Nach dem 0:2 gegen Mainz 05: Hertha BSC: Wir müssen reden
Nach der Niederlage gegen Mainz kündigt Pal Dardai Einzelgespräche an. "Wir müssen auch mal von der fiesen Seite kommen", fordert der Trainer von Hertha BSC.
Es war zwei Minuten vor zehn am Samstagmorgen, als Pal Dardai den Weg von der Kabine zum Trainingsplatz entlang kam. Sehr pünktlich – und doch erstaunlich früh, nachdem er am Abend zuvor einen intensiven Meinungsaustausch mit seiner Mannschaft angekündigt hatte. Dardai, der Trainer von Hertha BSC, trug ein Lächeln auf dem Gesicht. Kurz darauf folgten die Spieler. Bälle hatten sie nicht im Gepäck.
In dieser Saison bleiben die Fußballer des Berliner Bundesligisten am Tag nach den Spielen oft in der Kabine, um dort ihr Regenerationsprogramm abzuspulen. Am Samstag, knapp zwölf Stunden nach ihrer 0:2-Niederlage gegen Mainz 05, stand eine Laufeinheit auf dem Programm. Fünf mal tausend Meter, jeder in seinem individuellen Tempo. Aber damit niemand falsche Schlüsse ziehen konnte, stellte Dardai gleich klar, dass es sich nicht um eine Strafmaßnahme handelte, sondern diese Einheit genau so schon vor dem Spiel gegen Mainz geplant war.
"Das schlechteste Heimspiel, seitdem ich hier bin"
Wer einen etwas archaischen Blick auf den Fußball hat, hätte sich vermutlich eine andere Reaktion von Dardai auf die Minderleistung am Abend zuvor gewünscht. Der Ungar hätte sein Team mit Medizinbällen und Steigerungsläufen wahlweise auch mit Trinkwasserentzug quälen oder die Spieler zum Verfassen eines Gesinnungsaufsatzes nötigen können. Alles schon vorgekommen. Und wer Dardai am Freitagabend erlebt hatte, seltsam einsilbig, den hätte das auch nicht im Geringsten gewundert. „Es war das schlechteste Heimspiel, seitdem ich hier bin“, hatte er gesagt. Und dann war ihm doch noch eine andere, ähnlich peinlich Partie eingefallen: die Niederlage gegen Freiburg, in seinem ersten Heimspiel überhaupt als Cheftrainer bei Hertha. Damals hatte er Ronny als Sechser aufgeboten – was einiges über die Fallhöhe aussagt.
So wie die Berliner am Samstag laufen sollten, so hatten sie auch am Freitag gespielt: jeder nach eigenem Gusto. „Jeder war mit sich beschäftigt“, sagte Dardai. „Der Gegner war athletischer, hat körperbetonter gespielt.“ Es war nichts, was ihn besonders überrascht hatte; es war auch nichts, was die Spieler hätte überraschen dürfen, weil sie die ganze Woche genau darüber gesprochen hatten. „Und dann haben wir nicht mitgehalten“, klagte Herthas Trainer. Die Mannschaft habe gar nichts von dem gezeigt, „was wir uns vorgenommen haben. Wir haben jeden wichtigen Zweikampf verloren.“
Fast ein Jahr hatten die Mainzer kein Auswärtsspiel mehr gewonnen – aber für Hertha reichte es locker. Den ersten Schuss aufs Tor gaben die Berliner eine knappe Viertelstunde vor Schluss ab, die erste und einzige Chance hatten sie in der 87. Minute. „Das ist nicht stabil genug“, sagte Dardai. „Es gibt immer noch zu große Schwankungen.“ Mit den beiden jüngsten Spielen deckte Hertha die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten ab. Der überzeugende Auswärtssieg in Leverkusen scheint der Mannschaft nicht bekommen zu sein. „Vielleicht denken wir, dass wir so gut sind, und dann fehlen diese 20 Prozent“, mutmaßte Dardai.
Das liegt nicht nur am jugendlichen Element in der Mannschaft, es ist auch eine Frage der Mentalität. „Wir sind alle gute Sportler hier, nett, fleißig“, sagte Dardai. „Aber vielleicht müssen die erfahrenen Spieler in einem solchen Spiel ein bisschen mehr von der fiesen Seite kommen. Ich hätte erwartet, dass sie mal ein Zeichen setzen: sich eine Gelbe Karte holen, sich gegenseitig ein bisschen anmachen.“ Einer dieser Typen, Kapitän Vedad Ibisevic, musste schon nach einer Viertelstunde mit einem Nasenbeinbruch verletzt von Feld. Am Samstagmorgen wurde er operiert.
In der nächsten Woche sollen Einzelgespräche stattfinden
Die große Aufarbeitung des Spiels sparte sich Pal Dardai am Samstag, er sprach vor dem Auslaufen nur kurz zur Mannschaft. „Alle sind kopfmäßig ein bisschen angeschlagen“, sagte Herthas Trainer. „Erst mal müssen wir uns ein bisschen sammeln.“ Für die kommende Woche kündigte er, was selten sei, Einzelgespräche an, „Auge in Auge, um die Spieler wieder in die richtige Richtung zu bringen“. Man müsse ansprechen, was man nicht in Ordnung finde, als Trainer und als Mensch. „Vielleicht kann ich einen Rat geben, wie man sich besser auf den Fußball fixiert“, sagte Dardai. „Es kann nicht sein, dass es im Training funktioniert. Dann kommt das Spiel, der Druck, und es funktioniert nicht mehr.“
Die Aussicht, nach einem Sieg gegen Mainz den Blick nach oben zu richten, hat die Mannschaft nicht beflügelt, sondern eher belastet. Als „sehr schwer, sehr hart, gestern sogar knallhart“, empfand Dardai tags darauf die verpasste Chance, die sich die Mannschaft zuvor selbst erarbeitet hatte. Andererseits wolle er auch nicht immer lesen, „was möglich ist, wenn wir ein gutes Spiel gemacht haben. Wir sollen die Fans nicht anlügen, wir sollen uns selbst nicht anlügen.“ Die nächsten beiden Spiele – auswärts gegen Bayern und Schalke – verleiten nicht zum Selbstbetrug. Sie mahnen eher zur Vorsicht. „Wir brauchen erst einmal 40 Punkte“, sagt Pal Dardai. „Das wird schwer genug.“
Stefan Hermanns