Der Konkurrenzkampf verschärft sich: Hertha BSC: Pal Dardai und der schöne Schmerz
Für das Spiel beim VfL Wolfsburg hat Pal Dardai noch einige Personalprobleme, künftig aber könnte der Trainer von Hertha BSC mehr Optionen haben denn je.
Pal Dardai ist ein Mann mit Prinzipien. Berufliche Vieraugengespräche sind bei ihm prinzipiell Sechsaugengespräche. Wenn er einem seiner Spieler unangenehme Botschaften überbringen muss, möchte der Trainer von Hertha BSC jemanden als Zeugen dabei haben. Unmittelbar vor dem Saisonstart der Fußball-Bundesliga aber hat er eine Ausnahme von dieser Regel gemacht. Als Dardai Per Skjelbred zum Personalgespräch bat, hat er bewusst auf eine Begleitung verzichtet. „Nur wir beide“, sagte er zu Skjelbred. Was zum einen darauf schließen lässt, dass die Unterhaltung trotz des beruflichen Themas zumindest halbprivater Natur war. Und zum anderen ein Vertrauensbeweis für Skjelbred war: Bei dir brauche ich keinen Zeugen, weil ich weiß, dass du hinterher keine Unwahrheiten verbreiten wirst.
Der Norweger, 31 Jahre alt inzwischen, ist für Dardai mehr als nur ein Spieler. „Ich mag ihn wirklich“, sagt Herthas Trainer. „Wir sind auch Freunde.“ Dardai schätzt den defensiven Mittelfeldspieler, weil der mit seiner selbstlosen Art extrem wertvoll für das Mannschaftsgefüge ist. In den dreieinhalb Jahren unter ihm als Trainer ist von allen Feldspielern nur Marvin Plattenhardt (9628 Spielminuten) länger zum Einsatz gekommen als Skjelbred (8220). Doch so, wie es aussieht, wird nicht nur Plattenhardt seinen Vorsprung bald weiter ausbauen; in Kürze könnte auch Salomon Kalou (8024) an ihm vorbeiziehen. Per Skjelbred steht damit symbolisch für die Personalsituation bei Hertha BSC.
Es könnte prominente Opfer geben
Einerseits wird in dieser Saison der längst angekündigte Generationswechsel nun tatsächlich mit Macht vollzogen werden; andererseits deutet sich ein verschärfter Konkurrenzkampf an, der in Zukunft noch einige prominente Opfer fordern könnte. Skjelbred ist nur das erste.
Völlig überraschend kommt dessen schleichender Bedeutungsverlust nicht. Schon in der Endphase der vergangenen Saison machte der ewige Stammspieler eine neue Erfahrung, als er drei Spiele hintereinander auf der Bank saß und keine einzige Minute zum Einsatz kam. Inzwischen wäre Skjelbred froh, wenn er es überhaupt noch auf die Bank schaffte. In den ersten beiden Ligaspielen stand er nicht im 18-Mann-Kader. „Es fühlt sich komisch an“, hat Skjelbred dem „Kicker“ gesagt. Beim sogenannten Spitzenspiel an diesem Samstag gegen den Tabellenzweiten VfL Wolfsburg (15.30 Uhr, live bei Sky) steht Skjelbred zumindest mal wieder im Aufgebot.
Trainer Dardai muss zwar auf weitere potenzielle Stammspieler – Karim Rekik, Maximilian Mittelstädt – verzichten, perspektivisch aber dürfte sich die Personalsituation deutlich entspannen. Davie Selke steht schon jetzt wieder als Alternative für den Sturm zur Verfügung und wird bald ernsthaft mit Kapitän Vedad Ibisevic um den Platz in der Startelf konkurrieren. Auch die übrigen Langzeitverletzten Vladimir Darida, Peter Pekarik und Mathew Leckie trainieren zumindest schon wieder individuell. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Dardai vor jedem Spiel Entscheidungen treffen muss, die ihm weh tun: Wer spielt? Wer schafft es in den 18er-Kader? Wer muss zu Hause bleiben? Diesmal erwischte es unter anderem die beiden Neuzugänge Pascal Köpke und Derrick Luckassen.
Dardai fürchtet um seine Gesundheit
„Das ist sehr schwer“, sagt er über diesen Teil seines Jobs. „Wenn ich irgendwann im Krankenhaus lande, dann weil ich deswegen Bauchschmerzen bekommen habe.“ Eine Unterredung wie die mit Per Skjelbred schlägt ihm ganz besonders auf den Magen. „Für mich, ganz ehrlich, war es das erste Gespräch mit einem Spieler, bei dem mir fast die Tränen gekommen sind“, berichtet er. „Das hat weh getan. So richtig.“
Schon jetzt gibt es Härtefälle. Die Sommerzugänge Lukas Klünter und Pascal Köpke, beide je zwei Millionen Euro teuer, haben bisher noch gar keine Rolle gespielt – und müssen sich mittelfristig mit Pekarik und Selke weiterer Konkurrenz auf ihren Positionen erwehren. Klünter stand noch keine einzige Minute für Hertha auf dem Platz; Köpke ist von Dardai im Pokalspiel gegen Eintracht Braunschweig immerhin eine Gnadenminute gewährt worden. Andererseits hat Javairo Dilrosun beim Auswärtssieg in Schalke die unverhoffte Chance nach seiner Einwechslung so überzeugend genutzt, dass Herthas Trainer ihm für das Spiel in Wolfsburg eine Einsatzgarantie ausgestellt hat – was sich aber wieder ändern kann, wenn Maximilian Mittelstädt nach seiner Verletzung zurückkehrt.
Dardai besitzt so viele personelle Optionen wie noch nie. Für jede Position gibt es mehrere nahezu gleichwertige Bewerber – auch weil die jungen Spieler aus dem Nachwuchs (Arne Maier, Jordan Torunarigha und Maximilian Mittelstädt) mit einem Jahr mehr Erfahrung inzwischen als vollwertige Profis gelten. Das erhöht nicht zuletzt den internen Druck, schärft die Sinne auch im Training. Es hat, wie Dardai sagt, „eine innere Motivation, mehr Konzentration“ zur Folge. Wer einmal schlecht spielt, darf auf eine zweite Chance hoffen, „wenn du zweimal schlecht spielst, kommt der Nächste“, erklärt Herthas Trainer.
„Wir haben viele ausgehungerte Spieler“, sagt Pal Dardai. Spieler wie Fabian Lustenberger, dem viele ein ähnliches Schicksal wie Per Skjelbred zugetraut haben und der zuletzt gegen Schalke als zusätzlicher Innenverteidiger eingewechselt wurde. Sollte Dardai noch Zweifel an der Leistungsfähigkeit des unter der Woche angeschlagenen Torunarigha haben, könnte Lustenberger gegen Wolfsburg sogar von Anfang an spielen.