag nach dem Frankfurt-Spiel. Mit Sportgeschäftsführer Fredi Bobic und der Mannschaft, ohne Korkut. Es folgten weitere Gespräche und interne sowie öffentliche Ansagen an das Team in unterschiedlicher Schärfe. Letztlich stützt auch Bobic den Trainer. Jedoch nicht ohne den klaren Hinweis, dass in Gladbach unbedingt gepunktet werden muss.
Korkut darf sich wohl keine weitere Niederlage erlauben. Bei Hütter – der beim Spiel wegen seiner Coronainfektion nicht dabei sein kann und von seinem Assistenten Christian Peintinger vertreten wird – dürfte es im Falle einer Niederlage auch um die Art und Weise gehen, wie sich das Team präsentiert hat.
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Die Daten, Zahlen und Fakten sind hier wie dort, zurückhaltend ausgedrückt, besorgniserregend. Hertha stellt die schlechteste Rückrundenmannschaft, läuft weiter dem ersten Sieg im nicht mehr ganz jungen Jahr 2022 hinterher und scheint sich gemessen an den Leistungen zuletzt von diesem immer weiter zu entfernen.
Borussia Mönchengladbach hat letztmals im November zu null gespielt
Gladbach, Rang 15 der Rückrundentabelle, hat seit 13 Partien nicht mehr zu null gespielt, so lange wie keine andere Mannschaft in der Bundesliga. Zuletzt gelang das im November gegen Schlusslicht Greuter Fürth. In den sechs Heimspielen seitdem kassierte die Borussia immer mindestens zwei Gegentore.
Taumelnd Richtung Liga zwei, das war bei beiden Teams nicht immer so in dieser Saison. Wie Hertha in den ersten Wochen nach Korkuts Anstellung auf einem guten Weg zu sein schien, so haben auch die Gladbacher eine Phase gehabt, in der die Dinge funktionierten, wie sie sollen. Aus sieben Spielen im Herbst holte das Team 14 Punkte, kassierte nur fünf Gegentore. In diese Phase fiel auch der rauschhafte 5:0-Erfolg gegen den FC Bayern im DFB-Pokal. All das erscheint aus heutiger Sicht fast surreal. Ähnlich wie Hertha 3:2-Coup gegen Borussia Dortmund in der Bundesliga kurz vor Weihnachten.
Bobic macht eine weitere Parallele zwischen den Traditionsklubs aus. „Auch da gibt es viele Geräusche im Umfeld“, sagt er über Gladbach. Bei der Borussia hat Sportdirektor Virkus in seinem Bemühen, Ruhe reinzubringen, reichlich zu tun. Die Unruhe ist zwar nicht so groß wie bei Hertha, dort auch durch Investor Lars Windhorst immer wieder reingebracht, aber das momentane Level in Berlin ist anderswo ohnehin kaum zu erreichen.
Gewinnt Gladbach am Samstag, wäre das ein ordentlicher Schritt in die richtige Richtung. Gewinnt Hertha, würde das die Lage aus sportlicher Sicht ein klein wenig beruhigen. Fredi Bobic drückt es wie folgt aus: „Wir haben die große Chance, einen Verein, der sicher auch andere Ansprüche an sich selbst hat, mit reinzuziehen und enger heranzurücken.“ Aktuell stehen die Berliner als Tabellen-16. vier Punkte hinter dem Gegner.