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Nach oben oder nach unten? Wohin geht der Blick von Hertha BSC?
© dpa

Nach dem Pokalaus gegen Eintracht Braunschweig: Hertha BSC braucht dringend Verstärkungen

Die Niederlage im Pokal gegen den Zweitligisten Eintracht Braunschweig zeigt, dass die Mannschaft von Hertha BSC immer noch ein wackliges Gebilde ist.

Bruno Labbadia bewahrte auch in den größten Turbulenzen Haltung. Als der Trainer von Hertha BSC eine Viertelstunde vor Schluss Arne Maier vor der Einwechslung letzte Anweisungen gab, saß sein dunkelblaues Sakko immer noch perfekt. Der obere Knopf war geschlossen. So, wie es sich gehört.

Labbadia lieferte damit das perfekte Gegenbild zum Auftritt seiner Mannschaft im Erstrundenspiel des DFB-Pokals gegen Eintracht Braunschweig. In Herthas Defensive lief wenig so, wie es sich gehört. Stattdessen herrschte zeitweise das totale Chaos. „Es war ein Albtraum-Spiel“, sagte Torhüter Alexander Schwolow nach seinem Pflichtspieldebüt für den Berliner Fußball-Bundesligisten. „Furchtbar. Katastrophe.“

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Das Ergebnis all dessen wirkte fast surreal. Eintracht Braunschweig, erst in diesem Sommer in die Zweite Liga aufgestiegen und mit sechs Neuen in der Startelf eine Mannschaft in der Findungsphase, setzte sich mit 5:4 (3:2) gegen Hertha BSC durch. Gegen den Klub, von dem viele gedacht hatten, dass er dank der vielen frischen Millionen seines Investors und der finanziellen Schwierigkeiten der Konkurrenz nun richtig durchstarten werde. Stattdessen scheiterte Hertha erstmals seit acht Jahren wieder in der ersten Runde des DFB-Pokals. Damals spielte der Verein noch in der Zweiten Liga.

Nach all dem, was in den letzten Wochen der Vorbereitung passiert war, nach drei Testspielniederlagen hintereinander, nach den offenkundigen Problemen im Offensivspiel, der ungewollten Zurückhaltung bei der Transferpolitik, den Klagen über die Sprachlosigkeit innerhalb der Mannschaft – nach all dem also kam das Aus im Pokal fast schon mit Ansage daher. Und trotzdem sagte Bruno Labbadia: „Es ist schwer zu erklären. Ich habe selten so ein Spiel erlebt.“ Auch wenn es paradox klingen mag: Labbadia hatte recht.

Diesmal funktionierte die Offensive, dafür patzte die Defensive

Im Training hatte Herthas Trainer genau das einstudiert, was er gegen Braunschweig von seiner Mannschaft sehen wollte. Labbadia ließ Pressingsituationen üben: Wann attackieren wir? Wie attackieren wir? Der Lernfortschritt war am Freitag klar zu erkennen. „Wir haben Braunschweig extrem bespielt. Wir haben etliche Torchancen gehabt“, sagte Labbadia. „Genau das, was uns zuletzt abgegangen ist, haben wir gut gemacht.“

In den letzten Tests vor dem Saisonstart war Hertha dreimal hintereinander ohne Tor geblieben. In Braunschweig kam die Mannschaft auf 25 Torschüsse, traf vier Mal – und ging am Ende trotzdem als Verlierer vom Platz. „Nach vorne kann man es nicht viel besser machen“, sagte Labbadia. Wie geplant hatte seine Mannschaft die Defensive des Gegners weit auseinandergerissen. Sie schuf große Lücken in Braunschweigs Abwehr, stieß immer wieder in die Tiefe und war dadurch ganz anders als noch vor einer Woche im Test gegen Eintrachts Ligakonkurrenten Hamburger SV offensiv präsent und gefährlich.

„Ich hatte das Gefühl, wir sind voll im Fluss, jeder ist da, jeder ist griffig“, sagte Labbadia. „Wir hatten sehr viel Energie. Das Blöde ist, dass das nicht zählt.“ Angesichts des Ergebnisses sei es auch schwer zu vermitteln.

Für Herthas Moral war das Spiel eine Prüfung der besonderen Art

Nachdem zuletzt vor allem die Offensive geschwächelt hatte, patzte in Braunschweig nun die Defensive. Für Herthas Mannschaft wurde das ganze Spiel eine Prüfung der besonderen Art. „Es lief echt alles schief, was schieflaufen konnte“, sagte Torhüter Schwolow. Schon nach einer Minute lag Hertha hinten, eine Viertelstunde später fiel das 0:2. Durch ein Eigentor von Maximilian Mittelstädt.

Hertha kämpfte sich zurück, schaffte den Ausgleich, hatte das Spiel längst unter Kontrolle – und ging trotzdem mit einem Rückstand in die Pause, weil Mathew Leckie und Karim Rekik in einer selten dämlichen Koproduktion einen Elfmeter verschuldeten. Dass Schwolow den Schuss von Martin Kobylanski zunächst parierte, der Braunschweiger aber im Nachsetzen traf, das passte ins Bild.

In der zweiten Halbzeit ging es so weiter: Nachdem Hertha sich lange vergeblich bemüht, beste Chancen ungenutzt gelassen hatte und dann doch endlich den Ausgleich schaffte, konterte Braunschweig mit einem Doppelschlag innerhalb von fünf Minuten. Erst kam der dreifache Torschütze Kobylanski an Herthas Strafraum frei zum Schuss, vor dem 3:5 rutschte Niklas Stark im Duell mit Suleiman Abdullahi aus. „Wir müssen weiter so nach vorne spielen, aber im hinteren Bereich viel, viel konsequenter sein, um unser Tor besser zu verteidigen“, sagte Labbadia.

Herthas Trainer beklagte die vielen individuellen Fehler, mangelnde Konsequenz und viele falsche Entscheidungen. „Unsere beiden Innenverteidiger haben nicht in jeder Szene gut ausgesehen“, sagte er. Was noch recht schmeichelhaft war für Stark und Rekik.

Hertha BSC soll am Kölner Stürmer Cordoba interessiert sein

Auf dem Papier besitzt Hertha eine überdurchschnittlich besetzte erste Elf: mit Dedryck Boyata als Koloss in der Innenverteidigung, mit dem vielversprechenden Lucas Tousart als zentralem Mittelfeldspieler, Dodi Lukebakio und Javairo Dilrosun als offensiven Außen, mit Matheus Cunha als freiem Radikal in der Offensive und Krzysztof Piatek als Abschlussstürmer. De facto aber ist die Mannschaft noch ein ziemlich wackliges Gebilde. In der Abwehr ist sie abhängig von der Präsenz Boyatas, in der Offensive von der Spiellaune Cunhas, der in Braunschweig an drei der vier Treffer (ein Tor, zwei Assists) beteiligt war.

Gemessen an Herthas finanziellen Möglichkeiten war die Transfertätigkeit in diesem Sommer sehr zurückgenommen. Diese Zurückhaltung wird Manager Michael Preetz nun aufgeben müssen. Mehr denn je braucht Labbadia Spieler, die ihm sofort weiterhelfen. Vielleicht jemanden wie Jhon Cordoba, den Stürmer des 1. FC Köln, der seinen Verein verlassen will und laut dem Portal Transfermarkt mit Hertha verhandelt. Bis zum 5. Oktober hat Preetz noch Zeit. Doch wer auch immer bis dahin noch kommen mag: Seit Freitagabend hat man das Gefühl: Er kommt zu spät.

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