Klaus Wowereit im Interview: "Hertha passt einfach zu Berlin"
Herr Wowereit, wie viel Berlin steckt in Hertha BSC? Ein Aufstiegsgespräch über Wirtschaft und Gesellschaft, über Ost und West – und die Fußball-Kompetenz der Kanzlerin.
Herr Wowereit, Hertha BSC ist gerade zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegen. Werden Sie persönlich gratulieren?
Na klar gratuliere ich, auch öffentlich. Für ganz Berlin ist dieser Aufstieg wichtig, nicht nur für Hertha. Und Sie wissen ja: Ich halte schon seit ein paar Jahren den Rathausbalkon in Schuss…
Für die Aufstiegsfeier?
Nein, nein. Da muss dann schon mehr dazukommen. Das ist ein kleiner Traum von mir: ein nationaler Titel für Hertha. Aber der Weg dahin ist noch weit und wir sollten jetzt mal nicht gleich übermütig werden. Nächstes Jahr geht’s um den Klassenerhalt. Aber vor ein paar Jahren, als Hertha noch größer im Geschäft war, wollte Gerhard Schröder mal eine mögliche Meisterfeier bei sich vor dem Kanzleramt ausrichten. Warte mal ab, ob du noch da bist, wenn Hertha Meister wird, habe ich ihm gesagt. Und, ist er noch da?
Nein. Aber Sie sind noch da.
Da haben Sie recht.
Es gibt über Berlin den gemeinen Spruch: Wir können alles außer Flughafen und Bundesliga. Schmerzt es Sie, dass nur die eine Hälfte dieser Weisheit jetzt nicht mehr zutrifft?
An der anderen Hälfte arbeiten wir.
Für Hertha war der Abstieg, was für Sie die Absage der Flughafeneröffnung war. Tröstet es Sie, wenn Sie jetzt sehen, wie schnell Hertha den Stimmungsumschwung hinbekommen hat? Ihre Umfrageergebnisse waren ja auch schon mal besser.
Aber wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Warten Sie ab, was noch kommt. Und was Hertha betrifft: Es war schon extrem wichtig, in der ersten Saison nach dem Abstieg den Wiederaufstieg zu schaffen.
Wie viel Berlin steckt eigentlich in Hertha?
Sehr viel. Der Wille, sich immer wieder durchzukämpfen bei all dem Auf und Ab. Die lange Tradition. Hertha kann keck sein, manchmal aber auch verschämt den Kopf einziehen.
Und wie viel Hertha steckt in Berlin?
Das ist so nicht zu beantworten. Hertha passt einfach zu Berlin.
Schon mal wegen der hohen Schulden.
Ich glaube nicht, dass das berlintypisch ist. Abgesehen von den Bayern ist das für viele Vereine ein Riesenproblem.
Hertha hat einen Hauptsponsor, der im Jahr 4,5 Millionen Euro überweist und auf der anderen Seite die S-Bahn kaputtgespart hat. Gefällt das dem Regierenden Bürgermeister?
Erst einmal freue ich mich, dass Hertha einen Hauptsponsor hat, der die Arbeit des Vereins erheblich unterstützt. Ein ganz anderes Thema ist die S-Bahn, da bleibt es bei unserer harten Kritik. Dass der Börsengang der Bahn über die S-Bahn finanziert werden sollte, darunter leiden wir heute noch.
Hertha ist arm – und auch sexy?
Hertha ist sicherlich nicht so reich wie Bayern München, aber ich glaube, dass sich Hertha von der Finanzkraft her mit anderen Klubs vergleichen kann. Die Zuschauerzahlen sind beeindruckend, und sie werden in der Ersten Liga noch besser werden. Insofern muss der Verein sehen, dass er auch ökonomisch den Anforderungen gerecht wird. Da hat es in den vergangenen Jahren erhebliche Umstrukturierungen gegeben: vom Verein hin zu einem Unternehmen. Hertha ist auch ein wirtschaftlicher Faktor für diese Stadt.
Noch mal: Wie sexy finden Sie Hertha?
Hertha wird auch attraktiv durch seine Haltung, durch das soziale Engagement, das der Verein wahrnimmt. Und so richtig sexy wird Hertha, wenn die Mannschaft einen attraktiven Fußball spielt. Das Spitzenspiel gegen Braunschweig fand ich jedenfalls sehr attraktiv.
"Die Grundlagen für den Abstieg hatte Hertha vorher selbst gelegt"
Inwiefern hat Sie die aktuelle Saison von Hertha emotional mitgenommen?
Mitgenommen hat mich vor allem die Saison davor. Der Abstieg war schon traurig – vor allem, weil er weitestgehend selbstverschuldet war. Das Spiel in Düsseldorf war von der Dramatik her nicht zu überbieten, und die deutsche Fußballgerichtsbarkeit ist auch ein besonderes Kapitel. Trotzdem: Die Grundlagen für den Abstieg hatte Hertha vorher selbst gelegt. Insofern soll man auch nicht mit diesem einen Spiel so hadern. Aber...
Ja?
Mich hat es schon sehr beeindruckt, dass ich bundesweit immer zu hören bekomme, wie schade es ist, dass die Hauptstadt nicht in der Bundesliga vertreten ist. Das habe ich von Bayern München gehört, vom DFB und auch von vielen Bürgermeisterkollegen. Die Hauptstadt gehört in die Erste Liga. Ich will jetzt keine unrealistischen Erwartungen erzeugen. Aber selbstverständlich müssen wir wieder dahinkommen, dass Hertha vorne mitspielt, wie wir es schon hatten.
Haben Sie Häme erfahren, dass das große Berlin nicht mehr erstklassig ist?
Überhaupt nicht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Häme in Berlin größer ist als außerhalb. Das scheint ein typisches Symptom zu sein, nicht nur im Sport.
Berlin war die einzige europäische Hauptstadt ohne Erstligist. Andererseits hat man das Gefühl, dass dies auch keine andere Hauptstadt so gut wegstecken kann.
Da unterstellen Sie den Berlinern eine Gleichgültigkeit, die meines Erachtens nicht zutrifft. Ich habe in den vergangenen Jahren sehr wohl eine Veränderung bei den Fans festgestellt. Sie sind treuer geworden. Es gibt zwar nicht so eine Hardcore-Affinität wie auf Schalke, wo der Mannschaft alles verziehen wird; wenn Hertha schlecht spielt, reagieren die Fans auch darauf. Aber wenn man sieht, wie die Fans Hertha in der Zweitligasaison die Treue gehalten haben, ist das schon enorm.
Sie sind auch Kultursenator. Könnten Sie nebenbei nicht als Sportsenator amtieren?
Was soll der Regierende Bürgermeister noch alles machen? Aber Sport ist unheimlich wichtig für die Stadt. Dazu gehört auch der Breitensport. Das ist eine riesige Bewegung. Und dann sind da die herausragenden Events.
Stimmt es eigentlich, dass Sie ein Hertha-Spiel der Eröffnung der Akademie der Künste vorgezogen haben?
Das ist so eine alte Legende. Man hat es mir zumindest zum Vorwurf gemacht. Ja, ich war damals im Stadion, bei mir ist das ja meistens zu erkennen. Und zur Eröffnung der Akademie war ich nicht, aber ich bin sonst regelmäßig da. Aber über bestimmte Zu- und Absagen und die speziellen Gründe dafür diskutiert man in der Öffentlichkeit lieber nicht.
"Das Olympiastadion ist der Ort, den ich mit Hertha verbinde"
Waren Sie als Tempelhofer immer schon Hertha-Fan?
Ja.
Es gab auch mal einen Bundesligisten aus Ihrem Heimatbezirk Tempelhof. Blau-Weiß 90.
Tempelhof ist groß. Ich komme aus Lichtenrade, Blau-Weiß aus Mariendorf. Also, wenn ein Klub da für mich infrage gekommen wäre, dann der LBC. Lichtenrader Bauern-Club haben wir immer gesagt.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Hertha-Spiel?
Nein, da kann ich mich nicht dran erinnern, das ist ja schon Jahrzehnte her. Mein Bruder war sehr fußballbegeistert, ich bin eher rudern gegangen. Aber Fußball hat mich immer interessiert, und für mich gab’s da nur Hertha.
Sind Sie mal an der Plumpe gewesen?
Nein, bis wann gab’s denn überhaupt die Plumpe? Jetzt machen Sie mich ja ganz schön alt.
Vor dem Bundesligaaufstieg 1968 hat Hertha da noch in der Regionalliga gespielt.
Na, sehen Sie. Das Olympiastadion ist der Ort, den ich mit Hertha verbinde.
Gibt es bestimmte Spiele, an die Sie sich erinnern?
An den Bundesligaskandal 1971, als es mit Hertha ganz fürchterlich war. Dieses verschobene Spiel – war das nicht gegen Schalke?
Gegen Bielefeld.
Da haben wir schon mal gescherzt, dass bei den Spielern die Kontonummern auf dem Rücken stehen.
Bringt Hertha als Verein alles mit, um auch ein gesellschaftlicher Mittelpunkt der Stadt zu sein?
Man muss da erst einmal definieren, was man mit gesellschaftlichem Mittelpunkt meint. Bei der Größe unserer Stadt ist es schwierig, so etwas für einen Sportverein zu behaupten. Und Hertha soll nicht Hoppegarten werden. Deshalb sollte man auch nicht diesen Anspruch formulieren. Im Mittelpunkt stehen die Leute, die am Sport Interesse haben. Die suchen in ihrem Fanblock vielleicht auch gesellschaftliche Kontakte. Insofern ist Hertha auch ein Stück Heimat. Das ist für mich gesellschaftspolitisch gesehen viel wichtiger, als dass sich die High Society bei Hertha trifft, gesehen werden will und gar kein Interesse am Fußball hat.
Anders als die Stadt hat es Hertha nicht geschafft, die vielen Zugereisten für sich zu begeistern. Inwieweit muss Hertha von der Stadt noch eine Willkommenskultur lernen?
Ich weiß gar nicht, ob dieser Eindruck so richtig ist. Wenn ich mich im Stadion auf der Tribüne umschaue, sehe ich viele Neu-Berliner. Ich sehe auch die besondere Affinität von Botschaftern und Leuten aus der Wirtschaft, die regelmäßig die Spiele besuchen und sich von der Atmosphäre begeistern lassen. Der Radius ist viel größer als früher.
Also hat Hertha in dieser Hinsicht nichts versäumt?
Man kann immer noch etwas besser machen. Aber ich glaube nicht, dass es an einer mangelnden Willkommenskultur liegt. Da sind die Arme offen. Aber beim Fußball ist es nun mal so, dass die Leute, die nach Berlin kommen, noch eine starke Bindung an ihre alten Klubs haben. Warum sollen sie das aufgeben?
"Ich jedenfalls freue mich auch über den Erfolg des 1. FC Union"
Man hat das Gefühl, dass sich junge Kreative, die den Ruf des hippen Berlins begründen, eher zum 1. FC Union hingezogen fühlen.
Ist das so? Ich kann und will das Publikum nicht so pauschal bewerten.
Gibt es bei Ihnen im Senat auch einen Union-Fan?
Es wird sicher so sein, und man kann übrigens auch Fan von beiden Teams sein. Und es gab ja auch schon Zeiten, in denen Berlin mehrere Klubs hatte, die in etwa gleichrangig waren. Ich jedenfalls freue mich auch über den Erfolg des 1. FC Union, auch wenn ich Hertha-Mitglied bin.
Macht es die Sache für Sie als Regierenden Bürgermeister einfacher, dass es mit Herthas Aufstieg jetzt wieder eine klare Hierarchie im Berliner Fußball gibt?
Der Regierende Bürgermeister ärgert sich viel mehr darüber, dass es in der nächsten Saison kein Lokalderby geben wird. Also drücke ich Union die Daumen für den Aufstieg, damit es das Derby in der übernächsten Saison wieder gibt. In der Ersten Liga.
Aber leichter macht es Ihnen, dass die Linken nicht mehr mitregieren. Jetzt müssen Sie auf den Osten nicht mehr so viel Rücksicht nehmen.
Mit den alten Ost-West-Themen hat das für mich nichts zu tun. Ich finde das, was Union in den vergangenen Jahren geleistet hat, richtig toll. Insofern gehöre ich nicht zu den Bürgermeistern oder Ministerpräsidenten, die ihr Fansein für einen Verein so dogmatisch sehen, dass sie den anderen gar nicht zur Kenntnis nehmen. Wir kennen das ja aus München oder Rheinland-Pfalz. Das ist bei mir nicht so.
Ihre Hertha-Affinität hat Ihnen bei Union nie zum Nachteil gereicht?
Warum sollte ich mich nicht zu meiner eigenen Sozialisation bekennen? Alles andere wäre doch nicht authentisch.
Es gab von Union schon mal den Versuch, den Senat auf die Hertha-Seite zu rücken. Das war nach dem ersten Abstieg, als bekannt wurde, dass Hertha in der Zweiten Liga die Miete fürs Olympiastadion gestundet wurde.
Das ist ausgeräumt. Ich fand es damals auch übel, ein Ost-West-Duell zu konstruieren. Da hatten einige ein bisschen Interesse daran, das aufzuputschen. Aber die Fans haben sehr klug reagiert. Ich war dann selbst im Stadion an der Alten Försterei, es gab da keine Aggressivität. Und der Senat hat Union nachweislich in vielen Fällen geholfen.
Bei Hertha haben Sie die Mitgliedsnummer 50. Ist Ihnen bei Union auch mal die Mitgliedschaft angetragen worden?
Es muss ja nicht immer gleich die Mitgliedschaft sein.
Obwohl Union vielleicht der sozialdemokratischere Verein ist.
Wieso meinen Sie?
Weil dort der Gedanke der Solidarität gelebt wird, mit dem gemeinsamen Stadionbau, dem Weihnachtssingen.
Es gibt bei Union ein schönes Gemeinschaftsgefühl und eine sehr starke Affinität zu den Fans. Das ist toll. Aber was sozialdemokratisch ist, entscheidet sich für mich nicht auf dem Sportplatz.
Dafür ist Hertha der berlinerische Verein – weil er sich das Stadion von der Allgemeinheit finanzieren lässt.
Das ist denn doch wieder so eine heimtückische Unterstellung. Sie wissen, dass es lange Debatten gab, ob das Olympiastadion überhaupt saniert oder ein reines Fußballstadion werden soll. Ich bin zufrieden, dass wir uns für die Leichtathletiklösung entschieden haben. Das Olympiastadion ist etwas Besonderes.
"Wie wir die Bundeskanzlerin kennen, würde sie sich da nicht festlegen"
Was die politische Fan-Prominenz betrifft, haben Sie in Berlin schwere Konkurrenz bekommen. Wer versteht eigentlich mehr vom Fußball: Sie oder Angela Merkel?
Ich glaube, Angela Merkel hat sich auf diesem Gebiet doch sehr stark verbessert.
Reden Sie mit Frau Merkel über Fußball?
Ich rede auch mit ihr über Fußball. Wir sehen uns beim Fußball ja auch öfter mal auf der Tribüne.
Sie hat Sie aber noch nicht mit in die Kabine genommen?
Davon hätte sie ja nichts.
Betreiben Sie bei der Bundeskanzlerin auch Lobbyarbeit für Hertha?
Nein, das ist nicht nötig.
Wie? Sie ist schon Hertha-Fan?
Nein, ich weiß gar nicht, ob sie einen Heimatverein hat. Wie wir die Bundeskanzlerin kennen, würde sie sich da nicht festlegen.
Vielleicht ist sie ein typischer Erfolgsfan mit einem Faible für Bayern München.
Ach, Spiele gegen die Bayern sind für mich immer das Spannendste. Das ist ein Klassiker, da ist das Stadion immer schon Monate im Voraus ausgebucht, da gibt es eine starke Emotionalität.
Mit den Bayern ist es wie mit Berlin: Sie lassen niemanden kalt. Entweder man mag die Bayern, oder man mag sie nicht. Und Sie?
Ich mag Hertha.
Sie legen sich nicht fest.
Doch. Auf Hertha.
Das Gespräch führten Sven Goldmann, Stefan Hermanns und Friedhard Teuffel.