Was sich im Abstiegskampf ändern muss: Hertha BSC und die gefährlichen Egoismen
Weil Santiago Ascacibar auf seine Auswechslung mit Unmut reagiert, erregt er den Zorn seines Trainers Pal Dardai. Denn Hertha BSC braucht jetzt Geschlossenheit.
Am Samstagnachmittag um kurz nach vier bekam das handverlesene Publikum im nahezu menschenleeren Olympiastadion das Schauspiel „Fast alles, was Sie über Santiago Ascacibar wissen müssen“ präsentiert. Das Stück bestand aus einem einzigen Akt mit zwei kurzen Szenen.
In der ersten verlor Ascacibar den Ball im Mittelfeld an Lars Stindl, den Kapitän von Borussia Mönchengladbach. Er landete dabei auf dem Hosenboden, doch noch im Sitzen fuhr der Mittelfeldspieler von Hertha BSC sein Bein aus und spitzelte Stindls Kollege Christoph Kramer den Ball vom Fuß.
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Santiago Ascacibar, 24 Jahre alt, hat unbestritten seine Stärken. Mit seinen 1,68 Metern ist er ein echtes Energiebündel. Und wenn er die Spieler des Gegners bearbeitet, erinnert er mit seiner manchmal etwas hibbeligen Art an eine Nähmaschine mit hoher Stichfrequenz.
Im Heimspiel des Berliner Fußball-Bundesligisten gegen Borussia Mönchengladbach aber ließ der Argentinier auch noch bisher unbekannte Qualitäten erkennen. Mitte der ersten Halbzeit brachte er seine Mannschaft mit seinem ersten Bundesligator 1:0 in Führung, und auch am Ausgleich zum finalen 2:2 war er mit einem Distanzschuss, den Gladbachs Torhüter Sippel noch parieren konnte, zumindest mittelbar beteiligt.
„Er hat es gut gemacht“, sagte Herthas Trainer Pal Dardai über Ascacibars Auftritt. Trotzdem holte er ihn nach einer knappen Stunde vom Feld. Aus taktischen Gründen. „Auf dem Platz war keiner, der die Sache in die Hand genommen und für Ordnung gesorgt hat“, sagte Herthas Trainer. „Jeder ist ein bisschen geschwommen, und das gegen eine Mannschaft mit einem Mann weniger.“
Die Berliner spielten zu diesem Zeitpunkt schon exakt eine Halbzeitlänge in Überzahl, aber besonders geschickt stellten sie sich dabei nicht an. „Die Ordnung hat gefehlt“, klagte Sami Khedira, ein ausgewiesener Ordnungsfanatiker, den Dardai daher für Ascacibar aufs Feld schickte.
Sami Khedira brachte Ordnung ins Spiel
So endete auch dieser Startelfeinsatz für den defensiven Mittelfeldspieler vorzeitig. Es war erst der zwölfte im fünfundvierzigsten Spiel, seitdem Ascacibar im Januar 2020 vom damaligen Zweitligisten VfB Stuttgart und vor allem auf Betreiben von Jürgen Klinsmann nach Berlin gekommen war. Von Klinsmann mit seinem ausgeprägten Hang zum Überschwang war Ascacibar seinerzeit als „einer der besten Sechser in der Bundesliga“ bezeichnet worden. Das aber ist er definitiv nicht. Dafür fehlt ihm bei allem Eifer das strategische Geschick, das gerade auf dieser neuralgischen Position vonnöten ist.
„Ich brauche keinen Sechser, der sich in die Dreierkette zurückfallen lässt, der noch mal den Ball nimmt, sich noch mal dreht“, sagte Dardai über seine taktischen Überlegungen und Khediras Einwechslung gegen die Gladbacher. „Sami ist kopfballstark und torgefährlich. Mit seinem Fußballverstand wollten wir noch mehr Druck ausüben.“
Die Entscheidung war durchaus nachvollziehbar, für Ascacibar aber nur schwer zu akzeptieren. Dardai nahm bei dessen Auswechslung deutliche Spuren des Unmuts wahr. Und so wurden beide nach dem Spiel von den Fernsehkameras im ernsten Zwiegespräch erwischt. „Wenn einer runtergeht und so ein Gesicht zieht, ist das respektlos. Nicht gegenüber dem Trainer, sondern gegenüber der Mannschaft und den anderen Kollegen“, klagte Dardai. „Einigen unserer Spieler muss man erklären, warum sie ausgewechselt werden. Jeder hält sich für sehr wichtig und ist egoistisch. Das finde ich nicht okay.“
Freude und Zorn bei Trainer Pal Dardai
Und so löste Ascacibar mit seinem Auftritt am Samstag und dem Führungstor nicht nur Freude bei seinem Trainer aus; er erregte auch dessen Zorn. „Wunderbar, dass er ein Tor gemacht hat“, sagte Dardai. „Aber sollen wir uns auch noch bedanken bei ihm? Wenn Santi das nicht versteht, dann muss ihm das gesagt werden.“
Freude und Zorn prägten auch die generelle Stimmung nach dem 2:2 gegen die Gladbacher. Freude, dass nach dem zwischenzeitlichen 1:2 dank einer Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte zumindest noch ein Unentschieden heraussprang. „Wir müssen zufrieden sein mit dem Punkt“, sagte Dardai. Aber eben auch Zorn, weil es trotz der günstigen Umstände und einer Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte nicht zum dringend benötigten Sieg reichte.
Trotzdem fand Dardai: „Wir müssen nicht alles schlecht reden. Ich glaube, wir haben schon eine Menge hinbekommen.“ Immerhin blieb Hertha zum dritten Mal hintereinander ungeschlagen, aber gegen Gladbach war die Mannschaft insgesamt wieder einmal zu flatterhaft. Für ein Team im Abstiegskampf ist das nicht ungewöhnlich. Umso mehr ist in einer solchen Situation Geschlossenheit gefragt. „Man braucht keine Hektik. Ruhe ist das Einzige, was hilft“, sagte Dardai. „Egoistische Gedanken und egoistisches Verhalten darf es in den letzten sechs Spielen nicht geben. Sonst wird es ein böses Ende geben.“