zum Hauptinhalt
Hertha hält Abstand - allerdings nur in der Tabelle nach unten.
© dpa

Kolumne „Auslaufen mit Lüdecke“: Hertha ist einfach zu gut

Nach Herthas Leistung in Sinsheim ist sich unser Kolumnist sicher: Diese Mannschaft kann nicht absteigen. Dafür hat sie ganz andere Probleme.

Der Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier normalerweise jeden Montag über die Bundesliga. Als Chef der „Stachelschweine“ versucht er sein Theater durch die Krise zu bekommen.

Also doch. Es geht! Man kann Fußball ohne Zuschauer spielen. Geahnt hatten wir es sowieso schon. Wie die Evolution gezeigt hat, besteht die Mindestanforderung an diesen Sport aus einem Ball, einem Spieler und einer Häuserwand. Der, der danebensteht und dumme Anmerkungen macht, ist nicht zwingend erforderlich. So erinnerte der erste Spieltag ohne Zuschauer Kenner der Materie sofort an den Jugendfußball oder die Bezirksliga. Wo Zwischenrufe vereinzelter Bratwurstkonsumenten deutlich zu vernehmen sind. Wenn sie die Spieler etwa mit dem Hinweis „Beweg dich, du faule Sau!“ zu einer Leistungssteigerung motivieren möchten.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Natürlich ist es mit Zuschauern schöner. Aber wenn ich ehrlich bin, sehe ich Hertha lieber als ambitionierten Bundesligisten unter Kreisligabedingungen als umgekehrt. Ohne das jetzt im Einzelnen noch mal aufdröseln zu wollen, aber mein Verein hatte sich ja in den vergangenen Wochen und Monaten so viele Pleiten und Pannen genehmigt, davon müssen andere Klubs ein Vierteljahrhundert zehren.

Als ich nun hörte, unter Bruno Labbadia sei jetzt alles anders, die Spieler verstünden nicht nur akustisch, was der Trainer wolle und so weiter, da war ich schon skeptisch. Nach so vielen positiven Signalen hätte der Hertha-DNA eigentlich eine Niederlage mit Pauken und Trompeten entsprochen.

Nun kam es aber ganz anders. Hertha lieferte in Sinsheim ein klasse Spiel ab. Auch der Laie konnte Struktur und System erkennen. Ganz neu für mich: Jetzt bewegen sich auch die Spieler, die nicht im Besitz des Balles sind. Was die Optionen des ballführenden Spielers deutlich erhöht. Das zweite Tor war sogar richtig herausgespielt! Die Raumaufteilung stimmte und alles sah recht souverän aus. Nach diesem Spiel muss man sagen: Diese Mannschaft kann nicht absteigen, dafür ist sie einfach zu gut.

In der ungeschickten Außendarstellung blieb sich Hertha treu

Nur in der ungeschickten Außendarstellung blieb sich Hertha treu. Und das, ausgerechnet nach den verunglückten Amateurfilm-Ambitionen eines beliebten Außenstürmers. Nun durften also Millionen von TV-Zuschauern aus dem Homeoffice mit ansehen, wie sich hochbezahlte Angestellte nach ihren gelungensten Arbeitsaktionen herzten und küssten. Labbadia erklärte nachher, man müsse das verstehen, die Spieler stünden unter Druck.

Das ist sicher richtig. Aber der Fußball wurde gerade unter den Profisportarten als systemrelevant hofiert. Da wäre Demut die angebrachtere Haltung. Denn man sollte nicht vergessen, dass derzeit viele Menschen unter Druck stehen und nicht so dürfen, wie sie eigentlich wollten.

Frank Lüdecke

Zur Startseite